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Tipp des Monats April 2022 (Tipp-Nr. 298)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Materie, die man nicht sieht

Rüdiger Blume

Irgendjemand in deiner Klasse hat gepupst. Blitzschnell verteilt sich im Klassenzimmer etwas Unangenehmes, das man nicht sieht. Wenn man es sehen könnte (vielleicht weil es rosa wäre…) würde man eine mehr oder weniger runde Wolke erkennen, die aufsteigt, sich rasch zerfledert, wieder absinkt und sich dabei in alle Richtungen ausbreitet.

Das ist Grund genug, sich darüber Gedanken zu machen: Wie kann etwas da sein, was man nicht sieht? Und weshalb breitet es sich so schnell aus?

Es gibt aber auch positive Aspekte von Gerüchen. Wie reimte Eduard Mörike so schön in seinem Gedicht „Er ist´s!“?


Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
– Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab ich vernommen!

Wenn man von der Jauche auf den Feldern absieht, duftet der Frühling wirklich schön...

Bild 1: Duft-Veilchen im Garten
(Foto: Blume)

Das Stichwort lautet Gas. Ein Gas ist Materie, deren kleinste Teilchen den Kontakt untereinander verloren haben, weil sich die Teilchen sehr rasch bewegen. Dahinter steckt letztlich das griechische „Chaos“, was heute für Unordnung steht, im Altgriechischen aber eher „Luftraum“ bedeutete. Insgesamt ist die Herkunft des Wortes eine so komplizierte Sache, dass hier auf etymologische Wörterbücher wie z. B. den Klassiker „Kluge“ [1] verwiesen werden muss.

Ein Blick in das Periodensystem der Elemente verdeutlicht, dass es gar nicht so viele Elemente gibt, die unter den Normalbedingungen (also bei einem Druck um 1013 mbar und Temperaturen um 15 °C ) gasförmig sind. Diese sind

  • Wasserstoff H2,
  • die Luftbildner N2 und O2,
  • die Halogene F2 und Cl2,
  • die einatomig vorliegenden Edelgase (He, Ne, Ar, Kr, Xe und Rn)

Dazu gibt es noch sehr viele gasförmige Verbindungen, die aus verschiedenen Atomarten bestehen. Beispiele sind Kohlenstoffdioxid (CO2) und Kohlenstoffmonoxid (CO), Methan (CH4), Stickstoffdioxid (N2O) und der für uns besonders wichtige Wasserdampf (H2O).

In einem gegebenen Volumen befinden sich bei den verschiedenen Gas-Arten ungefähr die gleiche Anzahl von Gas-Teilchen. Da die Teilchen unterschiedliche Atom- bzw. Molekül-Massen besitzen, sind gleiche Volumina unterschiedlich schwer. Man sagt, dass die Gase unterschiedlich dicht sind. So wiegt ein Kubikmeter Wasserstoff knapp 0,1 kg. Ein Kubikmeter Radon bringt dagegen das fast Hundertfache, nämlich fast 10 kg auf die Waage!

Man kann Gase stark abkühlen, dann bleiben die Teilchen aneinander kleben. Die Gase werden flüssig und sogar fest. Flüssiges oder festes Radon ist so schwer wie Quecksilber oder Blei!

Meistens zieht man zum Vergleich unsere uns umgebende Luft heran. Ihre Dichte beträgt bei Normalbedingungen 1,23 kg pro m3.

Mit Helium gefüllte Ballons steigen deshalb in der Luft auf. Denn die Dichte von Helium beträgt nur 0,178 kg pro m3.

Warme Gase haben eine geringere Dichte als kalte. Je wärmer ein Gas ist, desto mehr Volumen beansprucht es. Darauf beruht die Technik der Heißluft-Ballons - Grund auch dafür, dass der warme Pups zunächst nach oben steigt. Er kühlt sich dabei ab und verteilt sich rasch im ganzen Raum.

Das Entstehen bzw. das Vorliegen bestimmter Gase kann man in einem kleinen Experiment zeigen.


In ein hohes Glas (z. B. eine Vase) gibt man ausreichend viel Natriumhydrogencarbonat. Man bereitet eine Kerze oder ein Teelicht mit einem Draht so vor, dass man sie nach dem Anzünden in den Luftraum der Vase einführen kann. Dann gibt man Essigsäure-Lösung zum Carbonat. Es entwickelt sich ein Gas. Man wartet etwas, dann führt man die brennende Kerze in den Luftraum. Wir sehen, dass sie bald verlischt.

Sicherheitshinweis: Dieser Versuch eignet sich nicht für alle Gase. So darf man beispielsweise nicht Zink und Salzsäure mischen. Zwar entsteht ein Gas, in diesem Fall Wasserstoff. Wenn man hier eine Kerze einbringt, gibt es eine Verpuffung – Knallgas!

Erklärung: Das entstehende Gas breitet sich vom Bodenbereich aus langsam nach oben aus – und verdrängt die zur Verbrennung benötigte Luft – genau genommen den Sauerstoff, der die Verbrennung unterstützt.

Wir sehen, dass man die unsichtbare Materie namens „Gas“ nur durch Beobachtungen ihrer Wirkung auf die Umgebung quasi sichtbar machen kann. Man sieht das Gas nicht, aber da muss etwas sein, was zum Beispiel die Kerzenflamme zum Erlöschen bringt. Hier ist es das Kohlenstoffdioxid. Die Reaktionsgleichung seiner Entstehung:

NaHCO3 + CH3COOH → CH3COONa + HO + CO2

In Bad Pyrmont gab es oder gibt es eine Quelle mit stark CO2-haltigem Wasser. In einer niedrigen Senke sammelt sich daraus ausströmendes CO2. Ein Mann stieg in die kniehohe Senke und zog dabei einen kleinen Hund mit sich. Der wehrte sich – er wusste wohl schon, was mit ihm sogleich passieren würde: Er fiel nämlich wegen Atemnot einfach um, während der Mann über „Kohlensäure“ schwadronierte. Der Hund wurde anschließend aus der Senke rausgeschleift und mit Hilfe von ein paar Ohrfeigen reanimiert.


Gibt es noch mehr Anzeichen für die unsichtbare Materie?
Da gibt es viele. Hier eine Auswahl:

1. Bei Energiezufuhr verdampfen Flüssigkeiten oder sie verdunsten auch bei konstanter Temperatur zu unsichtbaren Gasen. Manche Festkörper verdampfen, ohne zu verflüssigen. Das nennt man Sublimieren. Ein Beispiel sind Kristalle vom Iod, aber auch festes CO2 („Kohlensäure-Schnee“). Hier kommt eine Einschränkung: Es gibt – wenn auch wenige Gase – die nicht unsichtbar sind, weil sie farbig sind. Der violette Iod-Dampf ist ein Beispiel. Chlorgas ist gelbgrün (griech. chloros, grün). Stickstoffdioxid NO2 ist rotbraun-farbig.

2. Manche Gase riechen. Man sagt, dass Hunde mit der Nase sehen. Manches Unsichtbare kann man durchaus am Geruch erkennen. Ein Gas, das besonders intensiv riecht, hat seinen Namen vom griechischen ozein, riechen oder stinken. Ozon heißt also das „Riechende“. Verdünnt erscheint grünes Chlorgas farblos. Aber der Geruch bleibt und warnt uns auch bei geringer Konzentration vor dem giftigen Gas. Auch andere Gase riechen charakteristisch. Einige Beispiele: Halogene riechen nach Chlor, also chlorartig. Das gilt auch für Stickoxide (NOx), Fettsäuren mit kürzeren C-Ketten riechen nach Schweiß. Manche Schwefelverbindungen wie Schwefelwasserstoff (H2S) oder Thiole (R-SH) riechen nach Fäkalien (da sind wir wieder beim Pups...). Sie werden unter anderem auch dem ansonsten geruchlosen Stadtgas zugefügt – um vor Gasaustritt zu warnen.

Es sei aber daran erinnert, dass nicht alle giftigen Gase riechen. So ist das hochgiftige Kohlenmonoxid nicht nur farblos, sondern dazu auch noch geruchlos.

Es gibt aber auch Gerüche, die man mag – und nennt sie dann „Duft“. Gerade in der organischen Chemie gibt es eine Vielzahl riechender Stoffe. Dies ist unter anderem die Grundlage der Duftstoff- bzw. Parfüm-Industrie.

3. Luftteilchen sind ganz schön stark. Das merkt man, wenn sich bewegte Luftpakete bilden. Die nennt man Wind, Sturm oder sogar Orkan.

Bild 2: Sturmwolke
(Foto: Blume)

Bild 3: Sturmschaden: Umgeworfene Fichte
(Foto: Blume)

Man kann bei einem fahrenden Auto die Hand aus dem Fenster halten und spürt den Luftdruck. Anstrengendes Radfahren gegen den Wind kennt wohl jeder. Mit dem Wind geht es viel leichter...

Fliegen ist umgekehrt die rasche Bewegung auf einem Luftpolster; man rutscht quasi auf der Luft und deren Wirbel.

Weil sich die Gasteilchen ständig anstoßen, verteilen sich verschiedene Gase rasch im gebotenen Raum. Deshalb riecht es nach einem einzelnen Pups rasch im ganzen Klassenzimmer.

4. Beispielhaft sind auch die Lichtmühlen. Die drehen sich, wenn sie beleuchtet werden. Es sind aber nicht die Lichtteilchen (Photonen), die die Mühle antreiben, sondern Luftteilchen, die auf die durch das Licht erwärmte, geschwärzte Seite der Mühlenflügel stoßen (Impulsübertragung).

Bild 4: Gegenläufige Lichtmühlen
(Foto: Blume)

5. Man kann natürlich auch zeigen, das unsichtbare Gase „richtige“ Materie sind: Man muss sie (wie schon erwähnt) nur stark abkühlen, sodass sie zunächst Nebel bilden, dann verflüssigt werden und bei noch tieferen Temperaturen sogar erstarren. Das geht beim Wasserdampf schon bei geringerem Abkühlen. Die Atemluft enthält unsichtbaren Wasserdampf – den sieht man aber, wenn man bei kaltem Wetter ausatmet. Grund: Der unsichtbare, weil gasförmige Wasserdampf bildet bei Abkühlung Nebel, der aus feinsten Wassertropfen besteht. (Hier merkt man wieder, wie verwirrend das Wort Wasserdampf ist. Denn Dampf ist im Sprachgebrauch eigentlich eine Art Nebel – zum Beispiel über kochendem Wasser… Und gibt es das Wassergas? Ja – aber das ist ein Gemisch aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid.)

Auf diese Weise bilden sich Wolken am Himmel. Auch Kondensstreifen gehören dazu.

Bild 5: Kondensstreifen
(Foto: Blume)

Die Lufthülle der Erde nennt man auch Atmosphäre (griech. atmos, Dunst und sphaira, Kugel). Das Vorliegen einer Lufthülle hängt unter anderem ab von der Größe des Planeten, also von seiner Anziehung. Je kleiner der Planet ist, desto unwahrscheinlicher ist das Vorhandensein einer Lufthülle. Da hat der Kleine Prinz auf seinem Asteroiden [2] sicherlich echte Atem-Schwierigkeiten...


Weiteres Unsichtbares in unserer Luft
Neben gesundheits- oder klimaschädlichen Gasen gibt es noch allerlei Kleinkram, der für uns oftmals ungesund ist, den wir aber nicht sehen. Da sind z. B. die zurzeit sattsam bekannten Viren. Dazu kommen Bakterien, Pollen und Feinstaub. Pollen sieht man nur in konzentrierter Form (Pollen-Staub).

Bild 6: Fichtenpollen-Staub
(Foto: Blume)


Auch was man nicht sieht, muss man reinhalten!
Problematisch ist die Luftverschmutzung. Maßnahmen zu ihrer Verringerung sind aufwendig und kostspielig. Dazu haben wir eine große Webseitengruppe.


Last but not least
Auch in der Weltall-Wissenschaft spielt unsichtbare Materie eine wichtige Rolle. Es handelt sich um die „Dunkle Materie“, die noch keiner gesehen hat und die man als Mensch wohl niemals sehen wird. Wir haben – anders als bei den Gasen – noch keinerlei Hinweise auf ihre Eigenschaften. Ihr Vorhandensein ist bislang nur als mathematisches Konstrukt „nachgewiesen“. So scheint sie unerlässlich für den Zusammenhalt des Weltalls zu sein. Aber das ist eine andere Geschichte...


Literatur:
[1] F. Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Walter de Gruyter. Berlin 1995.
[2] Antoine de Saint-Exupéry: Der Kleine Prinz, Karl Rauch-Verlag, Düsseldorf 2020.


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Letzte Überarbeitung: 30. März 2022, Fritz Franzke