Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie


Tipp des Monats August 2023 (Tipp-Nr. 314)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Die Oderkatastrophe – ein geeigneter Kontext für den naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht

Dennis Dietz

Vor einem Jahr erreichten uns wahrlich erschütternde Bilder von der Oder. Aus zunächst unbekannten Gründen hatte ein Massensterben von Fischen, Muscheln, Schnecken und anderen Lebewesen eingesetzt. Am Ende sind schätzungsweise 400 Tonnen Fisch in der Oder verendet.[1]

Bild 1: Der Lebensraum „Oder“ im Osten Eisenhüttenstadts
(Foto: Dietz)

Die Suche nach der oder den Ursachen für das Massensterben an der Oder beschäftigte Wissenschaftler*innen über viele Wochen und wurde medial intensiv begleitet. Die Ursachenforschung für die Oderkatastrophe kann daher als alltagsnaher, lebensweltbezogener Kontext genutzt werden, wenn im naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht abiotische und biotische Einflussfaktoren für Lebensräume thematisiert werden.


Die Suche nach der Ursache für das Fischsterben in der Oder bietet ein hohes didaktisches Potenzial
Im naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht ist das Themenfeld „Pflanzen, Tiere, Lebensräume“ zu unterrichten.[2, S. 28] In diesem Zusammenhang sind auch abiotische Einflussfaktoren für Lebewesen, wie z.B. Temperatur, Lichtintensität und Mineralsalze zu betrachten.[2] Am Beispiel des Lebensraums „Oder“ und der Katastrophe aus dem Sommer 2022 können die im Rahmenlehrplan vorgesehenen Lerninhalte an einem einzigen Kontext unterrichtet werden, der die gesamte Unterrichtsreihe umfasst.

Der Einstieg in den Kontext „Oderkatastrophe“ kann anhand von Zeitungsartikeln [z. B. 3] oder Videoausschnitten aus Mediatheken [z. B. 4] erfolgen. Im Anschluss können die Schüler*innen Vermutungen dazu formulieren, welche Veränderungen im Lebensraum „Oder“ zu dem Massensterben von Fischen und anderen Lebewesen geführt haben können.

Im Zuge der Erprobung dieses Einstiegs haben Schüler*innen einer Gemeinschaftsschule in Berlin-Reinickendorf im Unterricht u.a. folgende Vermutungen formuliert:

  1. „Das Wasser war im Sommer zu warm für die Fische.“
  2. „Das Wasser war zu salzig für die Fische, die nur in Süßwasser leben können.“
  3. „Das Wasser war zu trübe, sodass die Wasserpflanzen kein Licht mehr bekommen haben und gestorben sind. Dadurch hatten die Fische nichts mehr zu fressen.“
  4. „Jemand hat einen Stoff in das Wasser gegeben, der für die Fische giftig ist.“

Diese Vermutungen können im Laufe der Unterrichtsreihe aufgegriffen werden, um die Bedeutung der abiotischen Faktoren Temperatur (Vermutung 1), Salzgehalt (Vermutung 2), Lichtintensität/Trübung (Vermutung 3) oder pH-Wert (ein möglicher Zugang zur Vermutung 4) für den Lebensraum „Oder“ einzeln zu klären und (modellhaft) experimentelle Zugänge zur Messung dieser abiotischen Faktoren zu erarbeiten.


Experimentelle Untersuchung abiotischer Faktoren im Unterricht
Für die experimentelle Bestimmung der abiotischen Faktoren „Temperatur“, „Salzgehalt“ und „pH-Wert“ sei an dieser Stelle auf andere Monatstipps verwiesen.

In diesem Monatstipp soll die experimentelle Untersuchung der Trübung von Wasser beschrieben werden. Die Trübung einer Lösung kann bestimmt werden, indem man einen Lichtstrahl durch die Lösung schickt und die Schwächung des Lichtstrahls mit einem geeigneten Detektor misst.[5] Gemessen wird die sogenannte Beleuchtungsstärke, also der flächenbezogene Lichtstrom, der auf ein beleuchtetes Objekt trifft. Detektoren, die die Beleuchtungsstärke messen können, sind in Smartphones vorhanden, sodass Messungen dieser Art auch im schulischen Bereich leicht möglich sind. Dazu muss lediglich eine der zahlreichen kostenlosen Apps auf das Smartphone heruntergeladen werden. Das Messprinzip zur Bestimmung der Trübung von Wasser kann dann mit dem im Folgenden beschriebenen Modellexperiment demonstriert werden:


Versuch: Experimentelle Bestimmung der Trübung von Wasser

Geräte und Materialien: Becherglas, Tropfpipette, Dreifuß, Smartphone, Taschenlampe (einzeln oder in einem zweiten Smartphone), Milch und Leitungswasser

Durchführung: In ein Becherglas werden 100 mL Leitungswasser gegeben. Die Beleuchtungsstärke wird gemessen, indem eine Taschenlampe auf der einen und ein Smartphone mit dem Detektor auf der anderen Seite des Becherglases positioniert werden. Im Folgenden wird sukzessive ein definiertes Volumen Milch hinzugetropft, gerührt und die sich jeweilige einstellende Beleuchtungsstärke gemessen.

Bild 2: Versuchsaufbau zur Untersuchung der Trübung von Wasser
(Foto: Dietz)

Im Zuge der hier beschriebenen Versuchsdurchführung wurden folgende Messwerte für die Beleuchtungsstärke ermittelt:

Tropfen Milch zu 100 mL Wasser Beleuchtungsstärke in Lux (lx)
0 2480
5 1680
10 1240
15 940
20 660
25 560
30 502
35 458

Es ist deutlich zu erkennen, dass mit zunehmender Trübung des Wassers weniger Licht das Wasser passiert, sodass eine geringere Beleuchtungsstärke gemessen wird. Im Zuge der Auswertung können die Schüler*innen üben, einen einfachen quantitativen Zusammenhang zwischen zwei Größen (Trübung und Beleuchtungsstärke) zu formulieren. Leistungsstärkere Schüler*innen können sich darüber hinaus an der graphischen Darstellung der Messergebnisse (natürlich mit Einhilfen, da wir uns im naturwissenschaftlichen Anfangsunterricht befinden) probieren.


Die Ursache für die Oderkatastrophe im Jahr 2022
Schlussendlich fanden Wissenschaftler*innen heraus, dass das Massensterben durch die Algenart Prymnesium parvum ausgelöst wurde, welche ein für viele Wasserorganismen tödliches Gift absondert.[6] Diese Algenart kommt unter normalen Umständen nicht in der Oder vor, da sie auf einen hohen Salzgehalt im Wasser angewiesen ist.[6] Dieser hohe Salzgehalt ist in der Oder temporär durch industrielle Einleitungen von Abwasser entstanden.


Fazit
Am Kontext der Oderkatastrophe 2022 können wesentliche Kompetenzen der Schüler*innen aus dem Bereich der Erkenntnisgewinnung gefördert werden. Aber nicht nur das! Der Kontext ermöglicht es weiterhin exemplarisch aufzuzeigen, wie vereinzelte (menschliche) Eingriffe massive Folgen für ein Ökosystem haben können. Damit trägt die Auseinandersetzung mit der Oderkatastrophe im Sommer 2022 zur Bildung für nachhaltige Entwicklung bei. In diesem Zusammenhang kann man den Schüler*innen auch zeigen, dass wesentliche abiotische Einflussfaktoren regelmäßig für bedeutsame Gewässer überprüft werden. Entsprechende Messwerte jeweils für die letzten 31 Tage sind bspw. für die Messstation „Frankfurt Oder“ online zu finden.[s. 7]

Darüber hinaus ist es möglich, anhand des Kontexts „Oderkatastrophe“ die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Gesellschaft aufzuzeigen. Erst die von den Wissenschaftler*innen betriebene Ursachenforschung ermöglicht es schließlich, zukünftige potenzielle Katastrophen dieser Art zu verhindern, indem entsprechende Gegenmaßnahmen getroffen werden können.


Danksagung
Einen besonderen Dank möchte ich meiner Frau, Beatrice Dietz, aussprechen, die die hier lediglich skizzierte Unterrichtsreihe gemeinsam mit mir entwickelt und im vergangenen Schuljahr an ihrer Schule erprobt hat.


Literatur:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Umweltkatastrophe_in_der_Oder_2022, letzter Zugriff: 10.08.23
[2] https://bildungsserver.berlin-brandenburg.de/fileadmin/bbb/unterricht/rahmenlehrplaene/Rahmenlehrplanprojekt/amtliche_Fassung/Teil_C_Nawi_5-6_2015_11_16_web.pdf letzter Zugriff: 10.08.23
[3] https://www.zeit.de/green/2022-08/fischsterben-oder-umwelt-polen-brandenburg letzter Zugriff: 10.08.23
[4] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/oder-sterben-fische-ursache-100.html, letzter Zugriff: 10.08.23
[5] D. C. Harris (2003). Quantitative Chemical Analysis. 6. Edition. Freeman.
[6] https://www.igb-berlin.de/news/verdacht-erhaertet-sich-algengift-einer-brackwasser-art-oderwasser-nachgewiesen letzter Zugriff: 10.08.23
[7] https://lfu.brandenburg.de/lfu/de/aufgaben/wasser/fliessgewaesser-und-seen/gewaesserueberwachung/wasserguetemessnetz/frankfurt-oder/#, letzter Zugriff: 10.08.23


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Letzte Überarbeitung: 15. August 2023, Fritz Franzke