Beim Experimentieren den Allgemeinen
Warnhinweis
unbedingt beachten.
Haare gegen Ölkatastrophen
Dennis Dietz & Sabine Streller
2023 auf den Philippinen, 2022 in Thailand, 2021 am Huntington Beach der Vereinigten Staaten von
Amerika… In regelmäßigen Abständen ist in den Nachrichten von Ölkatastrophen zu lesen, die verheerende
Folgen für die lokalen Ökosysteme haben [1]. Aber nicht nur durch Unglücke kann Öl in die Meere
gelangen. Illegal entsorgte Treibstoffreste von Schiffen und „Geklecker“ von Bohrinseln sind weitere
Quellen für Ölverschmutzungen in Meeren [2]. Laut der Schutzstation Wattenmeer sterben jährlich rund
15000 Seevögel allein an der deutschen Wattenmeerküste durch die sogenannte „schleichende Ölpest“, die
eben nicht durch Unfälle hervorgerufen wird [2].
Um etwas gegen die Ölverschmutzung in Meeren zu unternehmen hat der französische Friseurmeister Thierry
Gras ein Verfahren entwickelt, mit dem Ölverschmutzungen aus den Meeren entfernt werden können [3]. In
diesem Verfahren kommen nicht nur die haarigen Abfälle, die beim Friseur entstehen, zum Einsatz, sondern
auch gebrauchte Thrombose-Strümpfe, in denen die Haare abgefüllt sind [3]. Mit Abfall gegen
Verschmutzungen!
Das Thematisieren der Bedeutung von Ölkatastrophen und die Auseinandersetzung mit Lösungsmöglichkeiten
zum Umgang mit diesen stellt u. E. einen bedeutsamen – da allgemeinbildungsrelevanten – Lerninhalt für
Schüler*innen dar. In diesem Monatstipp wollen wir aufzeigen, wie Kompetenzen von Schüler*innen aus den
Bereichen Fachwissen und Erkenntnisgewinnung am Kontext „Haare gegen Ölkatastrophen“ gefördert werden
können.
Haare als potenzielle „Ölfilter“ – ein Unterrichtseinstieg, der Fragen
aufwirft
Wenn man Schüler*innen zum Einstieg in eine Unterrichtsstunde einen Zeitungsartikel präsentiert,
in welchem das von Thierry Gras propagierte Verfahren beschrieben wird, können Schüler*innen
zahlreiche Fragestellungen formulieren, denen theoretisch und experimentell nachgegangen werden kann.
Zu diesen Fragen gehören bspw.:
- Wieso sollten Haare Öl aus Wasser „binden“ können?
- Ist es wirklich möglich mit Haaren Öl aus Wasser zu entfernen?
- Ist es auch möglich mit anderen Naturfasern oder synthetischen Fasern Öl aus Wasser zu entfernen?
- Welches Material (Haare, synthetische Fasern, Naturfasern) kann Öl am besten aus Wasser entfernen?
- Beeinflussen bestimmte Eigenschaften von Haaren (wie Haarfarbe oder Lockigkeit) die Fähigkeit von
Haaren, Öl aus Wasser effektiv zu entfernen?
- Beeinflussen verschiedene Bestandteile des Meerwassers (z.B. der Salzgehalt) die Fähigkeit von
Haaren, Öl aus Wasser effektiv zu entfernen?
Den ersten vier Fragen werden wir im Rahmen dieses Monatstipps auf den Grund gehen.
Können Haare potenziell Öl „binden“? Zum Aufbau von Haaren
Um die erste Frage beantworten zu können, ist es notwendig, sich mit dem Aufbau von Haaren zu
beschäftigen. Den grundsätzlichen Aufbau von Haaren haben wir bereits in einem vergangenen Monatstipp
beschrieben. Die Cuticula stellt die äußere Hülle des Haares
dar und wird zusätzlich in eine innere Schicht (Endocuticula) und eine äußere Schicht (Epicuticula)
unterteilt [4]. Während die Endocuticula hydrophile Eigenschaften aufweist, ist die Epicuticula extrem
hydrophob [4]. Die hydrophobe Eigenschaft der Epicuticula ist darauf zurückzuführen, dass sie zu 40 % aus
18-Methyl-Eicosansäure (engl. 18-methyl eicosanoic acid, kurz: 18-MEA) besteht [4].

Bild 1: Strukturformel von 18-MEA
(Bild: Dietz)
Anhand der Strukturformel (Bild 1) ist gut zu erkennen, dass 18-MEA eine lange unpolare Alkylkette besitzt
und damit theoretisch mit den ebenfalls unpolaren Bestandteilen des Rohöls wechselwirken können müsste,
sodass das Rohöl an den Haaren adsorbieren sollte. Im Folgenden werden wir diese theoretischen Überlegungen
experimentell überprüfen.
Zur experimentellen Überprüfung: Kann man mit Haaren oder anderen
natürlichen oder synthetischen Fasern Öl aus Wasser entfernen?
Um die Fragen 2
bis 4 (s.o.) experimentell untersuchen zu können, führen wir ein Modellexperiment
durch, in welchem wir die Fähigkeit von Haaren, Wolle, Viskose-Watte (Naturfasern) und Polyester (ein
Vertreter synthetischer Fasern) zur Adsorption von Öl in einem Öl-Wasser-Gemisch testen. Dazu wird eine
definierte Menge jeden Materials in ein Öl-Wasser-Gemisch gegeben und anschließend ein weiteres Mal
gewogen. Dieses Vorgehen wird mit reinem Wasser wiederholt, um die Aufnahme von Wasser durch das Material
in der Auswertung berücksichtigen zu können.
Um die einzelnen Materialien miteinander vergleichen zu können, müssen wir unbedingt auf die
Konstanthaltung möglicher Störvariablen achten. Daher ist es wichtig, in allen Fällen die gleichen Mengen an
Öl-Wasser-Gemisch und Adsorptionsmaterial zu verwenden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die
Materialien für die gleiche Zeit auf die gleiche Art und Weise mit dem Öl-Wasser-Gemisch in Kontakt kommen.
Nach dem Herausnehmen des Materials aus dem Öl-Wasser-Gemisch sollte eine konstante Abtropfzeit eingehalten
werden, bevor das Material ein zweites Mal gewogen wird.
Versuch: Mit Haaren Öl adsorbieren
In vier 600 mL-Bechergläsern werden jeweils 1,00 g Rohöl in 200 g Leitungswasser gegeben, in vier
weiteren Bechergläsern werden jeweils 200 g Leitungswasser vorgelegt. Zusätzlich werden jeweils zwei
Mal je 0,50 g Haare, Polyester, Wolle und Viskose-Watte in einer Petrischale gewogen. Das jeweilige
Material wird jeweils einmal in dem Öl-Wasser-Gemisch und einmal im Leitungswasser für jeweils eine
Minute mit einem Glasstab gerührt.

Bild 2: Haare werden in einem Öl-Wasser-Gemisch gerührt
(Foto: Dietz)
Nach dem Herausnehmen des Materials wird eine Abtropfzeit von zwei Minuten eingehalten, bevor das
Material ein zweites Mal gewogen wird.
Beobachtung: Rohöl adsorbiert an allen vier Materialien sichtbar.

Bild 3: Alle Materialien entfernen einen Teil des Öls aus dem Öl-Wasser-Gemisch
(Foto: Dietz)
Die Mengen des jeweils adsorbierten Öl-Wasser-Gemisches bzw. des aufgenommenen Wassers sind in der
Tabelle 1 dargestellt.
Material |
m (Material trocken) |
Δm (Material in Öl-Wasser-Gemisch) |
Δm (Material in Wasser) |
Haare |
0,50 g |
2,39 g |
0,61 g |
Polyester |
0,50 g |
5,53 g |
19,43 g |
Wolle |
0,50 g |
4,97 g |
4,71 g |
Viskose-Watte |
0,50 g |
5,84 g |
6,83 g |
Tab. 1 Messwerte zum aufgenommen Öl-Wasser-Gemisch bzw. zum aufgenommenen
Wasser
|
Wie auf Bild 3 zu erkennen und Tabelle 2 zu entnehmen ist, ist es mit allen Materialien grundsätzlich
möglich, einen Teil des Rohöls aus dem Öl-Wasser-Gemisch zu entfernen. Auf den ersten Blick scheint
Viskose-Watte dafür sehr gut geeignet zu sein. Aber wie viel des zusätzlichen Gewichts ist eigentlich auf
die Adsorption von Öl und wie viel auf die Aufnahme von Wasser zurückzuführen? Um zu bestimmen, welches
Material sich am besten für die Adsorption eignet (Frage 4, s.o.), kann das sogenannte
Öl-Adsorptions-Verhältnis r berechnet werden [5, S. 12]:

Mit Hilfe der Werte aus der Tabelle 1 haben wir folgende Öl-Adsorptionsverhältnisse r für die einzelnen
Materialien bestimmt:
Material |
Öl-Adsorptions-Verhältnis r |
Haare |
17,2 |
Polyester |
0,3 |
Wolle |
1,1 |
Viskose-Wolle |
0,8 |
Tab. 2 Ergebnisse aus der experimentellen Bestimmung des Öl-Adsorptions-Verhältnisses
für vier ausgewählte Materialien
Unsere Ergebnisse zeigen nun ganz klar, dass Haare besonders gut Öl adsorbieren und damit aus Wasser
entfernen können (s. Tab. 2). Wie das Öl an den einzelnen Fasern adsorbiert, ist dabei durchaus ansprechend
anzuschauen.

Bild 4: Öl adsorbiert an Haaren
(Foto: Dietz)
Das hier vorgestellte Experiment eignet sich hervorragend dafür, mit Schüler*innen über Störvariablen zu
sprechen und systematische Fehlerbetrachtungen durchzuführen. Beispielsweise können Unterschiede in der
Abtropfzeit (vor dem Auswiegen) die Ergebnisse stark beeinflussen. Aus diesem Grund ist es auch sinnvoll,
Messungen zu wiederholen und die berechneten Mittelwerte in einem didaktisch angemessenen Rahmen statistisch
miteinander zu vergleichen. Wenn verschiedene Gruppen innerhalb einer Klasse experimentieren, erhält man auf
einfache Art und Weise viele Messwerte, mit denen man im Unterricht durchaus wissenschaftspropädeutisch
arbeiten kann.
Fazit
Ölverschmutzungen in Meeren stellen wahre
Katastrophen für das jeweilige Ökosystem dar. Wenn solche
Katastrophen auftreten, gilt es so schnell wie möglich zu handeln. Das von Thierry Gras propagierte
Verfahren kann hier einen wertvollen Beitrag leisten und ist so neu nicht. Bereits 2010 bei der
Deepwater-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko wurden Haare als Adsorptionsmittel eingesetzt [6]. Und
schon 1989 hat ein Friseur aus Alabama mit abgeschnittenem Menschenhaar experimentiert, um Öl aus Wasser
aufzunehmen [6].
Danksagung:
Ein herzlicher Dank geht an Marei Zylka für ihre Unterstützung sowohl bei den Recherchen und als auch
beim Experimentieren für diesen Monatstipp – und nicht zu vergessen für die Haarspende!
Literatur:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_bedeutender_%C3%96lunf%C3%A4lle,
letzter Zugriff: 19.12.24
[2] https://www.schutzstation-wattenmeer.de/naturschutz/gefaehrdungen/verschmutzung/oel/#:~:text=Pro%20Jahr%20sterben%20an%20der,V%C3%B6geln%20zus%C3%A4tzlich%20das%20Leben%20kosten,
letzter Zugriff: 19.12.24
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/haare-oelfilter-thierry-gras-100.html,
letzter Zugriff: 19.12.24
[4] Wertz, P.W., & Downing, D.T. (1988). Integral lipids of human hair. Lipids 23, 878–881.
[5] Pagnucco, R. & Phillips, M. L. (2018). Comparative effectiveness of natural by-products and
synthetic sorbents in oil spill booms. Journal of Environmental Management, 225, 10-16.
[6] https://www.sueddeutsche.de/panorama/mauritius-oel-haare-1.4998519,
letzter Zugriff: 19.12.24
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