Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie


Tipp des Monats Januar 2025 (Tipp-Nr. 328)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Haare gegen Ölkatastrophen

Dennis Dietz & Sabine Streller

2023 auf den Philippinen, 2022 in Thailand, 2021 am Huntington Beach der Vereinigten Staaten von Amerika… In regelmäßigen Abständen ist in den Nachrichten von Ölkatastrophen zu lesen, die verheerende Folgen für die lokalen Ökosysteme haben [1]. Aber nicht nur durch Unglücke kann Öl in die Meere gelangen. Illegal entsorgte Treibstoffreste von Schiffen und „Geklecker“ von Bohrinseln sind weitere Quellen für Ölverschmutzungen in Meeren [2]. Laut der Schutzstation Wattenmeer sterben jährlich rund 15000 Seevögel allein an der deutschen Wattenmeerküste durch die sogenannte „schleichende Ölpest“, die eben nicht durch Unfälle hervorgerufen wird [2]. Um etwas gegen die Ölverschmutzung in Meeren zu unternehmen hat der französische Friseurmeister Thierry Gras ein Verfahren entwickelt, mit dem Ölverschmutzungen aus den Meeren entfernt werden können [3]. In diesem Verfahren kommen nicht nur die haarigen Abfälle, die beim Friseur entstehen, zum Einsatz, sondern auch gebrauchte Thrombose-Strümpfe, in denen die Haare abgefüllt sind [3]. Mit Abfall gegen Verschmutzungen!

Das Thematisieren der Bedeutung von Ölkatastrophen und die Auseinandersetzung mit Lösungsmöglichkeiten zum Umgang mit diesen stellt u. E. einen bedeutsamen – da allgemeinbildungsrelevanten – Lerninhalt für Schüler*innen dar. In diesem Monatstipp wollen wir aufzeigen, wie Kompetenzen von Schüler*innen aus den Bereichen Fachwissen und Erkenntnisgewinnung am Kontext „Haare gegen Ölkatastrophen“ gefördert werden können.


Haare als potenzielle „Ölfilter“ – ein Unterrichtseinstieg, der Fragen aufwirft
Wenn man Schüler*innen zum Einstieg in eine Unterrichtsstunde einen Zeitungsartikel präsentiert, in welchem das von Thierry Gras propagierte Verfahren beschrieben wird, können Schüler*innen zahlreiche Fragestellungen formulieren, denen theoretisch und experimentell nachgegangen werden kann. Zu diesen Fragen gehören bspw.:

  1. Wieso sollten Haare Öl aus Wasser „binden“ können?
  2. Ist es wirklich möglich mit Haaren Öl aus Wasser zu entfernen?
  3. Ist es auch möglich mit anderen Naturfasern oder synthetischen Fasern Öl aus Wasser zu entfernen?
  4. Welches Material (Haare, synthetische Fasern, Naturfasern) kann Öl am besten aus Wasser entfernen?
  5. Beeinflussen bestimmte Eigenschaften von Haaren (wie Haarfarbe oder Lockigkeit) die Fähigkeit von Haaren, Öl aus Wasser effektiv zu entfernen?
  6. Beeinflussen verschiedene Bestandteile des Meerwassers (z.B. der Salzgehalt) die Fähigkeit von Haaren, Öl aus Wasser effektiv zu entfernen?

Den ersten vier Fragen werden wir im Rahmen dieses Monatstipps auf den Grund gehen.


Können Haare potenziell Öl „binden“? Zum Aufbau von Haaren
Um die erste Frage beantworten zu können, ist es notwendig, sich mit dem Aufbau von Haaren zu beschäftigen. Den grundsätzlichen Aufbau von Haaren haben wir bereits in einem vergangenen Monatstipp beschrieben. Die Cuticula stellt die äußere Hülle des Haares dar und wird zusätzlich in eine innere Schicht (Endocuticula) und eine äußere Schicht (Epicuticula) unterteilt [4]. Während die Endocuticula hydrophile Eigenschaften aufweist, ist die Epicuticula extrem hydrophob [4]. Die hydrophobe Eigenschaft der Epicuticula ist darauf zurückzuführen, dass sie zu 40 % aus 18-Methyl-Eicosansäure (engl. 18-methyl eicosanoic acid, kurz: 18-MEA) besteht [4].

Bild 1: Strukturformel von 18-MEA
(Bild: Dietz)

Anhand der Strukturformel (Bild 1) ist gut zu erkennen, dass 18-MEA eine lange unpolare Alkylkette besitzt und damit theoretisch mit den ebenfalls unpolaren Bestandteilen des Rohöls wechselwirken können müsste, sodass das Rohöl an den Haaren adsorbieren sollte. Im Folgenden werden wir diese theoretischen Überlegungen experimentell überprüfen.


Zur experimentellen Überprüfung: Kann man mit Haaren oder anderen natürlichen oder synthetischen Fasern Öl aus Wasser entfernen?
Um die Fragen 2 bis 4 (s.o.) experimentell untersuchen zu können, führen wir ein Modellexperiment durch, in welchem wir die Fähigkeit von Haaren, Wolle, Viskose-Watte (Naturfasern) und Polyester (ein Vertreter synthetischer Fasern) zur Adsorption von Öl in einem Öl-Wasser-Gemisch testen. Dazu wird eine definierte Menge jeden Materials in ein Öl-Wasser-Gemisch gegeben und anschließend ein weiteres Mal gewogen. Dieses Vorgehen wird mit reinem Wasser wiederholt, um die Aufnahme von Wasser durch das Material in der Auswertung berücksichtigen zu können.

Um die einzelnen Materialien miteinander vergleichen zu können, müssen wir unbedingt auf die Konstanthaltung möglicher Störvariablen achten. Daher ist es wichtig, in allen Fällen die gleichen Mengen an Öl-Wasser-Gemisch und Adsorptionsmaterial zu verwenden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Materialien für die gleiche Zeit auf die gleiche Art und Weise mit dem Öl-Wasser-Gemisch in Kontakt kommen. Nach dem Herausnehmen des Materials aus dem Öl-Wasser-Gemisch sollte eine konstante Abtropfzeit eingehalten werden, bevor das Material ein zweites Mal gewogen wird.


Versuch: Mit Haaren Öl adsorbieren


In vier 600 mL-Bechergläsern werden jeweils 1,00 g Rohöl in 200 g Leitungswasser gegeben, in vier weiteren Bechergläsern werden jeweils 200 g Leitungswasser vorgelegt. Zusätzlich werden jeweils zwei Mal je 0,50 g Haare, Polyester, Wolle und Viskose-Watte in einer Petrischale gewogen. Das jeweilige Material wird jeweils einmal in dem Öl-Wasser-Gemisch und einmal im Leitungswasser für jeweils eine Minute mit einem Glasstab gerührt.

Bild 2: Haare werden in einem Öl-Wasser-Gemisch gerührt
(Foto: Dietz)

Nach dem Herausnehmen des Materials wird eine Abtropfzeit von zwei Minuten eingehalten, bevor das Material ein zweites Mal gewogen wird.

Beobachtung: Rohöl adsorbiert an allen vier Materialien sichtbar.

Bild 3: Alle Materialien entfernen einen Teil des Öls aus dem Öl-Wasser-Gemisch
(Foto: Dietz)

Die Mengen des jeweils adsorbierten Öl-Wasser-Gemisches bzw. des aufgenommenen Wassers sind in der Tabelle 1 dargestellt.

Material m (Material trocken) Δm (Material in Öl-Wasser-Gemisch) Δm (Material in Wasser)
Haare 0,50 g 2,39 g 0,61 g
Polyester 0,50 g 5,53 g 19,43 g
Wolle 0,50 g 4,97 g 4,71 g
Viskose-Watte 0,50 g 5,84 g 6,83 g

Tab. 1 Messwerte zum aufgenommen Öl-Wasser-Gemisch bzw. zum aufgenommenen Wasser

Wie auf Bild 3 zu erkennen und Tabelle 2 zu entnehmen ist, ist es mit allen Materialien grundsätzlich möglich, einen Teil des Rohöls aus dem Öl-Wasser-Gemisch zu entfernen. Auf den ersten Blick scheint Viskose-Watte dafür sehr gut geeignet zu sein. Aber wie viel des zusätzlichen Gewichts ist eigentlich auf die Adsorption von Öl und wie viel auf die Aufnahme von Wasser zurückzuführen? Um zu bestimmen, welches Material sich am besten für die Adsorption eignet (Frage 4, s.o.), kann das sogenannte Öl-Adsorptions-Verhältnis r berechnet werden [5, S. 12]:

Mit Hilfe der Werte aus der Tabelle 1 haben wir folgende Öl-Adsorptionsverhältnisse r für die einzelnen Materialien bestimmt:

Material Öl-Adsorptions-Verhältnis r
Haare 17,2
Polyester 0,3
Wolle 1,1
Viskose-Wolle 0,8

Tab. 2 Ergebnisse aus der experimentellen Bestimmung des Öl-Adsorptions-Verhältnisses für vier ausgewählte Materialien

Unsere Ergebnisse zeigen nun ganz klar, dass Haare besonders gut Öl adsorbieren und damit aus Wasser entfernen können (s. Tab. 2). Wie das Öl an den einzelnen Fasern adsorbiert, ist dabei durchaus ansprechend anzuschauen.

Bild 4: Öl adsorbiert an Haaren
(Foto: Dietz)

Das hier vorgestellte Experiment eignet sich hervorragend dafür, mit Schüler*innen über Störvariablen zu sprechen und systematische Fehlerbetrachtungen durchzuführen. Beispielsweise können Unterschiede in der Abtropfzeit (vor dem Auswiegen) die Ergebnisse stark beeinflussen. Aus diesem Grund ist es auch sinnvoll, Messungen zu wiederholen und die berechneten Mittelwerte in einem didaktisch angemessenen Rahmen statistisch miteinander zu vergleichen. Wenn verschiedene Gruppen innerhalb einer Klasse experimentieren, erhält man auf einfache Art und Weise viele Messwerte, mit denen man im Unterricht durchaus wissenschaftspropädeutisch arbeiten kann.


Fazit
Ölverschmutzungen in Meeren stellen wahre Katastrophen für das jeweilige Ökosystem dar. Wenn solche Katastrophen auftreten, gilt es so schnell wie möglich zu handeln. Das von Thierry Gras propagierte Verfahren kann hier einen wertvollen Beitrag leisten und ist so neu nicht. Bereits 2010 bei der Deepwater-Horizon-Katastrophe im Golf von Mexiko wurden Haare als Adsorptionsmittel eingesetzt [6]. Und schon 1989 hat ein Friseur aus Alabama mit abgeschnittenem Menschenhaar experimentiert, um Öl aus Wasser aufzunehmen [6].

Danksagung:
Ein herzlicher Dank geht an Marei Zylka für ihre Unterstützung sowohl bei den Recherchen und als auch beim Experimentieren für diesen Monatstipp – und nicht zu vergessen für die Haarspende!


Literatur:
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_bedeutender_%C3%96lunf%C3%A4lle, letzter Zugriff: 19.12.24
[2] https://www.schutzstation-wattenmeer.de/naturschutz/gefaehrdungen/verschmutzung/oel/#:~:text=Pro%20Jahr%20sterben%20an%20der,V%C3%B6geln%20zus%C3%A4tzlich%20das%20Leben%20kosten, letzter Zugriff: 19.12.24
[3] https://www.deutschlandfunkkultur.de/haare-oelfilter-thierry-gras-100.html, letzter Zugriff: 19.12.24
[4] Wertz, P.W., & Downing, D.T. (1988). Integral lipids of human hair. Lipids 23, 878–881.
[5] Pagnucco, R. & Phillips, M. L. (2018). Comparative effectiveness of natural by-products and synthetic sorbents in oil spill booms. Journal of Environmental Management, 225, 10-16.
[6] https://www.sueddeutsche.de/panorama/mauritius-oel-haare-1.4998519, letzter Zugriff: 19.12.24


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Letzte Überarbeitung: 8. Januar 2025, Fritz Franzke