Prof. Blumes Tipp des Monats Februar 2009 (Tipp-Nr. 140)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Was die „Blue Potatoes“ blau macht

Unter Kennern wird eine bunte Kartoffel gehandelt. „Bunt“ heißt hier, dass sie nicht gelbes Fleisch hat, sondern richtig blaulila gefärbt ist. Wie gesagt: Nicht nur die Schale ist farbig, sondern auch das Innere der Knolle. Deshalb heißt sie auch „Blue Potatoe“. Man nennt sie auch „Violet Potatoe“. Damit trifft man den Farbton eigentlich etwas genauer.

Bild 1: Blue Potatoes (Fotos: Blume)


Ist das etwa eine Iod-Stärke-Reaktion?
Es gibt tatsächlich die Anfrage, ob das Blau damit zusammenhängen könnte, dass die Pflanze Iod speichert, die dann mit der für Kartoffeln typischen Stärke die bekannte blaue Farbe des Iod-Stärke-Komplexes zeigt… Das stimmt natürlich nicht.

Aber wir können es ja trotzdem mal untersuchen: Zeigt die Blaue Kartoffel die bekannte Iod-Stärke-Reaktion?

Versuch 1: Iod-Stärke-Reaktion mit der Blauen Kartoffel
Wir kochen eine Blaue Kartoffel und schneiden sie auf. Sie muss unbedingt abkühlen. Dann tropfen wir etwas Iod-Iodkalium-Lösung (Lugolsche Lösung) auf die Schnittfläche.
Ergebnis: Die Iod-Stärke-Reaktion ist positiv und überdeckt das natürliche Blaulila der Knolle.

Bild 2 (Foto: Blume)


Wie können wir überprüfen, ob es sich bei der Blaufärbung nicht doch um einen Iod-Stärke-Komplex handelt? Zur Antwort auf diese Frage können wir versuchen, das „Iod“ zu reduzieren, am besten mit etwas Thiosulfat. Zuerst üben wir das an einem „echten“ Iod-Stärke-Komplex.

Versuch 2: Wie man die Iod-Stärke-Reaktion mit Thiosulfat löschen kann
1. Wir machen mit gut gekochter löslicher Stärke (w = 1 %) und Lugolscher Lösung den Iod-Stärke-Test. Wichtig: Nur ganz wenig Iod-Lösung zutropfen, damit die Mischung nicht zu intensiv gefärbt wird. Dann geben wir tropfenweise eine Lösung von Natriumthiosulfat (w = 5 %) (Xn) zu und vermischen gut.
Ergebnis: Die blaue Iod-Stärke-Lösung entfärbt sich.

2. Nun wird ein Stück der mit Iod behandelten Kartoffel aus Versuch 1 mit Natriumthiosulfat-Lösung versetzt.
Ergebnis: Die Färbung hellt sich deutlich auf. Zurück bleibt das Lila der Blauen Kartoffel. Es kann sich etwas ins Rötliche verfärben.

3. Nun wird ein Stück einer nicht mit Iod behandelten Kartoffel aus Versuch 1 mit Natriumthiosulfat-Lösung versetzt.
Ergebnis: Die Färbung bleibt erhalten.


Beim Farbstoff der Blauen Kartoffel handelt es sich also nicht um den Iod-Stärke-Komplex. Außerdem lernen wir, dass der Farbstoff der Blauen Kartoffel nicht mit Thiosulfat reagiert.


Wie ich auf dieses Thema gekommen bin
Sigrun S.-J., eine unserer Leserinnen, hat mit der Blauen Kartoffel, die sie übrigens selbst im Garten kultiviert, bemerkenswerte Heimexperimente gemacht, welche sie wie folgt beschreibt:

Betreff: Grünes Kartoffelwasser als natürlicher Indikator

Als Hobbygärtnerin hatte ich so genannte blauviolette Trüffelkartoffeln angebaut (anderer Sortenname: Vitelotte). Als ich sie kochte, war ich ganz erstaunt über das giftgrüne Kartoffelwasser. Da ich die chemischen Versuche mit Rotkohlsaft als natürlichen Säure-Base-Indikator kenne, probierte ich aus, ob sich das Kartoffelwasser ebenfalls als Indikator verwenden lässt. Mit Essig zeigte sich die erwartete Farbänderung: Es wurde rosa. Bei Spülmittel änderte sich gar nichts!
Es sind offensichtlich wie im Rotkohl Anthocyane in der Kartoffelsorte. Wieso aber wird das Wasser grün, was ja bei Rotkohlwasser ein Hinweis auf eine alkalische Lösung ist? Kartoffelwasser ist doch nicht alkalisch? Und wieso reagierte die Lösung nicht beim Spülmittel?


Bild 3 (Fotos: Sigrun)


Die Leserin schickte auch einige aussagekräftige Bilder mit. Einmal ist da das Violett der Kartoffel. Die blaugrüne Färbung des Kochwassers spricht für ein (fast) neutrales Milieu. Die Komposition mit den roten Farben ist auch gelungen…

Frau S.-J. erwartete, dass mit Spülmittel eine Gelbfärbung erfolgen sollte. Dass die Reaktion ausblieb, liegt daran, dass moderne Spülmittel auf der Basis von Saccharose-Fettsäure-Estern (z. B. „Plantaren®“) hergestellt werden. Diese Tenside (Emulgatoren) sind hautschonend und reagieren deshalb nicht alkalisch („basisch“), sondern neutral. Also ändert sich bei ihrer Zugabe nichts an der Farbe der Lösung. Mit einer Sodalösung oder gar einer Lauge hätte das ganz anders ausgesehen (siehe unten).


Wie kann man die Phänomene deuten?
Ich habe nicht daran gedacht, dass es solche Kartoffeln wie die Vitelotte gibt. Deshalb hatte ich zunächst angenommen, dass es hier um die Knolle einer „normalen“ Kartoffel geht. Wenn die nämlich oberirdisch wächst, kann auch sie entsprechende Farbtöne annehmen. Es ist bekannt, dass man in diesem Fall wegen des unter Lichteinfluss gebildeten giftigen Kartoffel-Alkaloids Solanin (vom lat. solanum; Kartoffel) auf den Verzehr verzichten sollte.

Man müsste dann aber auch Chlorophyll finden. Das würde die grüne Farbe erklären. Das war aber nicht der Fall, und Frau S.-J. versicherte, dass die Knolle – wie sich’s für eine anständige Kartoffelknolle gehört – unterirdisch gewachsen ist.

Mit ihren Experimenten und dem Hinweis auf Anthocyane hat uns Frau S.-J. schon den richtigen Pfad gewiesen: Es handelt sich bei dem violetten Farbstoff der blauen Kartoffelknolle um Cyanin in schwach saurem Milieu.


Nun wollen wir das Ganze selbst untersuchen
Wenn man dazu die Kartoffeln beschafft, sollte man darauf achten, dass nicht nur ihre Schale gefärbt ist, sondern auch das Fleisch der Knolle. Es gibt diese Kartoffeln auf Anfrage im Bioladen – hier in Bielefeld zum Beispiel beim „Löwenzahn“. Fragen Sie nach „Blue Potatoes“. Aber auch in den Auslagen einiger Edelkaufhäuser von Berlin kann man diese Kartoffel finden.

Bild 3a: Blaue Kartoffel (Sorte: Vitelotte) in einem Berliner Kaufhaus
(Foto: Blume)


Zum folgenden Versuch ist wichtig, dass Sie wirklich viel Kochwasser nehmen. Warum das notwendig ist, erklären wir weiter unten.

Versuch 3: Kochen der Blauen Kartoffel
Hinweis: Zum folgenden Versuch ist wichtig, dass Sie wirklich viel Kochwasser nehmen.
Statt die Kartoffeln zu zerschneiden, können Sie die ganzen Kartoffeln mit Schale kochen. Dann gibt es hinterher Pellkartoffeln… Und das Kartoffelwasser ist nicht so trüb.

Durchführung: Wir zerschneiden eine saubere Kartoffel und zerkleinern sie gut. Wir geben Leitungswasser in deutlichem Überschuss hinzu und kochen die Kartoffelstücke so lange (wenn es geht in einem hitzebeständigen Glasgefäß), bis sich das Kochwasser blaugrünlich färbt. Wir nehmen dann das Gefäß vom Herd und lassen abkühlen. Anschließend gießen wir das Wasser ab („Dekantieren“). Wir können auch filtrieren; das dauert aber ziemlich lange.
Ergebnis: Während des Kochens erfolgt ziemlich rasch ein Farbumschlag von Lila nach Blaugrün. Wir erhalten mehr oder weniger klares, blaugrünes Kochwasser.

Hinweis: Man kann die Anthocyane natürlich auch auf die Weise aus den Kartoffeln isolieren, wie es die Chemiker machen: Man kocht die gut zerkleinerte Kartoffelknolle mit Methanol (F,T), das 1%ig an Salzsäure ist, am Rückfluss. Diese Lösung kann man anschließend noch durch Destillation einengen. Am schonendsten geht es mit der Vakuumdestillation bei möglichst niedriger Temperatur (also am Rotationsverdampfer).


Nun wollen wir sehen, wie es mit der Farbe steht, wenn wir den pH-Wert der Lösung ändern. Das machen wir heute nur ganz grob: Sauer, neutral und alkalisch.

Versuch 4: Farbskala des Anthocyans der Blue Potatoes
Wir geben die Kochwasserlösung aus Versuch 3 in drei Reagenz- oder Bechergläser. In ein Glas tropfen wir Säure wie z. B. Haushaltsessig (Xi). Ein Glas lassen wir unbehandelt. In das dritte Glas geben wir verdünnte Natronlauge (Xi) oder lösen darin etwas festes Soda.
Ergebnis: Die Vergleichslösung ist blaugrün gefärbt. Die anderen beiden Lösungen färben sich in Rot und Gelb um.

Hinweis: Wenn wir den methanolischen Auszug aus Versuch 3 nehmen, müssen wir daran denken, dass der stärker an Anthocyan konzentriert ist. Deshalb legen wir in drei Reagenzgläsern erst die Salzsäure (Xi), Wasser (oder eine Lösung von Natriumhydrogencarbonat) und Natronlauge (Xi) vor. Erst dann tropfen wir die methanolische, saure Anthocyan-Lösung zu und vermischen gut.

Bild 4: Ergebnisse von Versuch 4.
Von links: Zusatz von Säure, Kochwasser (Leitungswasser) ohne weitere Zusätze, Zusatz von Lauge
(Foto: Blume)

Nun kann man (wenn man will) noch die bekannte prächtige Farbenreihe der Anthocyane herstellen.


Bleibt noch die Frage: Warum ist die Kartoffel lilafarben und das Kochwasser blaugrün?
Lilafarben weist auf schwach saures Milieu hin. Das kommt daher, dass die Knolle das Anthocyan in sauren Zellorganellen, den Vakuolen, aufbewahrt.

Das Trinkwasser zum Kochen enthält zunächst Ionen, die die temporäre Wasserhärte bedingen, also Ionen von Hydrogencarbonat und Erdalkali. Außerdem enthält das Wasser noch gelöstes CO2. Insgesamt ist es deswegen schwach sauer (pH 5,8-6,2). Die Kartoffeln bzw. ihr Saft zeigen in Leitungswasser ohne Erwärmen die violette Farbe.

Wenn wir die Kartoffeln mit Leitungswasser kochen, dampfen Wasser und CO2 ab. Dabei zersetzt sich auch das Hydrogencarbonat. Kalkstein fällt aus.

(Der chemische Vorgang entspricht letztlich dem, der bei der Kalktuffbildung beobachtet wird.)

Kalkstein ist nur wenig löslich. Beim Lösen entstehen Carbonat-Ionen, die mit Wasser Hydroxid-Ionen bilden. Das beschreibt das folgende chemische Protolyse-Gleichgewicht.

Insgesamt wird das Wasser dadurch alkalischer („basischer“). Daher kommt die Umfärbung des Anthocyans nach Blaugrün, also in Richtung auf pH-Wert 8-9. Nun verstehen wir auch, warum (wie in Versuch 3 zu sehen war) der Farbumschlag von Lila nach Blaugrün erstaunlich rasch erfolgt: Denn um den pH-Wert 7 herum erfolgt der bekannte steile Anstieg der Titrationskurven von Säure/Base-Systemen.

Nun verstehen wir auch, weshalb wir das Kochwasser im deutlichen Überschuss nehmen müssen: Gibt man zu wenig Wasser vor, dann gibt es zu wenig Kalk und zu wenig Alkalinität. Die Säure, die aus den Blue Potatoes ausgekocht wird, macht den Effekt der Alkalinitätsbildung zunichte. Die Mischung bleibt lila.

Wenn wir statt Trinkwasser demineralisiertes (destilliertes) Wasser zum Kochen einsetzen, sollte die Grünfärbung unterbleiben. Eventuell kann das Rotlila einen Blauton annehmen, da das destillierte Wasser wegen des gelösten CO2 aus der Umgebungsluft ebenfalls schwach sauer ist. Dieses CO2 gast aus. Es unterbleibt aber die Alkalisierung des Kochwassers.

Versuch 5: Kochen der Blauen Kartoffel in destilliertem Wasser
Wir gehen wie in Versuch 3 beschrieben vor. Nur verwenden wir diesmal destilliertes (demineralisiertes) Wasser im deutlichen Überschuss.
Ergebnis: Das Wasser färbt sich nicht grün, sondern blaulila.

Bild 5: Kochen der Blue Potatoes. Links mit Leitungswasser, rechts mit destilliertem Wasser
(Fotos: Blume)


Das alles zeigt, wie empfindlich unser natürlicher Indikator ist! Man sieht auch, wie komplex dieses Thema ist und wie erstaunlich viele Kenntnisse aus allen Naturwissenschaften zum Verstehen des relativ einfachen Phänomens notwendig sind!


Last but not least…
Diese bunten Knollen waren übrigens die ursprünglichen Kartoffeln. Sie stammen aus Südamerika. Man hat sie erst bei uns im Westen auf Gelb gezüchtet. Dass sie gelb sind, heißt übrigens nicht, dass in ihnen alkalisches Milieu herrscht...

Zum Schluss haben wir uns mit den restlichen Blue Potatoes echt deutsche Bratkartoffeln und anderes zubereitet. Die schmecken wirklich so was von lecker!

Danke, Sigrun!

Bild 6 (Foto: Blume)


Noch ein Hinweis:
Alle diese Versuche und Fotos habe ich in der häuslichen Küche gemacht. Das ist somit wirklich echte „Chemie im Kontext“, die jeder Schüler nachmachen kann. Früher nannte man das übrigens „Alltags-Chemie“. So ein Chemieunterricht war für einen guten Chemielehrer eigentlich auch ohne den heute ausführlich gepflegten pädagogisch-theoretischen Überbau selbstverständlich…


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 08. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek