Prof. Blumes Tipp des Monats Oktober 2000 (Tipp-Nr. 40)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Warum sind die Gallensäuren so wirksame Emulgatoren?

Die Grillsaison ist vorbei. Manche fette Bratwurst hat den Darm passiert. Hoffentlich ist alles gut gegangen. Erst wenn die Gallenblase erkrankt ist, merkt man, dass sie bei der Fettverdauung nötig ist. Denn die fettabbauenden Enzyme, die Lipasen, arbeiten nicht mehr, und der Stuhl ist fetthaltig und schmierig. Der Grund: Die gesunde Gallenblase sezerniert Gallensäuren in hohen Konzentrationen. Und diese wirken offenbar bei der Fettverdauung mit. Es sieht so aus, als wenn sie die Lipasen aktivieren.

Versuch 1: Lipase-Reaktion mit und ohne Gallensäuren
Dieser Versuch geht nur mit Sahne. Mit Milch ist er nicht aussagekräftig, da Milch von vornherein eine Emulsion ist und die Lipasen auch ohne Gallensäuren wirken. Bei der Sahneherstellung wird die Milchemulsion zerstört.

Lösungen
- Substratlösung: Sahne (30 % Fettgehalt); mit Natronlauge (Xi) auf pH 10 einstellen.
- Gallensäure (= Cholsäure) (Na-Salz) (Fluka 27029, 25 g DM 38,-) (w = 5 % in Natronlauge mit dem pH-Wert 10).
- Lipase: Man suspendiert zwei zuvor in einem Mörser zerdrückte Tabletten von Verdauungsmedikamenten wie Pankreon(R) oder Lipazym(R) in 20 ml Wasser; mit Natronlauge auf pH 10 einstellen.
- Phenolphthalein-Lösung (ethanolisch) (F).
- Stark verdünnte Natronlauge mit pH-Wert um 10 zum Verdünnen.

Durchführung
Zur Reaktion werden in drei Reagenzgläser 5 ml Substratlösung gegeben. Dazu gibt man in jedes Glas die gleiche Menge an Phenolphthaleinlösung. Gut einrühren! Die Lösungen müssen nun kräftig rot gefärbt sein (und nicht nur schwach rosa!). Dann verfährt man weiter wie folgt. Nach jeder Lösungszugabe gut vermischen.

Zu Glas 1 gibt man 6 ml Natronlauge (pH 10). Es dient nur als Standard zum Farbvergleich.
Zu Glas 2 gibt man 5 ml Natronlauge (pH 10).
Zu Glas 3 gibt man 5 ml Cholsäurelösung.
Dann gibt man zu Glas 2 und Glas 3 je 1 ml aus der gerührten Enzymsuspension.

Ergebnis
In Glas 2 und 3 findet aufgrund der bei der Fetthydrolyse freigesetzten Fettsäuren eine pH-Wertänderung in Richtung auf saures Milieu unter Entfärbung des Phenolphthaleins statt.
Wenn alles richtig gemacht worden ist, beobachtet man, dass die Reaktion der Lipase mit Gallensäuren deutlich schneller abläuft.

Einerseits scheinen die Gallensäuren die Lipasen direkt zu aktivieren, andererseits sind sie hervorragende Emulgatoren. Denn Lipasen arbeiten an den Grenzflächen zwischen Fett und Wasser. Emulgatoren vergrößern die Grenzflächen, indem sie Fettflächen zugunsten der Bildung kleiner Fetttröpfchen auflösen.

Versuch 2: Emulgierende Wirkung von Gallensäuren
Fülle in ein Reagenzglas 5 ml Wasser und in ein zweites 5 ml Lösung von Cholsäuresalz (w = 20 %). Dann gibst du in beide Gläschen 1 Tropfen frisches Pflanzenöl. Färbe die Mischungen anschließend mit 0,5 ml gesättigter Sudan III-Lösung (ethanolisch) an. Verschließe beide Gläschen mit Gummistopfen und schüttle kräftig.

Ergebnis
Nur im Glas mit der Gallensäure stellt sich eine stabile Emulsion ein. Das erkennst du an der gleichmäßigen Rotfärbung der flüssigen Phase. Diese ist außerdem deutlich milchiger als die im anderen Glas (-> Bild). Beim Wasser beginnt außerdem nach wenigen Minuten die Emulsionsspaltung, wobei klare Fetttröpfchen an der Glaswand zu sehen sind. Im Glas mit der Gallensäure beobachtest du, dass auch die Glaswand klarer ist (Spüli-Effekt).

Bild 1: Emulgierende Wirkung von Cholsäuren.
Links: Öl in Wasser, rechts: Öl in Cholsäuresalz-Lösung
(Foto: Daggi)


Damit eine Substanz emulgierend wirken kann, müssen ihre Moleküle polare und unpolare Bereiche aufweisen. Du kennst das sicherlich von den Seifen.

Das Alkyl-Ende ist lipophil, das ionische dagegen hydrophil. Auf diese Weise ist die Seife grenzflächenaktiv.

Zuvor noch ein Hinweis: Die wissenschaftliche Bezeichnung für die Gallensäuren lautet Cholsäuren (griech. chole, Galle).

Betrachten wir nun das Strukturbild des Moleküls der Cholsäure im engeren Sinne. Cholsäure ist chemisch 3a, 7a, 12a-Trihydroxy-5ß-cholan-24-säure. Sie gehört zu den Steranen.

Aus diesem Bild wird nicht deutlich, warum Cholsäure so gut emulgierend wirkt. Erst wenn wir die Struktur wie im folgenden Bild dreidimensional darstellen, wird der Zusammenhang klar. Wir erkennen, dass das flächige Molekül auf der einen Seite alle unpolaren und auf der anderen alle polaren Reste trägt.

Dreidimensionales Strukturbild der Cholsäure

Ein Vergleich der Moleküle von Seifen oder Gallensäuren zeigt: Die flächigen Gallensäuren haben einen viel effektiveren Wirkungsquerschnitt als die stäbchenförmigen Fettsäuren.

Gallensäuren sind übrigens ein Abbauprodukt von Cholesterin, die wie viele andere Abbauprodukte vom Organismus noch weiterhin genutzt werden können. Die Einführung der Hydroxylgruppen und des Säurerests hat nicht nur den Effekt, dass die Gallensäuren löslicher werden und deshalb leichter ausgeschieden werden können. Physiologisch bedeutsam ist die dadurch entstandene grenzflächenaktive Wirkung.

Es gibt verschiedene Gallensäuren. Sie unterscheiden sich u. a. in Zahl und Stellung der Hydroxyl-Gruppen. Im Sekret der Gallenblase kommen allerdings nur Gallensäuren vor, die peptidartig weitere, polare Reste tragen. Die Taurocholsäuren tragen zusätzlich Taurin. Dies ist die 2-Amino-ethansulfonsäure, ein Oxidationsprodukt von L-Cystein. Taurocholsäuren sind ebenfalls stark polar. Außerdem kann auch die Aminosäure Glycin an die Cholsäure gebunden werden (Glykocholsäuren).

Gallensäuren sind in Wasser fast gar nicht löslich. (Gallensteine bestehen aber aus auskristallisiertem Cholesterin oder aus Calciumcarbonat.) Gut löslich sind dagegen ihre Salze. In unseren Versuchen arbeiten wir deshalb mit Gallensäuresalzen oder mit Lösungen der Säure in verdünnter Natronlauge. Übrigens werden auch von der Gallenblase die Salzlösungen abgegeben, denn der Gallensaft ist schwach alkalisch. Das wird dadurch unterstützt, dass auch der Darmsaft schwach alkalisch ist. (Beim Ansäuern des Gallensafts fallen die Cholsäuren aus, nicht aber die Tauro- bzw. Glykocholsäuren.) Durch die negative Ladung wird die Polarität der Gallensäuren und damit ihre Emulsionskraft noch verstärkt. Man spricht hier von Gallseifen, die man auch zum Reinigen von Kleidung kaufen kann. Tauro- und Glykocholsäuren sind schon im neutralen Bereich negativ geladen und deshalb anders als die Cholsäuren leicht wasserlöslich.

Für Gallensäuren gibt es einen hübschen Nachweis. Dieser stammt noch aus den Anfängen der Biochemie und wurde vor allem in Kliniken genutzt.

Versuch 3: Nachweis von Gallensäuren nach Pettenkofer
5 ml einer verdünnten Lösung von Gallensäuresalz wird mit einigen Tropfen einer 10%igen Saccharoselösung versetzt. Unter Schräghalten des Reagenzglases unterschichtet man mit konzentrierter Schwefelsäure.

Ergebnis
An der Berührungszone der beiden flüssigen Phasen bildet sich eine intensiv rote Färbung aus (-> Bild). Außerdem erkennt man von schräg oben betrachtet in der Schwefelsäure eine grüne Fluoreszenzfarbe (-> Bild rechts). Die weiße Masse ist ausgefallene Cholsäure.

Bild 2: Nachweis von Gallensäuren nach Pettenkofer
(Fotos: Daggi)


Wie Gallensäuremoleküle arbeiten
Die Wirkung von Gallensäuren (und von allen anderen grenzflächenaktiven Stoffen, den Tensiden) auf Fett kann man sich so vorstellen: Fett kommt in Kontakt mit einer Lösung von Gallensäuren. Diese binden sich mit ihrer lipophilen Fläche an das Fett, die hydrophile Fläche verbleibt im Kontakt zum Wasser. Bald drängeln sich immer mehr Gallensäuremoleküle an der Fettoberfläche. Im Bestreben, ebenfalls anzudocken, drücken sie diese auseinander. Es bilden sich feine Fettkügelchen, und die großen Fettmassen lösen sich auf. Eine Emulsion ist entstanden.
Aber nicht nur Fette werden emulgiert. Auch die durch die enzymatische Fetthydrolyse entstandenen Fettsäuren oder Mono- und Diglyceride werden umhüllt und so für den Transport aus dem Darmsaft ins Gewebe vorbereitet. Bemerkenswert ist, dass die Cholsäuren mit Fettsäuren stabile, wasserlösliche Einschlussverbindungen (Choleinsäuren) bilden. Beispielsweise gruppieren sich um ein Stearinsäuremolekül 8 Cholsäuremoleküle. Die so feinstemulgierten Teilchen haben eine Größe zwischen 0,1 und 0,5 µm und werden direkt resorbiert.


Für Spezialisten
Bei der Wechselwirkung von Fett mit den Gallensäuren handelt es sich um komplizierte Grenzflächenphänomene, für die es eine eigene Thermodynamik gibt. Stichwort: Grenzflächenpotentiale monomolekularer Schichten. Die Grenzflächenpotentiale machen sich z. B. als Oberflächenspannung bemerkbar. Das kann man anhand von unbenetzbaren Schwefelteilchen zeigen, die schwerer als Wasser sind und deshalb eigentlich absinken sollten. Durch grenzflächenaktive Substanzen wie den Emulgatoren oder Tensiden wird die Oberflächenspannung herabgesetzt. Gibt man also Gallensäuren hinzu, sinken die Schwefelteilchen auf den Gefäßboden.

Versuch 4: Gallensäuren setzen die Oberflächenspannung herab
Fülle in ein Reagenzglas 5 ml Wasser und in ein zweites 5 ml Lösung von Cholsäuresalz (w = 1 %). Dann gibst du in beide Gläschen etwas feines Schwefelpulver ("Schwefelblume").

Ergebnis
Nur im zweiten Gläschen sinken die Schwefelteilchen zu Boden.

Jedes System strebt den Zustand mit minimaler potentieller Energie an, denn der ist am stabilsten. Das gilt offenbar auch für den Zustand der Emulsion. Deshalb schieben sich die Gallensäuremoleküle geradezu begierig zwischen die beiden Phasen Wasser und Fett. Folglich ist der Prozess der Wechselwirkung des Systems Wasser/Gallensäuren/Fett auch exotherm (genau: exergon). Zur Minimierung der potentiellen Energie trägt darüber hinaus auch die Minimierung der Oberfläche bei gegebenem Volumen bei. Daher nehmen die mit Tensiden überzogenen Fetttröpfchen möglichst Kugelgestalt an.

Bild 3 (Quelle: Cornelsen)


Mit welcher "Gewalttätigkeit" die Cholsäure-Teilchen die Grenzschichten monomolekular besetzen, kann man ebenfalls in einem hübschen Experiment zeigen. Im folgenden Versuch handelt es sich um die Grenze zwischen Wasseroberfläche und Luft. Dieses Experiment galt früher als eine Nachweisreaktion für Gallensäuren (Nachweis nach Hay).

Versuch 5: Gallensäuremoleküle besetzen die Flüssigkeitsoberfläche
Fülle Wasser in eine große Kristallisierschale. Auf das Wasser streust du mit Hilfe eines Teesiebes soviel Schwefelblume, dass die Oberfläche gut bedeckt ist (-> Bild). Dann gibst du einen Tropfen einer Lösung von Gallensäuresalz (w = 1 %) zu. Das kannst du mehrmals wiederholen.

Ergebnis
Beim Eintreten des Tropfens in die Flüssigkeit wird die Schwefelblume augenblicklich verdrängt (-> Bilder).

Bild 4 (Foto: Daggi)


Die hauptsächliche Wirkung der Cholsäure beruht auf einer Erhöhung der Entropie des Systems.
Cholsäuremoleküle ohne Fettkontakt sind zunächst mit Wassermolekülen umhüllt. Das gilt auch für die unpolare Seite!
Wenn die Cholsäuremoleküle mit Lipiden Kontakt bekommen, bilden sich van der Waals-Bindungen zwischen den Molekülen der Cholsäure und denen des Fetts aus. Dadurch werden von der unpolaren Seite der Cholsäuren Wassermoleküle abgedrängt. Diese sind damit beweglicher geworden, und damit steigt die Unordnung, d. h. die Entropie nimmt zu. (Vergleichbar hiermit ist die spontane Faltung von Proteinen unter Ausbildung von Bindungen zwischen den nach innen gerichteten unpolaren Aminosäure-Resten.)
Die Entropie nimmt auch dadurch zu, dass statt einer einzigen Fett-Oberfläche viele kleine Fettkügelchen mit insgesamt viel größerer Oberfläche entstehen.


Galle in der Volksmedizin
Wusstest du, dass Galle auch in der chinesischen Volksmedizin, der man so viel Rühmliches nachsagt, genutzt wird? Zur Gewinnung von Galle gibt es spezielle Farmen, auf denen man Bären zur Gallegewinnung anzapft - eine Tierquälerei sondergleichen.


Gallenfarbstoffe
Viele Gallensäure-Präparate, die man erwirbt, sind oft gelb oder grünlich gefärbt. Da die Präparate aus Schlachttieren gewonnen werden, enthalten sie noch Reste von Gallenfarbstoffen.


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 07. April 2015, Dagmar Wiechoczek