Prof. Blumes Tipp des Monats Dezember 2002 (Tipp-Nr. 66)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Bild 1 (Foto: Blume)


Wie entstehen die Flussspat-Spaltoktaeder?
Ein Vorschlag zur Arbeit mit Kristallmodellen

Bald ist Weihnachten! Auf Mineralienbörsen und auf dem Weihnachtsmarkt werden für wenig Geld prächtige Flussspatoktaeder angeboten. Merkwürdig: Flussspat kennt man im Allgemeinen doch nur in würfeliger Tracht!

Bild 2: Würfel als natürlich gewachsene Flussspatkristalle (Fundort: Xianghuapu-Mine, Hunan, China)
Bild 2: Spaltoktaeder von Flussspat (Herkunft: Illinois, USA)
(Fotos: Blume)


Beim genauen Nachfragen erfährt man, dass es sich um künstlich hergestellte Spaltoktaeder handelt. Wie macht man die? Denn wenn man mit einem vorsichtigen Hammerschlag Kochsalzkristalle spaltet, erhält man bekanntlich immer wieder Würfel oder rechtwinklige Quader. Das sollte beim Flussspat eigentlich nicht anders sein, oder?

Versuch: Spalten von Natriumchlorid- und von Flussspatkristallen
Mit einem kleinen Hammer schlägt man leicht auf die Mitte einer der Würfelflächen des Kochsalzes.
Dann macht man das gleiche mit einem Flussspatwürfel.

Ergebnisse
Beim Kochsalz entstehen viele kleine Würfel. Beim Flussspat werden die Ecken abgespalten, es entstehen Oktaederflächen.

Bild 3: Spaltungsversuch mit Flussspatwürfeln
(Fotos: Daggi)


Versucht man also, würfelige Flussspatkristalle zu spalten, erhält man stets mehr oder weniger schöne Oktaeder statt der erwarteten Würfel. (Meistens gelingt dem Ungeübten aber nur das schräge Abspalten der spitzen Würfelecken. Die bekannten Spaltoktaeder, die auf Mineralienbörsen angeboten werden, sind offenbar von sehr geschickten Künstlern hergestellt worden. Vermutlich gibt es dazu auch schon einen Apparat, der auf den Mittelpunkt einer Würfelfläche gleichmäßig Druck ausübt. Dann knallen mit einem Mal alle vier Ecken weg.)

Um das unterschiedliche Spaltverhalten zu verstehen, ist ein Blick ins Kristallgitter notwendig.


Die Elementarzelle des Flussspats

Bild 4: Elementarzelle des Fluorit-Gitters


Der Fluorit oder Flussspat ist chemisch Calciumfluorid, CaF2. (Achte auf die Schreibweise von Fluorit oder Fluorid!) Diese Verbindung ist eine Salzart und besteht wie alle Salze aus Ionen, also aus elektrisch geladenen Teilchen. Wie die Formel besagt, kommen auf ein zweifach positiv geladenes Calcium-Ion Ca2+ (Kation) zwei negativ geladene Fluorid-Ionen F- (Anionen). Damit ist der Kristall nach außen hin elektrisch neutral.

Die Ionen sind im Kristall nicht beliebig verteilt. Im Fluorit-Gitter ist jedes Calcium-Ion von 8 Fluorid-Ionen umgeben, und jedes Fluorid-Ion von 4 Calcium-Ionen. Die 8 Fluorid-Ionen bilden um das Calcium-Ion einen Würfel, die 4 Calcium-Ionen um das Fluorid-Ion ein Tetraeder.

Ein Hinweis: Wenn man genau hinsieht, erkennt man, dass alle im Würfel befindlichen Ionen zusammen ein Rhombendodekaeder bilden. Deshalb findet man (wenn auch selten) Flussspat-Rhombendodekaeder. Diese bilden auch abgestumpfte Formen mit Sechsecken, wie das folgende Bild zeigt. Lies hierzu diese Webseite.

Bild 5: Eine Gruppe von Flussspat-Hexaedern (Fundort: Artaishan-Mine, Xinjiang, China)
(Foto: Blume)


Zum besseren Verständnis des Spaltverhaltens von Flussspatwürfeln sollte man ihre Elementarzelle wie folgt zeichnen:

Bild 6: Andere Darstellung der Elementarzelle des Fluorit-Gitters


Der Abbildung entnimmt man, dass die Calcium-Ionen einen flächenzentrierten Würfel bilden. Die Fluorid-Ionen sitzen in der Mitte der Achtelwürfel der Elementarzelle. Man erkennt, dass sie ebenfalls eine Würfelstruktur bilden. Die Würfelflächen dieser beiden Untergitter verlaufen parallel zu den Würfelflächen der Elementarzelle. (Im dreidimensionalen Kristallmodell sollte man die entsprechenden Gitterpunkte mit einem farbigen Band verbinden.)


Das Spalten der Kristalle
Wenn man auf einen Kristall schlägt, werden seine Teilchenschichten kurzfristig verschoben. Wie sich das auswirkt, kann man ebenfalls am besten mit dreidimensionalen Modellen zeigen. Dazu blickt man senkrecht auf eine Würfelfläche, so wie wir es auf unseren folgenden Grafiken zeigen.

Wir vergleichen die Auswirkungen eines Schlags auf die Kristalle von Natriumchlorid und von Flussspat.

1 Die Würfelflächen von Natriumchlorid enthalten in alle Richtungen alternierend positiv geladene Natrium-Ionen und negativ geladene Chlorid-Ionen. Nach dem Schlag stehen sich kurzfristig längs der Verschiebungsschicht alle gleichsinnig geladenen Ionen gegenüber. Das zeigt das folgende Bild.

Bild 7: Modell zur Erklärung der Spaltung eines Kochsalzkristalls längs seiner Würfelflächen
Silberne Kugeln: Na-Ionen, Rote Kugeln: Chlorid-Ionen
(Grafik: Blume)


Die Folge ist die gegenseitige elektrostatische Abstoßung der Ionen und die explosionsartige Auftrennung des Gitters. Es entstehen Spaltwürfel und -quader.

2 Im Gegensatz zum Kochsalz-Gitter enthalten die Würfelflächen des Gitters von Flussspat jeweils nur eine Ionenart (-> Bild 6). Beim Verschieben längs der Würfelflächen verändert sich nichts an der elektrostatischen Anziehung oder Abstoßung. Deshalb laufen die Spaltflächen des Fluorit-Gitters nicht zu seinen Würfelflächen parallel. Das zeigt das folgende Bild.

Bild 8: Modell zur Erklärung der Nichtspaltbarkeit eines Flussspatkristalls längs seiner Würfelflächen
Silberne Kugeln: Ca-Ionen, Rote Kugeln: Fluorid-Ionen
(Grafik: Blume)


Dagegen kommt es beim Verschieben parallel zu den Oktaederflächen zu einer Gegenüberstellung ganzer Reihen von gleichsinnig geladenen Ionen und damit zu gegenseitiger Abstoßung, wie das folgende Bild zeigt.

Bild 9: Modell zur Erklärung der Bildung von Oktaederflächen bei der Spaltung eines Flussspatkristalls
(Grafik: Blume)


Dass das Modell in Bild 9 nicht nur in atomaren Dimensionen, sondern auch im Makroskopischen der Realität entspricht, zeigt das folgende Bild von einem Flussspat-Kristall mit Spaltrissen. Diese sind entstanden, als der Kristall zum Anätzen zunächst in konzentrierte Salzsäure gelegt wurde und danach wohl zu rasch getrocknet worden war.

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Bild 10: Flussspat-Kristall mit Spaltrissen
(Foto: Blume)


Man schneidet so beim Spalten die Ecken der Würfel ab; ein Oktaeder entsteht. Beim Versuch ist man überrascht, wie leicht das geht. (Die Bezeichnung Spat steht übrigens immer für besonders leicht spaltbare Mineralien; man denke zum Beispiel an Kalkspat.) Zum Oktaeder sei noch nachgetragen, dass auch dieser eine (sehr seltene) Wuchsform natürlicher Fluorit-Kristalle ist.

Bild 11 (Foto: Blume)


Beim Erhitzen spaltet der CaF2-Kristall übrigens auch parallel zu den Würfelflächen. Hierbei werden ja keine Gitterflächen verschoben, sondern zum Schwingen gebracht, bis sie getrennt werden. Das passiert leider leicht, wenn man die Thermolumineszenz demonstrieren will und den Kristall dabei zu hoch erhitzt.


Was passiert mit den offenen Bindungen an den Kristallspaltflächen?
Das wird immer von Schülern gefragt und muss deshalb erklärt werden. Hier lagern sich Luftbestandteile an. Wir müssen uns die frisch gebrochenen Oberflächen wie mit einem Pelz von Molekülen überzogen vorstellen. Das können zunächst unpolare Teilchen wie die Moleküle von Sauerstoff, Stickstoff oder CO2 sein. Wichtiger sind aber polare Moleküle wie die von Wasser. Die Bindungen beruhen auf Ion-Dipol-Wechselwirkungen. Bei unpolaren Teilchen werden die Dipole durch die Ladungen der Ionen des Kristalls erst induziert.



PS: Fluorit-Würfel gibt es nicht nur in China, sondern sind auch auf der Halde der Schwerspatgrube Clara im Kinzigtal/Schwarzwald zu finden. Die chinesischen Fluoritkristalle haben wir auf der Mineralienbörse in Gütersloh von Yuwen Li aus 25746 Heide gekauft.


Bild 12 (Foto: Blume)


Rüdiger Blume


Weitere Tipps des Monats


Literatur
[1] W. Kleber: Einführung in die Kristallographie. VEB Verlag Technik, Berlin 1962.
[2] R. Winderlich, W. Peter: Lehrbuch der Chemie. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig 1957.


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Letzte Überarbeitung: 08. April 2010, Dagmar Wiechoczek