Gibt es Kristalle mit fünfzähligen Achsen?

Bemerkenswerterweise gibt es kein pentagonales Kristallsystem, also eines mit fünfzähligen Achsen. Das ist deswegen erstaunlich, weil das Prinzip ansonsten in der Natur durchaus vorkommt. Denn es gibt einen Tierstamm mit fünfzähliger Symmetrie: Das sind die Stachelhäuter, zu denen Seeigel (-> Bild 1), Seesterne und Seelilien gehören. Auch bei Blüten von Blumen sind fünfzählige Achsen absolut keine Seltenheit!

Bild 1: Kelch einer Seelilie (Pentremitis) (1,5 cm), Stängelglied einer Seelilie (Pentacrinus) (1 cm),
je ein regulärer und irregulärer Seeigel (Hemicidaris, Galerites) (2,5 cm)
(Foto: Blume)


Warum es kein Kristallsystem mit fünfzähligen Achsen gibt
Es gibt einen regulären kubischen Körper, der nur aus gleichseitigen Fünfecken besteht: Das ist das für Pyrit typische Pentagondodekaeder, der, wie der Name sagt, zwölffache Fünfeckflächner. Deshalb ist es doch eigentlich erstaunlich, dass es keine Kristalle mit fünfzähligen Achsen gibt.

Bild 2: Pentagondodekaeder von Pyrit
(Foto: Blume)


Erinnern wir uns: Ein Kristall kann nur durch ein wiederholtes Aneinanderlegen von gleichartigen Bausteinen (Elementarzellen) aufgebaut werden. Das ist sehr gut möglich mit Prismen, die gleichseitige Dreiecke, Quadrate und beliebige Vierecke sowie Sechsecke als Grundriss oder Deckflächen haben. (Erinnern wir uns an das Halma-Spiel, an das Schachbrett oder an die Bienenwabe.) Auch für Bausteine und Prismen, die keine Symmetrieachse aufweisen (triklines System), trifft dies zu. Nicht jedoch für eine Elementarzelle mit fünfeckigen Prismen. Hier kann, wie das folgende Bild zeigt, prinzipiell keine raumfüllende Struktur gebildet werden.

Bild 3: Fünfseitige Bausteine mit regelmäßigen Fünfecken
als Deckflächen ihrer Prismen könnten einen Raum nicht ausfüllen.
Anders ist es bei den Sechsecken


(Aus dem gleichen Grund gibt es auch keine Kristalle mit siebenzähligen Achsen.)

Was aber ist beim Basalt? In den großflächigen Basaltfelsen finden wir gar nicht selten fünfeckige Prismen ("Säulen"). Ist das kein Widerspruch? Nein, denn erstens ist Basalt kein kristalliner Körper, sondern durch Schrumpfungsrisse aus Lava entstanden. Und zweitens sind die Fünfecke zugunsten der Sechsecke im Verhältnis von etwa 3 : 7 weitaus in der Minderzahl.
Die Anwesenheit von Fünfecken ist Voraussetzung, um gebogene, ja sogar geschlossene Körper aus Sechseckflächen zu bilden. Wir erinnern an den Fußball mit seinen 12 Fünfecksflächen, die durch 20 Sechsecke voneinander getrennt sind. Das gilt auch für die Fullerene oder für die Radarkuppeln, aber auch für schrumpfende Lava- oder Schlammflächen.


Das Prinzip wird in der Biologie nicht immer durchgehalten
Die meisten Seeigel-Arten haben noch zusätzlich eine duale Symmetrie aufgeprägt bekommen (-> Bild 4a). Besonders deutliche Beispiele sind die so genannten Herz-Seeigel (-> Bild 4b), von denen es mehr Arten gibt als von den wirklich pentagonalen Seeigeln. Erstere nennt man irregulär, letztere regulär.

Bild 4a: Seeigel mit dualer Symmetrie (Galerites) (2,5 cm)
(Foto: Blume)

Bild 4b: "Herz-Seeigel". Links: Micraster leskei (Turon/Kreide);
rechts: Sternotaxes trecensus (6,5 cm) (Cenoman/Kreide), Teutoburger Wald
(Fotos: Blume)


Dafür sind letztere am reichsten an (dazu noch besonders stacheligen) Individuen, wie du vielleicht schmerzhaft von deinem letzten Aufenthalt an der Adriaküste in Erinnerung hast. Auch der Cidaris-Seeigel, dessen Abbildung du in der Webseite Einkristalle gibt es auch in der belebten Natur siehst, gehört hierzu.

Dass das Symmetrie-Prinzip nicht immer konsequent eingehalten wird, erkennst du daran, dass es - wenn auch sehr selten - Seeigel gibt, die anstelle der fünf Symmetrie-Linien ("Fünfstrahler") nur vier ("Vierstrahler") oder gar sechs („Sechsstrahler“) aufweisen (-> Bild 5). Achte einmal darauf, wenn du an der Ostsee wieder Seeigelkerne aus Feuerstein ("Glückssteine") sammeln gehst, oder schaue deine Sammlung daraufhin durch.

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Bild 5: Seeigel mit verschiedenen Symmetrien.
Links: Fünfstrahler; Mitte: Sechsstrahler; Rechts: Vierstrahler
(Foto: Blume)


Hier erkennst du den Unterschied zwischen lebendigen und anorganischen Strukturen: Beim anorganischen Kristall ist eine solche Abweichung von der Symmetrie unmöglich. Anders gesagt: Die anorganische Welt hält sich streng an physikalische Gesetze - die organische, belebte Welt experimentiert mit ihnen.


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Letzte Überarbeitung: 12. Mai 2010, Dagmar Wiechoczek