Prof. Blumes Tipp des Monats Januar 2001 (Tipp-Nr. 43)
Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis
unbedingt beachten.
Allerlei ums tägliche Bierflaschenöffnen
Bild 1: Endlich Feierabend! (Bild: Thomas Blume) |
Jeder kennt den Maurertrick. Man reiche einem Kollegen freundlich eine Flasche mit Bier und
stoße mit ihm an. Zur allgemeinen Erheiterung schießt dem armen Kollegen das Bier aus der
Flasche und besudelt seine Hose. Die eigene Flasche jedoch bleibt ohne Schaumausfluss. Wie
kommt das? Das fragte uns die Redaktion des WDR 5 (90,6 MHz) für ihre Sendung "Leonardo",
die donnerstags um 16-17 Uhr ausgestrahlt wird.
Bild 2: Der Maurertrick (Foto: Daggi) |
Wir haben das auch ausprobiert. Hier erst einmal der Versuch:
Versuch 1: Schaumbildung einer angestoßenen Flasche
Von den Flaschen löst ihr mit kaltem Wasser (wenn es geht mit Eiswasser) die Etiketten ab, um
die Vorgänge in den Flaschen genau zu beobachten.
Dann öffnet ihr die beiden Flaschen. Stoßt die Flaschen so zusammen, dass ihr mit dem Boden
der einen auf die Mündung der anderen klopft (Bild 2). Die Flaschen müsst ihr dabei in der Hand halten
und nicht hinstellen.
Beobachtung: Beim Anstoßen schießt das Bier aus der unteren Flasche heraus, aus der oberen aber
nicht oder nur ganz wenig.
Hinweis: Um zu vermeiden, dass das Bier auch aus der oberen Flasche ausschäumt, müsst ihr darauf achten,
dass ihr wirklich gut gekühlte Flaschen nehmt. Wenn Ihr euch wie wir für Weizenbier entscheidet, weil das
besonders gut schäumt, so denkt daran, dass dieses vor dem Versuch zusätzlich besonders ruhig gelagert und
nicht etwa im Auto transportiert und durchgeschüttelt wurde.
Vorsicht, Glasbruch vermeiden. Aber auch nicht zu sanft anstoßen, sonst passiert nichts.
Dieser Versuch kann oftmals wiederholt werden. Ihr könnt auch die Flaschen tauschen. Dann ist
es umgekehrt.
Nun schauen wir einmal genau hin: Das wird dadurch erleichtert, dass wir die Etiketten entfernt
haben. Um Glasbruch zu vermeiden, nehmen wir zum genaueren Studium der Vorgänge anstelle
der zweiten Flasche zum Aufschlagen Hartholz, also z. B. einen Hammerstiel. Wir
erkennen, dass beim Anstoßen aus dem "Nichts" heraus Blasen entstehen und regelrechte
Wolken von Gasblasen nach oben wandern (Bild 3). Das passiert manchmal am Glasboden, aber auch
mitten in der Flüssigkeit.
Achtung: Das Bier, das sich in der unteren Flasche befand, dürft ihr wegen möglicher
Splitterbildung auf keinen Fall mehr trinken!
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Bild 3: Die Gaswolken in der angestoßenen Flasche (Foto: Daggi) |
Dem Ablauf liegt ein akustisches Phänomen zugrunde
Wie ist unser Versuchsergebnis zu erklären: Dass in der unteren Flasche Gas entsteht, in
der oberen nicht?
Beim Anstoßen wandert eine sich vom Anstoßpunkt gleichmäßig ausbreitende Schallwelle durch die Flüssigkeiten
in beiden Flaschen.
In der unteren Flasche trifft sie auf den Flaschenboden und wird reflektiert. Dadurch baut sich
eine stehende Welle wie in einer Orgelpfeife auf (Longitudinalwelle; Bild 4). Das kennt ihr
vielleicht aus dem Physikunterricht. Lasst euch mal das Kundtsche Rohr zeigen. Die Bäuche
dieser stehenden Welle bedeuten Zonen mit Niederdruck, deren Knoten Zonen mit Hochdruck. Niederdruck hat (wie
beim Flaschenöffnen) Gasfreisetzung zur Folge. Deshalb gibt es Zonen, in denen Gas entsteht.
Das seht ihr sehr schön auf dem Bild 3. Um die stehenden Wellen nicht zu stören, darf die anzustoßende
Flasche auch nicht aufgesetzt werden, sondern muss frei in der Hand gehalten werden.
Dagegen ist die obere Flasche am anderen, oberen Ende offen. Hier entsteht keine stehende
Welle, das Ausschäumen bleibt also aus. Und wenn die obere Flasche bei besonders starkem
Stoß doch etwas ausschäumt, liegt es nur daran, dass sich die Flasche am Flaschenhals verengt
und es zu einer geringen Stehwellenbildung mit leichtem Ausschäumen kommen kann.

Bild 4: Modell der stehenden Welle (Kundtsches Rohr)
Und nun untersuchen wir, was passiert, wenn extreme Schallwellen durch das Bier rasen: Wir stellen
die Bierflasche in ein Ultraschallbad mit einer tausendfach höheren Frequenz, als wir durch einen Schlag
erzeugen können.
Versuch 2: Bierflasche im Ultraschallbad
Öffne eine nicht zu kalte Bierflasche und stelle sie in ein Ultraschallbad.
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Bild 5: Bierflasche im Ultraschallbad (Foto: Blume) |
Das Bier schießt wie ein Geysir aus der Flasche. Das Entgasen von Flüssigkeiten lässt sich also
besonders effektiv mit Ultraschall vornehmen. Das macht man z. B. bei Anwendungen wie der Vorbereitung
von Lösemitteln in der HPLC-Technologie. Dem Vernehmen nach prüfen
auf diese Weise die Getränkehersteller die Dichtigkeit ihrer Kronkorken-Verschlüsse.
Warum schäumt das Bier überhaupt?
Mit Mineralwasser klappt der Versuch nicht.
Was eigentlich ist Bier? Es ist ein CO2-haltiges Getränk,
das durch alkoholische Gärung eines mit Hopfen gekochten wässrigen Auszugs aus gekeimtem Getreide entsteht.
Einige Inhaltsstoffe des Biers haben Tensid-Charakter, sind also Schaumbildner. Es sind vor
allem die leicht bitteren Hopfeninhaltsstoffe, das Humulon oder Lupulon. (Der wissenschaftliche
Name für Hopfen ist Humulus lupulus.) Je mehr Hopfen in einem Bier ist, desto eindrucksvoller
ist der Schaum. Deshalb gibt man zu normalem Bier 100 g Hopfen, zu Pils dagegen 300 g auf
einen Hektoliter. Das Hopfen macht man übrigens erst seit Anfang des 16. Jahrhunderts (1516:
Reinheitsgebot des Bieres). Erfunden haben es die Flamen, hinter denen deshalb die weinseligen
Spanier des spanischen Herzogs Alba her waren.

Humulon
Der physikalisch-chemische Hintergrund
Was da Gasblasen bildet, ist CO2, das im Bier gelöst ist. (Wie das Gas in wässriger Lösung
„festgehalten“ wird, beschreiben wir hier.) Das Gas wartet darauf, freigesetzt zu
werden, also als Gas aus der Lösung auszutreten. Dieses Gaslösungsgleichgewicht ist abhängig
vom Druck. Je höher der Druck ist, desto mehr CO2 löst sich im Bier. Das Umgekehrte kennen
wir von der Beobachtung, wenn wir eine Flasche mit CO2-haltigem Wasser öffnen: Dann
sprudelt Gas heraus.
Das Gleichgewicht ist aber auch von der Temperatur abhängig. Der Vorgang der Gasfreisetzung ist endotherm.
Das System kühlt folglich ab, wenn CO2 rausgeht.
Das bedeutet aber eine Verzögerung der Freisetzung des Gases. Hinzu kommt, dass bei endothermen Prozessen
die Aktivierungsenergie besonders hoch ist, deshalb ist der Vorgang der Gasfreisetzung reaktionskinetisch
gehemmt. Das ist auch die Grundlage des Degorgierens bei der Herstellung von Champagner.
Insgesamt können wir sagen: das System befindet sich in einem metastabilen Zustand.
Alle Vorgänge weisen darauf hin, dass es sich beim Schlag auf die Flasche um die Störung dieses metastabilen
Gleichgewichts handelt. Das heißt, dass das CO2 eigentlich in übersättigter Lösung vorliegt, die auf den
Anstoß zum Entgasen wartet. Wegen der Abkühlung des Systems gast nicht alles CO2 aus.
Warum bildet sich Nebel, wenn man eine Flasche öffnet?
Beim Öffnen der Flaschen zu unserem Versuch haben wir beobachtet, dass sich beim Öffnen der
Flaschen im oberen Gasraum unter Zischen kurzfristig ein Nebel bildet.
Versuch 3: Nebelbildung beim Öffnen einer Flasche mit CO2-haltigem Getränk
Nehmt eine neue Sprudelflasche, die unter Kohlenstoffdioxiddruck steht. (Ihr könnt dazu natürlich
auch eine Flasche des besten Champagners aus Papis Weinkeller auswählen...) Wenn ihr die mit einem
Ruck aufdreht, beobachtet ihr Nebelbildung im Dampfraum über der Flüssigkeit.
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Der Grund: Der Überdruck in der Flasche, der mehrere bar beträgt, wird auf den äußeren
Luftdruck von einem bar entlastet. Das Flascheninnere kühlt sich ab und der bislang unsichtbare
Wasserdampf kondensiert zu Nebel. Darüber haben wir schon im Tipp 08.99
berichtet. Der Nebel besteht aus Wasserdampf. Die Flaschen stehen unter einem hohen Druck,
etwa wie ein Lkw-Reifen. Das betrifft auch deren kleinen Gasraum. Der enthält eine große
Menge Wasserdampf. Beim Öffnen der Flasche entlastete man von fünf bar auf das eine bar des
normalen Luftdrucks. Die Bildung von Unterdruck ist stets mit Abkühlung verbunden. (Das ist
der gegenteilige Effekt wie beim Betreiben einer Fahrradpumpe, bei der es warm wird.) Durch
das Abkühlen kondensiert der Wasserdampf zu Nebel. Denn kalte Luft kann weniger
Wasserdampf speichern als warme. (Das wisst ihr von der Wolkenbildung.) Deshalb kondensiert
der überschüssige Wasserdampf zu Nebel. Unterstützt wird das noch dadurch, dass im Moment
der Flaschenöffnung aufgrund der Druckentlastung aus der Lösung auch CO2 austritt und
Wasserdampf mitreißt, der dann zusätzlich kondensiert.
Ein weiterer Trick: Die auslaufende Flasche
Als es früher (wie auch heute hier und da wieder) noch die Bierflaschen mit Bügelverschlüssen gab, war es
beliebt, die Leute mit folgendem Scherz zu nerven:
Versuch 4: Die auslaufende Flasche
In den Boden einer leeren Bierflasche mit Bügelverschluss schlägst du vorsichtig mit einem Stahlnagel oder
Bohrer eine kleine Öffnung. Dann füllst du Wasser in die Flasche, wobei du das Löchlein
zuhalten musst. Anschließend verschließt du den Bügel. Das Wasser bleibt drin, die Flasche ist für
den Trick bereit.
Nun machst du eine Wette wie: "Du kannst die Bierflasche nicht öffnen, wenn sie in deiner
Hosentasche steckt". Der Gegenwetter wird die Flasche nehmen, in die Hosentasche stecken und
versuchen, den Bügel zu öffnen. Es gelingt ihm natürlich. In diesem Moment läuft die Flasche
aus.
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Dahinter steckt natürlich auch Chemie oder Physik. Die Oberflächenspannung verhindert, dass die
Flasche trotz des Lochs im Boden im geschlossenen Zustand ausläuft. Öffnest du sie, kann der
Luftdruck sich von oben her ausgleichen, die Flasche läuft folglich aus. Übrigens geht der
Versuch nicht mit Wasser, das Spülmittel enthält. Dann entfällt die Oberflächenspannung.
Versuchs mal. Das wäre ein Thema für eine Facharbeit...
Rüdiger Blume
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Letzte Überarbeitung: 19. Mai 2009, Dagmar Wiechoczek
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