Prof. Blumes Tipp des Monats Juli 2001 (Tipp-Nr. 49)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Der chemische Flammenwerfer

In einer Chatecke für Chemie (Forum de.sci.chemie) war folgende Frage von Dirk Raecke zu lesen:

Hallo, folgender Versuch gibt mir Erklärungsrätsel auf, da ich kein Chemiker bin. Ich denke, es ist irgendein Mischmasch aus Chemie und Physik, was den Effekt erklären kann:
Ganz normales Kerzenwachs (Haushaltskerze) wird abgeraspelt und in ein Reagenzglas gebracht. Nicht zu dick ist vorteilhaft, etwa 1 cm Durchmesser. In einer Flamme wird es erhitzt, flüssig und zum Sieden gebracht (etwa 1-1,5 cm Füllstand).
Wenn es "schön siedet", wird das Reagenzglas in ein kaltes Wasserbad gehalten (natürlich mit der geschlossenen Seite ins Wasser).
Nun passiert folgendes: Mit einer winzigen Zeitverzögerung entsteht eine Art Verpuffung (?) - ganz kleines puffendes Geräusch... Es schießt eine weißliche Wachsfontäne aus dem Glas und die Wolke entzündet sich etwa 20 cm über dem Reagenzglas in einem kleinen, spektakulären Feuerball. Das Experiment ist nicht weiter gefährlich, man sollte nur das Reagenzglas in eine andere als eine "von Menschen bewohnte" Region halten...
Die Entzündung erscheint mir erklärlich durch die beim Rausschießen entstehende Oberflächenvergrößerung -> Sauerstoff -> Entzündung. Aber warum schießt das Wachs so explosionsartig aus dem Reagenzglas heraus????
Vielen Dank im voraus!

Das klingt gut. Deshalb haben wir das sofort ausprobiert. Es klappt tatsächlich. Besonders spektakulär ausgeprägt ist der Flammenball, wenn man dem Wachs Zeit gibt, sich gelblich zu verfärben, sich also zu zersetzen.

(Foto: Blume)


Insgesamt ist unser Eindruck: Ein Experiment, das man auf keinen Fall in der Wohnung nachvollziehen sollte! Auch nicht zum Zigarettenanzünden, wenn man kein Streichholz hat!

Hier bringen wir unsere Versuchsvorschrift fürs Labor:

Versuch: Der chemische Flammenwerfer
(Schutzbrille! Vorsicht! Abstand für Betrachter!)
Wir füllen ein heiles, nicht zu hochwertiges Reagenzglas zwei bis drei cm hoch mit Wachsstückchen. Über einer Brennerflamme wird es (schräg gehalten mit einer Reagenzglas-Klammer) erhitzt. Es bildet sich rasch weißer Rauch. Vorsicht, dass sich dieser nicht durch Kontakt mit der Brennerflamme entzündet. Das Wachs beginnt zu sieden und verfärbt sich dann langsam gelb.
Wichtig: Es reicht nicht aus, das Wachs nur "heiß" zu machen. Es muss eine Minute wirklich sieden - also mit aufsteigenden Siedeblasen. Sonst funktioniert der Versuch nicht!
Nun wird der Boden des Glases 2-3 cm tief in kaltes Wasser getaucht. Dabei achtet man darauf, dass man das Glas schräg von sich weghält.
Es fegt zunächst weißer Rauch aus dem Reagenzglas, der anschließend in einem beeindruckenden Flammenball aufgeht.
Die Größe des Feuerballs kann man durch Kochdauer und Wachsmenge variieren.
Nach der Reaktion ist das Glas sehr heiß! Man betrachte es genau. In der Abkühlzone sind viele feine Risse zu erkennen.

Wahrlich ein chemischer Flammenwerfer. Gibt es das: Feuer durch Abkühlung?


Was steckt dahinter?
Wie der Dirk schon vermutet hat: Es ist von jedem etwas dabei: Physik und Chemie.
Zunächst die Physik: Das Ganze erinnert in seinem Ablauf an den Modellversuch zum Friteusenbrand, den wir in unserer Gefahrenwebseite vorstellen. Bezüglich der Physik haben beide Experimente die gleiche Ursache.
Das geschmolzene und sich zersetzende Wachs hat eine Temperatur von ca. 400 °C. Eingetaucht in kaltes Wasser bilden sich auch in hochwertigem Glas Spannungen aus, die es zum Springen bringen. Durch die feinen Sprungrisse dringt etwas Wasser ein, bekommt Kontakt zum heißen Wachs und verdampft explosionsartig. Bei 400 °C hat Wasserdampf ein 3000fach größeres Volumen als die gleiche Menge an flüssigem Wasser. Der Wasserdampf treibt das geschmolzene Wachs aus dem Reagenzglas.


Wie kommt es zur Selbstentzündung?
Jetzt wird es chemisch.
Kerzenwachs besteht hauptsächlich aus langkettigen Kohlenwasserstoffen. Diese zersetzen sich beim Erhitzen, was man am Gelb- bis Braunwerden der Schmelze erkennt. Vor allem bilden sich Wasserstoffradikale.

CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH3 ———> CH3-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2· + ·H

Über den Mechanismus informiert ihr euch am besten in unserer Webseite zum Klopfen von Motoren. Denn auch beim Klopfen, also der frühzeitigen Zündung des Benzindampf/Luft-Gemischs, sind die in der Hitze des Motorraums gebildeten H-Radikale die Übeltäter. Je länger die Kohlenwasserstoffketten sind, desto niedriger sind die zur Abspaltung der H-Atome notwendigen Temperaturen. Davon hängt (verglichen mit Methan) deren erstaunlich tiefe Zündtemperatur ab!
Anders als im Motorraum haben die H-Radikale im Reagenzglas keinen Kontakt mit dem Sauerstoff der Luft. Deshalb reichern sie sich zunehmend im heißen Wachs an. Erst, wenn das Wachs durch den Wasserdampf ausgetrieben und dabei fein zerstäubt wird, reagieren sie unter Flammenerscheinung mit dem Sauerstoff der Luft. Es sei daran erinnert, dass Sauerstoff schließlich selbst ein Biradikal ist.

Man kann deutlich zwei Flammenerscheinungen unterscheiden: Zunächst ist da ein primärer, der "radikalische" Feuerball, der sehr hoch steigt, auseinander flattert und merkwürdig nachglüht. Nachfolgend erfolgt das dadurch aktivierte, teilweise rückwärts laufende Abbrennen der Wachsdampfsäule. Das alles zeigt das obige Bild.


Wie man Kerzen auf gefahrlose Art und Weise selber gießen kann
Warum lohnt es sich, das alles zu wissen? Viele Leute gießen selbst Kerzen. Dieser Versuch zeigt, dass man dabei vorsichtig sein soll. So kann es schon beim zu starken Erhitzen zu Selbstentzündungen kommen. Hier ist eine entsprechende Zeitungsmeldung:

Vorsicht beim Selberherstellen von Kerzen!
Ein Topf mit geschmolzenem Wachs entzündet sich von selbst.
Die Feuerwehr muss helfen, den Brand zu löschen.
Die Leute haben versucht, selber Kerzen zu gießen.

Auch wenn zu stark zersetztes Kerzenwachs beim Ausgießen in die Form mit Sauerstoff in Kontakt kommt, kann es sich entzünden!

Man geht deshalb so vor, dass man das Kerzenwachs nur in einem heißen Wasserbad zum Schmelzen bringt. Das dauert vielleicht etwas länger. Aber dann kann es sich nicht überhitzen, und man kann gefahrlos seine Kerzen gießen.


Weitere Selbstentzündungen von Wachs
Selbstentzündungen gibt es auch mit überhitzten Teelichtern! Dazu haben wir eine Sonderwebseite.

Hintergründe zum Experiment


Rüdiger Blume und Jean Marc Orth


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Letzte Überarbeitung: 11. Juni 2015, Dagmar Wiechoczek