Alle Jahre wieder - Spargelzeit!
Sabine Streller
Jedes Jahr, wenn im Frühling die Spargelzeit beginnt und wir uns über die frischen, weißen Sprösslinge hermachen, wird dieser Genuss von einem seltsamen Geruch begleitet, den unser Urin annimmt. Über das Phänomen des stinkenden Urins nach dem Verzehr von Spargel berichteten wir bereits. Viele Menschen empfinden diesen Geruch als überaus unangenehm, Marcel Proust dagegen beschrieb ihn mit blumigen Worten: Als wenn mein Nachttopf in eine Flasche Parfüm verwandelt wäre! Doch wie hat man eigentlich herausgefunden, welche Substanzen für diesen charakteristischen Geruch verantwortlich sind?
Bild 1: gekochter Spargel
Wie Prof. Nencki vor mehr als 100 Jahren seine Laboranten mit Spargel fütterte
Aus dem Urin wurde das Methylmercaptan also durch Erhitzen ausgetrieben. Schauen wir uns nun einmal genauer an, wie Nencki das Methylmercaptan nachweisen konnte [2]: „Hat man wenig Methylmercaptan zu erwarten, so ist es zweckmässig nur etwa 30 ccm der 3 proc. Cyanquecksilberlösung zu verwenden. Der erhaltene und gut ausgewaschene Niederschlag des Quecksilbersalzes wird noch feucht mit wenig Salzsäure aus einem Reagensröhrchen destillirt und die entweichenden Dämpfe in einige Cubikcentimeter frisch bereiteter 3 proc. Bleizuckerlösung geleitet. Sobald die Flüssigkeit siedet, geht das Methylmercaptan über und bildet, selbst wenn es nur in Spuren vorhanden ist, an dem Zuleitungsröhrchen, da wo es in die Bleilösung taucht, einen hellgelben, krystallinischen Beschlag. Gleichzeitig wird der charakteristische Geruch des Gases wahrnehmbar. Es ist rathsam, das Erhitzen nicht zu lange fortzusetzen, da später auch Salzsäure übergeht und das Bleimercaptid mit Chlorblei vermischt wird.“ Der Nachweis von Methylmercaptan
Der Ablauf der Reaktion, die Nencki zum Nachweis von Methylmercaptan durchgeführt hat, ist im folgenden Schema dargestellt und gleich viel übersichtlicher: In Reaktion (1) wird das freigesetzte Methanthiol in eine Quecksilber(II)-cyanid-Lösung geleitet, wo es sich spezifisch mit den Hg2+-Ionen verbindet und als Quecksilber(II)-methylthiolat-Niederschlag ausfällt. Daher leitet sich übrigens auch der alte Name der Stoffklasse der Thiole ab: Früher wurden sie als Mercaptane bezeichnet. Dieser Name ist von mercurius captans, Quecksilber fangend, abgeleitet. Durch Erhitzen in salzsaurer Lösung wird in Reaktion (2) das Quecksilber(II)-methylthiolat wieder zersetzt und das erneut frei werdende Methanthiol reagiert mit den Pb2+-Ionen in der Blei(II)-acetat-Lösung zum stabilen Blei(II)-methylthiolat, früher als Bleimercaptid bezeichnet. Das Blei(II)-methylthiolat fällt in gelben Kristallen aus (siehe auch Bleijodid-Kristalle). Der Verdienst von Marcel Nencki ist es, als erster einen Bestandteil des seltsam riechenden „Spargelurins“ nachgewiesen zu haben. Er selbst schreibt dazu 1891: „Die angeführten Thatsachen genügen aber, um mit größter Wahrscheinlichkeit das Methylmercaptan als die Ursache des eigenthümlichen Geruchs des Spargelurins anzusehen. Möglicherweise finden sich daneben noch Spuren anderer, schwefelhaltiger Producte. Es wird nun von Interesse sein, nach der Muttersubstanz des Methylmercaptans in den Spargelsprösslingen zu suchen“ [2]. Und dies hat man inzwischen auch erfolgreich getan: Mehr als 20 Verbindungen sind bis heute bekannt, die für den Geruch verantwortlich sind, gleichwohl ist die häufigste das Methylmercaptan [4]. Die Suche nach der „Muttersubstanz“ ist inzwischen beendet, sie ist in der Asparagusinsäure zu finden. Über den Abbau der Asparagusinsäure zum Methanthiol berichteten wir. Oft wird die Asparagusinsäure mit der Asparaginsäure verwechselt. Doch die schwefelfreie Aminosäure Asparaginsäure hat mit dem stinkenden Urin gar nichts zu tun. Neues aus der Spargelurinforschung
Von ganz anderen und zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen berichteten 2011 amerikanische Wissenschaftler, die verschiedene Studien auf diesem Gebiet, die in Frankreich, Amerika, Großbritannien, Israel und China durchgeführt wurden, gegenüberstellten [4]. Sie ergänzten die Vermutung, dass einige Menschen „Spargelurin“ produzieren und andere nicht um die weitere Vermutung, dass einige Menschen den Geruch vielleicht einfach nicht wahrnehmen können, ihn aber eigentlich produzieren. Außerdem nahmen sie an, dass sowohl in der Geruchsproduktion ganz individuelle Unterschiede bestehen als auch in der Fähigkeit der Rezeption des Geruchs. In der eigenen Studie der amerikanischen Wissenschaftler wurde außerdem eine DNA-Probe der Teilnehmenden untersucht, um eine mögliche genetische Ursache für diese Fähigkeiten auszumachen und Zusammenhänge zu olfaktorischen Rezeptoren zu finden. Aber auch diese Ergebnisse zeigen ein buntes Bild: Ungefähr 8% der Teilnehmenden haben nicht den charakteristischen Geruch produziert, ca. 6% konnten ihn nicht riechen. Ein Zusammenhang zu einem einzigen olfaktorischen Rezeptor, wie er für die Wahrnehmung von Fischgeruch bereits nachgewiesen ist, konnte auch nicht hergestellt werden. Die Autoren schließen mit der Feststellung: Die Ursachen für die individuellen Unterschiede in der Produktion des Geruchs von Spargelurin bleiben unbekannt [4]. Doch warum beschäftigen sich Wissenschaftler noch immer mit dem Geruch des Spargelurins?
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