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Tipp des Monats August 2019 (Tipp-Nr. 266)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Baltischer Bernstein – wirklich echt?

Uwe Lüttgens
Mit freundlicher Unterstützung des Labors des Bernsteinmuseums in Krakau


Ein Besuch in den Krakauer Tuchhallen lohnt sich immer – das wunderschöne Renaissance-Gebäude diente ursprünglich dem Handel mit Tuchen. Heute finden sich viele kleine Krämerläden, die Souvenirs verkaufen. Dort erstand ich schönen Bernsteinschmuck für meine Frau.

Bild 1: Zahlreiche Händler bieten in den Tuchhallen in Krakau Schmuck aus baltischem Bernstein an
(Foto: Lüttgens)

Zum Beweis, dass es sich um baltischen Bernstein handelt, der zur Schmuckherstellung verwendet wurde, legt die Verkäuferin den Ohrhängern ein Zertifikat bei.

Bild 2: Ohrhänger mit der “Guarantee of Origin – Baltic Amber”
(Foto: Lüttgens)

Wie funktioniert die Prüfung? Das macht man mit einem Spektrometer. Woran erkennt man baltischen Bernstein? Dieser Frage wollen wir in diesem Tipp nachgehen.


Die häufigste Bernsteinart: Succinit
Bernstein ist ein komplexes Stoffgemisch, bestehend aus einer Art polymerem Netzwerk, in dem mehr als 100 verschiedene organische Substanzen eingelagert sind [1]. Einen umfangreichen Tipp zum Bernstein mit vielen Versuchen findest Du auf unserer Homepage.

Succinit, das ist der geologische Name des baltischen Bernsteins. Abgeleitet ist der Name vom lat. succus, was so viel wie Soße heißt. Diese Namensgebung nahm 1820 der deutsche Mineraloge August Breithaupt vor. Mit der „Soße“ gemeint ist das goldgelbe Harz (englisch resin) der Bäume der Fennoskandinavischen Wälder, die im heutigen Skandinavien wuchsen - vor mehr als 40 Millionen Jahren. Das Baltische Meer (also die Ostsee) gab es damals noch gar nicht.


Früher verriet eine Extraktion den Bernstein
Schauen wir uns an, was vor knapp 200 Jahre Jöns Jakob Berzelius über Bernstein wusste. Den schwedischen Chemiker kennst Du möglicherweise? Er hat schließlich die Symbole der chemischen Elemente eingeführt, die wir aus dem Periodensystem kennen.

In einem Artikel in den Annalen der Physik mit dem Titel „Einige Bemerkungen über den Bernstein“ schreibt Berzelius 1828, dass er von „einem starken und angenehmen Geruch eines flüchtigen Oeles überrascht [wurde], welcher dem eines Gemenges von Pfeffer- und Rosmarinölen glich“ [2]. Der Geruch erinnert wohl an Weihrauch.

Berzelius trennte den Bernstein in lösliche und unlösliche Bestandteile. Dazu „digerierte“ er den Bernstein (lat. digero, trennen, teilen). Mit dieser Labortechnik lassen sich aus dem festen Stoffgemisch mit geeigneten Lösungsmitteln lösliche Stoffe extrahieren. Er pulverisierte dazu einen Bernstein und digerierte „mit Aether“. Der Ethylether färbte sich gelb, das Filtrat wurde erneut in frischem Ethylether gelöst, solange, bis die Färbung nachließ [2].

Zu den löslichen Bestandteilen, die Berzelius fand, gehören Harzsäuren mit wahrlich abenteuerlichen Namen: Abietinsäure, Isopimarsäure oder Sandaracopimarsäure. Für Fachleute: Sie gehören zur Gruppe der Resinosäuren bzw. Pimarsäuren. Das sind di- und tricyclische Diterpen-Carbonsäuren, Isopreneinheiten aufgebaut sind. (Zum Aufbau der Terpene klicke hier.)

Typische Harzsäuren im Bernstein

Hingegen als unlöslich erwies sich Succinin, das sind die Ester der Bernsteinsäure, die auch als Resen (von lat. resina, Harz) bezeichnet werden.

Succinin – Ester der Bernsteinsäure


Gezielte Manipulationen findet man häufiger – Fälschungen ebenso
Bernstein ist ein Schmuckstein mit vielen Gesichtern. Eine Fälschung ist daher schwer zu erkennen. Und er ist kostbar. Deshalb finden sich immer wieder Manipulationen und Fälschungen, die gerne ahnungslosen Touristen angedreht werden. Jedoch wird das „baltische Gold“ auch gezielt verändert. Das geschieht, um sich dem veränderten Geschmack z. B. eines jüngeren Publikums anzupassen. Der honiggelbe Stein gilt bei der Jugend wohl als reichlich antiquiert.

Bild 3: Bernstein, ein Schmuck mit vielen Gesichtern – aber ist auch alles natürlich und echt?
(Foto: Lüttgens)


Wie lässt sich Bernstein gezielt verändern?

  • Zuerst einmal muss der natürliche Bernstein von anderen fossilen Harzen unterschieden werden, die nicht vorrangig Ester der Bernsteinsäure enthalten. Diese können z. B. aus Ländern wie Mexiko, dem Libanon oder Sumatra stammen.
  • Soll der Schmuckstein ein wenig aufgehellt werden und sollen seine charakteristisch funkelnden Risse deutlicher hervortreten, wird er hohen Temperaturen (bis zu 250°C) und hohen Drücken (25-40 atm) aussetzen. Anschließend muss der Stein wieder langsam abgekühlt werden [1, 3, 4]. Das geschieht in einem Autoklaven (lat. bzw. gr. selbstverschließend), der im Prinzip so funktioniert wie ein Schnellkochtopf: Man kann ihn verschlossen unter Druck setzen und erhitzen.
  • Als schön empfunden wird glitzernder Bernstein. Dieser Effekt wird gezielt durch sphärische Risse erreicht, indem der Schmuckstein erneut im Autoklaven rasch erhitzt und ebenso schnell wieder abgekühlt wird [3].
  • Soll der Bernstein viel älter wirken, sozusagen antik aussehen, wird er infraroter Strahlung ausgesetzt. Der Schmuck sieht dann rasch so aus, als sei er viele Jahre lang dem Sonnenlicht ausgesetzt gewesen [1].
  • Beliebt als Schmuckstein ist unnatürlich roter oder schwarzer Bernstein. Die Farbveränderung lässt sich erreichen, wenn Sauerstoff im Autoklaven hinzukommt, der einige organische Bestandteile des Harzes oxidiert. Der Prozess lässt sich gezielt steuern und auch abbrechen, wenn inerte Gase wie Stickstoff oder Edelgase in den Autoklaven eingeleitet werden [4].
  • Einen grünlichen Farbeindruck erreicht man geschickt dadurch, dass auf die Rückseite des transparenten Schmucks ein schwarzer Farbstoff aufgetragen. Die Folge: Wir nehmen die Farbe Grün war, obwohl der Schmuckstein eigentlich zitronengelb ist [3].

Bild 4: Der grünliche Farbeindruck wird durch den schwarzen Anstrich auf der Rückseite der Ohrhänger des zitronengelben Bernsteins (s. Vergrößerung). Zuvor wird der Schmuck im Autoklaven aufgehellt. Das Funkeln kommt durch gezielte Rissbildung zustande.
(Foto: Lüttgens)

  • Auch eine erhöhte Feuchtigkeit im Autoklaven verändert die Farbe oder Textur; das intensive “Wässern” führt zu milchig weißem Bernstein. Möglicherweise nimmt die Löslichkeit der organischen Stoffe in der mit Wasser angereicherten polymeren Matrix ab [1].


Und die Tricks der Fälscher

  • Gerne wird Kopal als Bernstein ausgegeben. Dessen Harz ist viel jünger – vielleicht einige Tausend Jahre und nicht 40 Millionen Jahre und mehr, wie beim Bernstein. Ein chemischer Unterschied: Der Polymerisationsprozess ist beim Kopal noch nicht abgeschlossen wie beim Bernstein. Der Preis ist natürlich deutlich niedriger, aber immerhin hat man ein natürliches Produkt erworben. Trotzdem dreist.
  • Noch dreister sind die Verbreitung und der Verkauf von Kunststoffimitaten. Dieser minderwertige „Bernstein“ kann z.B. aus Polyester- oder anderen Kunstharzen bestehen. Wer darauf ´reinfällt, hat billigsten Modeschmuck erworben.
  • In der ehemaligen DDR wurde künstlicher Bernstein als Polybern verkauft – ein Gemisch aus gelb gefärbtem Polyester mit Bernsteinpulver [5].


Klärung der Herkunft durch Infrarot-Spektroskopie
Wie lässt sich der baltische Bernstein nun von den Fälschungen rasch, preiswert und sicher unterscheiden? Bitte nicht erschrecken, jetzt wird´s ein wenig physikalisch: Bernstein wird im Spektroskop (lat. spectrum Erscheinung und gr. skopein schauen) geprüft. Darauf deutet das oben erwähnte „Echtheits-Zertifikat“ hin. Dabei handelt es sich um ein Gerät zur optischen Untersuchung von Lichtspektren. Die Methode ist schnell und liefert zuverlässige Ergebnisse. Wichtiger weiterer Vorteil ist, dass es dazu Techniken gibt, die die Oberfläche des Bernsteins nicht zerstören. Man – oder besser: Frau will ja schließlich den Schmuckstein als Ring, Kette oder Ohrhänger nach der spektroskopischen Prüfung tragen.

Das physikalische Prinzip ist relativ einfach erklärt: Ein Lichtstrahl trifft auf eine Probe, in unserem Fall also den Bernstein. Jedoch kommt nur ein Teil des Lichts durch die Stoffprobe hindurch – der andere Teil der Energie wird von der Probe verschluckt. Woran liegt das? Einzelne Moleküle oder Molekülstrukturen geraten in Bewegung, wenn sie die Energie des Lichtes aufnehmen, und fangen an zu schwingen. Die Lichtenergie wird Schwingungen im Molekül (einer Form von Bewegungsenergie) umgewandelt. Die Energie, die absorbiert wird, ist nun von der jeweiligen Struktur der Moleküle abhängig. Anders gesagt: Die Energie der Absorption verrät den Stoff, aus dem die Probe besteht.


Für Spezialisten: Das IR-Spektrum
Besonders aufschlussreich für die Untersuchung des Bernsteins ist der Infrarotbereich (abgekürzt IR). Da es zahlreiche verschiedene mögliche Schwingungen in einem organischen Molekül gibt, die einzelnen Strukturen zugeordnet werden können, wird über einen bestimmten Frequenzbereich der elektromagnetischen Strahlung, besagter infraroter Strahlung, gemessen. Im IR-Spektrum wird auf der x-Achse die Wellenzahl aufgetragen, die mit der Frequenz des Lichts in Zusammenhang steht und in der Einheit cm-1 angegeben wird:

Und seit Max Planck wissen wir, dass die Frequenz des Lichtes direkt mit seiner Energie zusammenhängt:

Im Absorptionsspektrum erkennt man, dass an einigen Stellen bei bestimmten Energien das Licht abgeschwächt wurde – dann sieht man einen Ausschlag nach oben im Spektrum. Man spricht von sogenannten Absorptionsbanden. Je höher und breiter eine Bande ist, desto mehr Energie wird verschluckt. Diese Banden lassen sich jetzt den einzelnen Molekülstrukturen zuordnen.


Die „baltische Schulter“
Das Infrarot-Spektrum von baltischem Bernstein (Succinit) zeigt verschiedene Banden. Die wichtigste Region des IR-Spektrums, die die Herkunft sicher verrät, befindet sich bei Wellenzahlen im Bereich zwischen ~1260 und 1200 cm-1. Daran schließt sich links eine kleine Beule bei ~1156 cm-1. Dieser kleine Bereich, er wird als „baltische Schulter“ bezeichnet, ist entscheidend. Denn dieses Bandenmuster findet sich ausschließlich bei echtem baltischen Bernstein wieder.

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Bild 5: Infrarot-Spektrum von baltischem Bernstein
(Spektrum: Laboratory of Amber, Amber Museum Cracow [3])

Schauen wir uns zum Vergleich mal die IR-Spektren von Bernstein aus Mexiko, dem Libanon oder Sumatra an. Sofort fällt dem geübten Auge auf: Die „baltische Schulter“ ist im Bereich um 1200 cm-1 nicht zu erkennen. Das für Succinit typische Muster fehlt; hier muss von einer anderen Herkunft ausgegangen werden.

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Bild 6: Infrarot-Spektren von Bernstein aus Mexiko, dem Libanon und Sumatra
(Spektren: Laboratory of Amber, Amber Museum Cracow [3])


Für Spezialisten: Welche Strukturmerkmale lassen sich im Infrarot-Spektrum erkennen?
Die wesentlichen Banden von natürlichem Succinit und ihr Aussehen finden sich in der Tabelle (nach [1]):

Funktionelle Gruppe IR-Bande Bemerkungen
Gesättigte C-H-Strukturen 2930 s
2870 s-m
2850 s—m
Valenzschwingungen von Methyl (-CH3) und Methylen (-CH2-)
1455 m
1375 m
Deformationsschwingungen Methyl (-CH3) und Methylen (-CH2-)
Ungesättigte Alkenyl-Strukturen 3080 w
1642 m-w
980 m
888 m
Valenzschwingung von Alkenstruktur
Valenzschwingung von Alkenylstruktur
Deformationsschwingung Vinyl
Deformationsschwingung Vinyliden
Sauerstoffhaltige Gruppen
Ester, Säuren, Alkohole
1736 s
1725 – 1695 s
1260 – 1160 m
Valenzschwingung C=O in Estern
Valenzschwingung C=O in Säuren
Valenzschwingung C-O in Estern, Säuren und Alkoholen (Baltische Schulter)
Strukturen mit Hydroxylgruppen 3500 m
1020 m
Valenzschwingung O-H
Valenzschwingung C-OH


Mein Fazit
Als Laien können wir nicht mit Sicherheit sagen, ob der Schmuck, den wir an touristischen Orten wie den Krakauer Tuchhallen erwerben, wirklich echt ist. Jedoch erscheint eine vorherige Klärung, wer uns den Bernstein verkauft, auf jeden Fall ratsam zu sein – in meinem Fall war es ein Juwelier, der mit dem Bernstein-Museum zusammenarbeitet. Meine Frau jedenfalls war begeistert von den Ohrhängern aus baltischem Bernstein.

Da man ja nicht immer ein IR-Spektrometer (oder alternativ einen Lügendetektor für den Verkäufer) bei sich hat, gilt auf jeden Fall: Nur der am Ostseestrand selbstgefundene oder aus der Ostsee selbstgefischte Bernstein sowie der fachkundig im Labor geprüfte Schmuck ist sicher echt baltisch …


Literatur:
[1] Ewa Wagner-Wysiecka, Mid-infrared spectroscopy for characterization of Baltic amber (succinite), Spectrochimica Acta Part A: Molecular and Biomolecular Spectroscopy 196 (2018) 418–431, https://doi.org/10.1016/j.saa.2018.02.053
[2] J.J. Berzelius, Einige Bemerkungen über den Bernstein, Annalen der Physik 1828, S. 419 ff., http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/andp.18280880307/full#references (zuletzt abgerufen am 11.7.2019)
[3] Persönliche Mitteilung von Karolina Drag, verantwortliche Edelsteinprüferin des Labors des Bernsteinmuseums in Krakau
[4] Karolina Drag, Red Baltic Amber - a few words about modification, Tips (24. Juni 2019), http://www.ambermuseum.eu/en/news (zuletzt abgerufen am 11.7.2019)
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Polybern (zuletzt abgerufen am 11.7.2019)


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Letzte Überarbeitung: 31. August 2019, Fritz Meiners