Abgelenkte Flüssigkeiten – ein Hinweis auf die Polarität von Molekülen Jens Schorn
Bild 1: Der Wasserstrahl krümmt sich deutlich, wenn ein elektrostatisch aufgeladener Ballon in der Nähe ist.
Mit einem Luftballon und einem feinen Wasserstrahl kann man das gezeigte Phänomen auch zuhause beobachten. Experiment 1: Ablenkung von Wasser durch einen Ballon Material: Luftballon, Wasserstrahl, Wollpullover oder Tierfell. Durchführung: Ein aufgeblasener Luftballon wird an einem Wollpullover oder einem Tierfell stark gerieben. Anschließend hält man den elektrostatisch aufgeladenen Ballon seitlich an einen feinen Wasserstrahl. Beobachtungen: Der Wasserstrahl wird zum Ballon hin in seiner Fallrichtung abgelenkt. Bild 2: Der Ballon wird dicht an den Flüssigkeitsstrahl gehalten.
Bild 3: Der Ballon wird weniger dicht an den Flüssigkeitsstrahl gehalten.
Ergebnis: Je näher der Ballon dem Wasserstrahl kommt, desto stärker erfolgt die Ablenkung des Wasserstrahls hin zum Ballon. Im Schulunterricht bleibt das Phänomen lange Zeit ungeklärt, bis man sich mit den allgemeinen Eigenschaften von Wasser, wie der Gefriertemperatur, der Siedetemperatur und den Lösemitteleigenschaften beschäftigt.
Strukturformel des Wassermoleküls Diese beiden Atomsorten bestehen ihrerseits aus den Elementarteilchen Protonen, Neutronen und Elektronen, wobei für unsere Betrachtung nur die Protonen und Elektronen von Bedeutung sind. Verschiedene Arten von Atomen ziehen Elektronen einer chemischen Bindung unterschiedlich stark an. Diese Eigenschaft nennt man Elektronegativität. Sie beschreibt die Fähigkeit eines Atoms, das bindende Elektronenpaar, hier zwischen den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff, stärker an sich heranzuziehen [1]. Wenn zwei Atome unterschiedlicher Elektronegativität in einem Molekül miteinander verbunden sind, dann werden die Elektronen, welche die chemische Bindung ausmachen, von den beiden Atomen unterschiedlich stark angezogen. Die Elektronegativitätswerte aller Elemente lassen sich nachschlagen: Sie finden sich in jeder Formelsammlung oder jedem besseren Periodensystem oder jeder besseren App. Ein Blick ins Periodensystem zeigt: Insgesamt befinden sich die Elemente mit hohen Elektronegativitätswerten (EN-Werte) oben rechts (mit Ausnahme der Edelgase in der 8. Hauptgruppe) und die Elemente mit niedrigen EN-Werten unten links. EN (Wasserstoff) = 2,1 EN (Sauerstoff) = 3,5 Damit zieht der Sauerstoff die Bindungselektronen näher an sich heran und dies führt zu einem Ladungsüberschuss beim Sauerstoff. Diesen Ladungsüberschuss nennen wir Partialladung , da hier im Gegensatz zu einer Ionenbindung, die Elektronen auf den äußersten Atomschalen nicht vollständig ausgetauscht werden, sondern nur teilweise (partiell) verschoben sind. Diese Partialladung wird durch ein griechisches kleines Delta δ+ oder δ- dargestellt, das über oder unter das Elementsymbol geschrieben wird. Struktur des Wassermoleküls mit Partialladungen Struktur des Wassermoleküls mit Partialladungen δ+ und δ- am Wasserstoff bzw. am Sauerstoff mit einer Keildarstellung der chemischen Bindung zwischen den Atomen Wasserstoff und Sauerstoff. Dieser Keil deutet an, dass das Sauerstoffatom in der Bindung zum Wasserstoff die Bindungselektronen näher an sich heranzieht. Eine Bindung, bei der zwischen den Bindungspartnern eine ungleiche Verteilung der Bindungselektronen vorliegt, bezeichnet man als polare Atombindung. Es existieren positive und negative Teilladungen in verschiedenen Bereichen des Wassermoleküls. Da das Wassermolekül eine gewinkelte Struktur besitzt (das liegt an den nichtbindenden Elektronenpaaren des Sauerstoffs), liegt der Ladungsschwerpunkt der positiven und negativen Teilladungen nicht übereinander, sondern getrennt voneinander. Es existieren ein positiver und ein negativer Pol, weshalb man beim Wassermolekül von einem Dipol spricht. Das Dipolmolekül führt dazu, dass sich ein Wasserstrahl mit Hilfe einer positiven oder negativen Ladung elektrostatisch anziehen lässt. Reibt man einen Ballon oder einen Kunststoffstab an Wolle oder Haaren, so lädt sich der Kunststoffstab negativ auf. Was passiert genau? Bringt man Wassermoleküle in ein elektrostatisches Feld, so richtet sich das Molekül in dem Feld aus und der Wasserstrahl wird von dem Kunststoffstab angezogen. Bild 4: Modellvorstellung zur Ablenkung eines Wasserstrahls (Modelle der Wassermoleküle aus weißen (Wasserstoff) und roten (Sauerstoff) Atommodellen) durch einen negativ geladenen Kunststoffstab.
Diese Anziehung des einzelnen Wassermoleküls zeigt sich dann in der Ablenkung des Wasserstrahls.
Es gibt also eine Reihe von Flüssigkeiten, die sich – unterschiedlich stark – elektrostatisch ablenken lassen. Auffällig ist hierbei die Ablenkung von Alkanen und von Estern und dass die Ablenkung innerhalb einer homologen Reihe der Alkane und der Alkanole (vom Pentan zum Octan bzw. vom Ethanol zum Hexanol) zunimmt.
EN (Wasserstoff) = 2,1
Bild 14-19: Übersicht der Molekülstrukturen der verwendeten Flüssigkeiten Die Alkohole, Essigsäure und Wasser werden stark abgelenkt, weil alle Stoffe in ihren Strukturen polare Bereiche besitzen. Diese Strukturen werden - wie schon beim Wasser erklärt - deshalb auch als Dipole bezeichnet. Dass die anderen Flüssigkeiten auch schwach abgelenkt werden, liegt daran, dass auch unpolare Moleküle in einem elektrischen Feld polarisierbar sind. Das elektrische Feld stört die gleichmäßige Elektronenverteilung der unpolaren Bindung und erzeugt so ein kurzzeitiges Dipolmoment. Man spricht deshalb hierbei von induzierten Dipolmomenten. Die Ursache dieses Dipols liegt also nicht direkt in der Struktur. Vielmehr wird dem Stoff von außen ein Dipol sozusagen aufgezwungen. Je stärker das den unpolaren Stoff umgebende elektrische Feld ist, desto stärker ist auch das induzierte Dipolmoment und je mehr Elektronen ein Molekül hat, desto leichter lässt sich ein induziertes Dipolmoment erzeugen [1]. Das bedeutet, dass jede Flüssigkeit oder auch Gase durch ein elektrisches Feld abgelenkt werden können. Das Maß der Ablenkung hängt nur von der Stärke des elektrischen Feldes ab, dass Dipolmomente in der Verbindung oder den betreffenden Atomen erzeugt.
Abschließend können wir noch festhalten, dass die Einteilung von Stoffen in polar/unpolar oder polarisierbar/nicht polarisierbar, eine Voraussetzung dafür ist, Stoffeigenschaften wie die Siede- und Schmelztemperatur oder die Lösemitteleigenschaften solcher Flüssigkeiten erklären zu können. Ohne dieses Verständnis lassen sich molekulare Wechselwirkungen wie die sogenannten Van-der-Waals Kräfte und Wasserstoffbrückenbindungen nicht erklären.
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