Beim Experimentieren den Allgemeinen
Warnhinweis
unbedingt beachten.
Der „experimentelle Faktencheck“: Kritisches Denken fördern mit Online-Kurzvideos
Dennis Dietz
Digitale Bildung stellt eine Querschnittsaufgabe aller Unterrichtsfächer dar [1, S. 17] und ist damit
auch in einem zeitgemäßen Chemieunterricht zu berücksichtigen. Die Kultusministerkonferenz hat in ihrem
Strategiepapier zur „Bildung in der digitalen Welt“ sechs Kompetenzbereiche definiert, welche zentrale
Kompetenzen Digitaler Bildung umfassen [1]. Diese Kompetenzbereiche lauten [1]:
- Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
- Kommunizieren und Kooperieren
- Produzieren und Präsentieren
- Schützen und Sicher Agieren
- Problemlösen und Handeln
- Analysieren und Reflektieren
Ein offensichtlicher Beitrag des Chemieunterrichts zur Digitalen Bildung ist im Kompetenzbereich V
„Problemlösen und Handeln“ zu verorten, wenn man an das digitalgestützte Experimentieren denkt. Zahlreiche
Beispiele hierfür sind in der Literatur beschrieben [bspw. 2]. Der Einsatz von LEGO-Titrationsrobotern kann
bspw. eine interessante Verknüpfung von grundlegenden Aspekten der digitalen Automatisierung und den Einsatz
von Robotik im Chemieunterricht ermöglichen [3]. Auch das Nutzen von vollständig digitalen Experimenten
(also Simulationen) kann gewinnbringend für Lernende sein, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage
sind, Experimente praktisch durchzuführen [4].
Der Kompetenzbereich III „Produzieren und Präsentieren“ wird im Chemieunterricht immer dann adressiert,
wenn digitale Tools genutzt werden, um Arbeitsergebnisse (bspw. Messwerte aus unterschiedlichen Messreihen)
zusammenzuführen und zu präsentieren.
In den vergangenen Monatstipps Dezember 2023 und Juni
2025
habe ich bereits Möglichkeiten dafür aufgezeigt, wie im Chemieunterricht auch die Kompetenzbereiche I (mit
Blick auf das Nutzen und Weiterentwickeln von Suchstrategien und das Analysieren und Bewerten von
Informationsquellen) und VI (mit Blick auf die Analyse und Bewertung von Gestaltungsmitteln digitaler
Medienangebote) aufgegriffen werden können. In diesem Beitrag möchte ich auf die Möglichkeit verweisen,
Online-Kurzvideos auf gängigen Internetplattformen als Ausgangspunkt für den naturwissenschaftlichen
Erkenntnisgewinnungsprozess zu nutzen.
Digitale Medien sind die Hauptinformationsquelle für Jugendliche – auch für naturwissenschaftliche
Themen
Jugendliche wählen vor allem soziale Netzwerke und die Plattform YouTube aus, wenn es darum geht,
Informationen zu tagesaktuellen Themen zu beziehen [5]. Immerhin 25 % der Jugendlichen nennen konkret die
Videoplattform YouTube, wenn sie danach gefragt werden, wie sie sich auf Referate vorbereiten [5]. Diese
Befunde belegen die Notwendigkeit, den kritischen Umgang mit sozialen Netzwerken und YouTube im
Chemieunterricht aufzugreifen.
Einen möglichen lerntheoretischen Rahmen hierfür bietet die „inoculation theory“ [6]. Das Prinzip der
„inoculation theory“ besteht darin, Lernende mit Desinformationen zu „impfen“, um sie zukünftig gegen
Desinformationen zu sensibilisieren. Dazu werden Desinformationen im Unterricht mit Ankündigung vorgelegt
und anschließend werden die dahinter liegenden Desinformationsstrategien gemeinsam entschlüsselt. Für den
Lernerfolg – also die Förderung des kritischen Denkens – ist dabei die aktive Auseinandersetzung mit der
jeweiligen Desinformation von entscheidender Bedeutung [7].
Kurzvideos auf der Plattform YouTube eignen sich hervorragend für einen „experimentellen Faktencheck“
Auf der Plattform YouTube befinden sich zahlreiche Videos zu naturwissenschaftlichen Themen. Darunter
sind allerdings auch zahlreiche Videos mit Falsch- oder sogar Desinformationen. Ein offensichtliches
Beispiel hierfür stellen Kurzvideos zu Auflademöglichkeiten von Smartphones dar. In zahlreichen Kurzvideos
wird der Ladestecker des Smartphones in eine oder mehrere Zitronen gesteckt und auf diese Weise das
Smartphone angeblich aufgeladen [bspw. 8].
Die Lernenden können nach dem Sehen eines solchen Kurzvideos zahlreiche Fragestellungen formulieren, wie
bspw.:
- Kann man mit Hilfe von Zitronen Strom erzeugen?
- Wenn man mit Zitronen Strom erzeugen kann, welche Stromstärke und welche Spannung kann man erreichen?
- Reicht der Strom einer Zitrone aus, um einen Smartphoneakku zu laden?
- Kann man auch mit Hilfe von anderen Früchten Strom erzeugen?
- usw
Im Anschluss an das Formulieren der Fragestellungen können Lernende diesen nachgehen, indem sie Experimente
planen, durchführen und auswerten. Im Zuge der Auswertung bietet es sich auch an, Lernende in einer
anschließenden Unterrichtsstunde selbst ein „Reaction-Video“ drehen zu lassen. Auf diese Weise können weitere
Kompetenzen – in diesem Fall aus den Bereichen „Kommunizieren“ des Rahmenlehrplans Chemie und „Produzieren und
Präsentieren“ des Strategiepapiers „Bildung in der digitalen Welt“ – gefördert werden.
Weitere Kurzvideos für einen „experimentellen Faktencheck“ im Chemieunterricht
Es braucht nur wenig Zeit, um weitere geeignete Kurzvideos zu Themen des Chemieunterrichts im Internet
zu finden, welche als Ausgangspunkt für das Formulieren von Fragestellungen und damit für das Planen,
Durchführen und Auswerten von Experimenten genutzt werden können. Eine kleine Auswahl ist in der folgenden
Tabelle 1 dargestellt:
| Inhalt des Videos |
Thema im Fach Chemie |
Link |
| Erzeugen eines Wasserstrudels mit Batterien |
Wasser (Dipoleigenschaften) |
[9] |
| Mit einer Säure einen Löffel „auflösen“ |
Säuren (Reaktion mit Metallen) |
[10] |
| Bau eines perpetuum mobile mit Gießkannen |
Thermodynamik (1. Hauptsatz) |
[11] |
| Kunstschnee aus Salz und Zucker |
Kunststoffe (Superabsorber) |
[12] |
| Mit Salz an den Fingern festes Eigelb aus einer Schüssel mit einem geschlagenen Ei
ziehen |
Proteine (Denaturierung) |
[13] |
| Geschriebenen Text mit einem Bügeleisen entfernen |
Farbstoffe (Thermochromie) |
[14] |
Tab. 1: Beispiele für Kurzvideos auf YouTube, welche als Ausgangspunkt für den
naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungsprozess im Chemieunterricht genutzt werden können
Fazit
Das Nutzen von Kurzvideos auf Plattformen wie YouTube bietet eine wunderbare Möglichkeit die Förderung
von Kompetenzen aus dem Bereich der Erkenntnisgewinnung mit der Förderung von digitalen Kompetenten
sinnstiftend zu verzahnen und das kritische Denken von Lernenden zu fördern. Ich wünsche Ihnen viel Freude
ebenso beim Suchen wie beim Nutzen von Kurzvideos als Ausgangspunkt für das Experimentieren im
Chemieunterricht.
Literatur:
[1] Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland
(2017). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der
Kultusministerkonferenz. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf,
letzter Zugriff: 08.05.25
[2] Schneeeweiß, N., Sieve, B., & Ulrich, N. (2020). Naturwissenschaften im Unterricht Chemie.
Unterricht digital unterstützen. Heft 177/178. Friedrich Verlag.
[3] Diermann, D., Banerji, A., Koenen, J., & Egerer, C. (2025). Experimentieren mit digitalen Medien
bereichern. In: H. van Vorst (Hrsg.), Entdecken, lehren und forschen im Schülerlabor (S. 544-547).
Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Ruhr-Universität Bochum.
[4] Groos, L., Kranz, D., Lieber, L. S., Maaß, K., & Graulich, N. (2022). Titrieren digital oder analog
– Lässt sich das experimentell-praktische Verständnis von Studierenden gleichermaßen fördern? CHEMKON,
29, 255-260.
[5] Saferinternet.at (2023). Jugendliche im Fake-News-Dilemma. Verfügbar unter: https://www.saferinternet.at/fileadmin/redakteure/Safer_Internet_Day/Safer_Internet_Day_2023/Infografik_Fake_News_2023.pdf,
letzter Zugriff: 18.07.25
[6] Compton, J. (2013). Inoculation theory. In J. P. Dillard, & L. Shen (Hrsg.), The SAGE handbook
of persuasion: Developments in theory and practice (2. Auflage., S. 220–236). Sage Publications, Inc.
[7] Roozenbeek, J., & van der Linden, S. (2019). The fake news game: actively inoculating against the
risk of misinformation. Journal of Risk Research, 22(5), 570-580. https://doi.org/10.1080/13669877.2018.1443491
[8] https://youtube.com/shorts/0KyJQiELgBw?si=clL49IimViNjDdSD,
letzter Zugriff: 20.07.25
[9] https://www.youtube.com/watch?v=kocLSdIBiFY,
letzter Zugriff: 20.07.25
[10] https://www.youtube.com/watch?v=5Qc_Sy6IAlI,
letzter Zugriff: 20.07.25
[11] https://www.youtube.com/watch?v=suVdU0U0rJA&t=44s,
letzter Zugriff: 20.07.25
[12] https://www.youtube.com/shorts/1NXEcSdtXIQ,
letzter Zugriff: 20.07.25
[13] https://www.youtube.com/shorts/d3R-JPc5NTk,
letzter Zugriff: 20.07.25
[14] https://www.youtube.com/shorts/0xy62uyBkTg,
letzter Zugriff: 20.07.25
Weitere Tipps des Monats