Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie


Tipp des Monats August 2025 (Tipp-Nr. 332)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Der „experimentelle Faktencheck“: Kritisches Denken fördern mit Online-Kurzvideos

Dennis Dietz

Digitale Bildung stellt eine Querschnittsaufgabe aller Unterrichtsfächer dar [1, S. 17] und ist damit auch in einem zeitgemäßen Chemieunterricht zu berücksichtigen. Die Kultusministerkonferenz hat in ihrem Strategiepapier zur „Bildung in der digitalen Welt“ sechs Kompetenzbereiche definiert, welche zentrale Kompetenzen Digitaler Bildung umfassen [1]. Diese Kompetenzbereiche lauten [1]:

  1. Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren
  2. Kommunizieren und Kooperieren
  3. Produzieren und Präsentieren
  4. Schützen und Sicher Agieren
  5. Problemlösen und Handeln
  6. Analysieren und Reflektieren

Ein offensichtlicher Beitrag des Chemieunterrichts zur Digitalen Bildung ist im Kompetenzbereich V „Problemlösen und Handeln“ zu verorten, wenn man an das digitalgestützte Experimentieren denkt. Zahlreiche Beispiele hierfür sind in der Literatur beschrieben [bspw. 2]. Der Einsatz von LEGO-Titrationsrobotern kann bspw. eine interessante Verknüpfung von grundlegenden Aspekten der digitalen Automatisierung und den Einsatz von Robotik im Chemieunterricht ermöglichen [3]. Auch das Nutzen von vollständig digitalen Experimenten (also Simulationen) kann gewinnbringend für Lernende sein, die aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, Experimente praktisch durchzuführen [4].
Der Kompetenzbereich III „Produzieren und Präsentieren“ wird im Chemieunterricht immer dann adressiert, wenn digitale Tools genutzt werden, um Arbeitsergebnisse (bspw. Messwerte aus unterschiedlichen Messreihen) zusammenzuführen und zu präsentieren.
In den vergangenen Monatstipps Dezember 2023 und Juni 2025 habe ich bereits Möglichkeiten dafür aufgezeigt, wie im Chemieunterricht auch die Kompetenzbereiche I (mit Blick auf das Nutzen und Weiterentwickeln von Suchstrategien und das Analysieren und Bewerten von Informationsquellen) und VI (mit Blick auf die Analyse und Bewertung von Gestaltungsmitteln digitaler Medienangebote) aufgegriffen werden können. In diesem Beitrag möchte ich auf die Möglichkeit verweisen, Online-Kurzvideos auf gängigen Internetplattformen als Ausgangspunkt für den naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungsprozess zu nutzen.


Digitale Medien sind die Hauptinformationsquelle für Jugendliche – auch für naturwissenschaftliche Themen
Jugendliche wählen vor allem soziale Netzwerke und die Plattform YouTube aus, wenn es darum geht, Informationen zu tagesaktuellen Themen zu beziehen [5]. Immerhin 25 % der Jugendlichen nennen konkret die Videoplattform YouTube, wenn sie danach gefragt werden, wie sie sich auf Referate vorbereiten [5]. Diese Befunde belegen die Notwendigkeit, den kritischen Umgang mit sozialen Netzwerken und YouTube im Chemieunterricht aufzugreifen. Einen möglichen lerntheoretischen Rahmen hierfür bietet die „inoculation theory“ [6]. Das Prinzip der „inoculation theory“ besteht darin, Lernende mit Desinformationen zu „impfen“, um sie zukünftig gegen Desinformationen zu sensibilisieren. Dazu werden Desinformationen im Unterricht mit Ankündigung vorgelegt und anschließend werden die dahinter liegenden Desinformationsstrategien gemeinsam entschlüsselt. Für den Lernerfolg – also die Förderung des kritischen Denkens – ist dabei die aktive Auseinandersetzung mit der jeweiligen Desinformation von entscheidender Bedeutung [7].


Kurzvideos auf der Plattform YouTube eignen sich hervorragend für einen „experimentellen Faktencheck“
Auf der Plattform YouTube befinden sich zahlreiche Videos zu naturwissenschaftlichen Themen. Darunter sind allerdings auch zahlreiche Videos mit Falsch- oder sogar Desinformationen. Ein offensichtliches Beispiel hierfür stellen Kurzvideos zu Auflademöglichkeiten von Smartphones dar. In zahlreichen Kurzvideos wird der Ladestecker des Smartphones in eine oder mehrere Zitronen gesteckt und auf diese Weise das Smartphone angeblich aufgeladen [bspw. 8].

Die Lernenden können nach dem Sehen eines solchen Kurzvideos zahlreiche Fragestellungen formulieren, wie bspw.:

  1. Kann man mit Hilfe von Zitronen Strom erzeugen?
  2. Wenn man mit Zitronen Strom erzeugen kann, welche Stromstärke und welche Spannung kann man erreichen?
  3. Reicht der Strom einer Zitrone aus, um einen Smartphoneakku zu laden?
  4. Kann man auch mit Hilfe von anderen Früchten Strom erzeugen?
  5. usw
Im Anschluss an das Formulieren der Fragestellungen können Lernende diesen nachgehen, indem sie Experimente planen, durchführen und auswerten. Im Zuge der Auswertung bietet es sich auch an, Lernende in einer anschließenden Unterrichtsstunde selbst ein „Reaction-Video“ drehen zu lassen. Auf diese Weise können weitere Kompetenzen – in diesem Fall aus den Bereichen „Kommunizieren“ des Rahmenlehrplans Chemie und „Produzieren und Präsentieren“ des Strategiepapiers „Bildung in der digitalen Welt“ – gefördert werden.


Weitere Kurzvideos für einen „experimentellen Faktencheck“ im Chemieunterricht
Es braucht nur wenig Zeit, um weitere geeignete Kurzvideos zu Themen des Chemieunterrichts im Internet zu finden, welche als Ausgangspunkt für das Formulieren von Fragestellungen und damit für das Planen, Durchführen und Auswerten von Experimenten genutzt werden können. Eine kleine Auswahl ist in der folgenden Tabelle 1 dargestellt:

Inhalt des Videos Thema im Fach Chemie Link
Erzeugen eines Wasserstrudels mit Batterien Wasser (Dipoleigenschaften) [9]
Mit einer Säure einen Löffel „auflösen“ Säuren (Reaktion mit Metallen) [10]
Bau eines perpetuum mobile mit Gießkannen Thermodynamik (1. Hauptsatz) [11]
Kunstschnee aus Salz und Zucker Kunststoffe (Superabsorber) [12]
Mit Salz an den Fingern festes Eigelb aus einer Schüssel mit einem geschlagenen Ei ziehen Proteine (Denaturierung) [13]
Geschriebenen Text mit einem Bügeleisen entfernen Farbstoffe (Thermochromie) [14]

Tab. 1: Beispiele für Kurzvideos auf YouTube, welche als Ausgangspunkt für den naturwissenschaftlichen Erkenntnisgewinnungsprozess im Chemieunterricht genutzt werden können


Fazit
Das Nutzen von Kurzvideos auf Plattformen wie YouTube bietet eine wunderbare Möglichkeit die Förderung von Kompetenzen aus dem Bereich der Erkenntnisgewinnung mit der Förderung von digitalen Kompetenten sinnstiftend zu verzahnen und das kritische Denken von Lernenden zu fördern. Ich wünsche Ihnen viel Freude ebenso beim Suchen wie beim Nutzen von Kurzvideos als Ausgangspunkt für das Experimentieren im Chemieunterricht.


Literatur:
[1] Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2017). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Verfügbar unter: https://www.kmk.org/fileadmin/pdf/PresseUndAktuelles/2018/Digitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf, letzter Zugriff: 08.05.25
[2] Schneeeweiß, N., Sieve, B., & Ulrich, N. (2020). Naturwissenschaften im Unterricht Chemie. Unterricht digital unterstützen. Heft 177/178. Friedrich Verlag.
[3] Diermann, D., Banerji, A., Koenen, J., & Egerer, C. (2025). Experimentieren mit digitalen Medien bereichern. In: H. van Vorst (Hrsg.), Entdecken, lehren und forschen im Schülerlabor (S. 544-547). Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik, Ruhr-Universität Bochum.
[4] Groos, L., Kranz, D., Lieber, L. S., Maaß, K., & Graulich, N. (2022). Titrieren digital oder analog – Lässt sich das experimentell-praktische Verständnis von Studierenden gleichermaßen fördern? CHEMKON, 29, 255-260.
[5] Saferinternet.at (2023). Jugendliche im Fake-News-Dilemma. Verfügbar unter: https://www.saferinternet.at/fileadmin/redakteure/Safer_Internet_Day/Safer_Internet_Day_2023/Infografik_Fake_News_2023.pdf, letzter Zugriff: 18.07.25
[6] Compton, J. (2013). Inoculation theory. In J. P. Dillard, & L. Shen (Hrsg.), The SAGE handbook of persuasion: Developments in theory and practice (2. Auflage., S. 220–236). Sage Publications, Inc.
[7] Roozenbeek, J., & van der Linden, S. (2019). The fake news game: actively inoculating against the risk of misinformation. Journal of Risk Research, 22(5), 570-580. https://doi.org/10.1080/13669877.2018.1443491
[8] https://youtube.com/shorts/0KyJQiELgBw?si=clL49IimViNjDdSD, letzter Zugriff: 20.07.25
[9] https://www.youtube.com/watch?v=kocLSdIBiFY, letzter Zugriff: 20.07.25
[10] https://www.youtube.com/watch?v=5Qc_Sy6IAlI, letzter Zugriff: 20.07.25
[11] https://www.youtube.com/watch?v=suVdU0U0rJA&t=44s, letzter Zugriff: 20.07.25
[12] https://www.youtube.com/shorts/1NXEcSdtXIQ, letzter Zugriff: 20.07.25
[13] https://www.youtube.com/shorts/d3R-JPc5NTk, letzter Zugriff: 20.07.25
[14] https://www.youtube.com/shorts/0xy62uyBkTg, letzter Zugriff: 20.07.25


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Letzte Überarbeitung: 29. Juli 2025, Fritz Franzke