Prof. Blumes Tipp des Monats März 1998 (Tipp-Nr. 9)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Periodische Reaktionen in Gelen: Liesegangsche Ringe

Hübsche Experimente beleben den Chemieunterricht. So auch die Liesegangschen Ringe [1]. Diese sind im Zeitalter der oszillierenden Reaktionen von Belousov und Zhabotinskii chemische Vorgänge, über die man trefflich spekulieren kann.

Es handelt sich bei den Liesegangschen Ringen um Produkte von periodischen Fällungsreaktionen in Gelen wie z. B. Gelatine. Grundsätzlich gibt man Lösungen zusammen, die Stoffe enthalten, die miteinander Niederschläge bilden. Beispiele sind Kalium(di)chromat und Silbernitrat:

2 Ag+ + CrO42¯ ————> Ag2CrO4

Einen der Reaktionspartner legt man in einem Gel gelöst vor, den anderen lässt man in das Gel hineindiffundieren. Beim Wandern reichern sich die Lösungen mit beiden Reaktionspartnern solange an, bis das Löslichkeitsprodukt erreicht ist. Dann beobachtet man die Bildung eines Niederschlags mit linienförmiger Struktur. Die nunmehr verdünnten Lösungen reichern sich beim weiteren Diffundieren wieder mit beiden Reaktionspartnern bis zur erneuten Fällung an (usw.). Es bilden sich hübsche, periodische Strukturen (Bild 1).


Bild 1: Liesegangsche Reaktionen mit Kaliumdichromat und Silbernitrat
(Fotos: Blume)

Versuch: Liesegangsche Ringe

Schülerversuch; 20 min.

Geräte
Becherglas (100 ml), Glasstab, Wasserbad (70 °C), Reagenzgläser, Lupe, Petrischale.

Chemikalien
Kaliumdichromatlösung (w = 0,2 %; T), Silbernitratlösung (w = 10 %; C), Gelatine.

Durchführung
Bitte deinen Lehrer, dir eine wässrige Lösung von Kaliumdichromat (w = 0,2 %; T) zu geben.
A) Reagenzglasversuch
Löse in der Dichromatlösung Gelatine (w = 20 %). Dazu musst du etwas erwärmen. Fülle etwa 10 ml der noch warmen Lösung in ein Reagenzglas und lasse die Mischung gut abkühlen. (Da das länger dauern kann, solltest du den Ansatz über Nacht stehen lassen.)
Schichte über die Gelatine das gleiche Volumen an Silbernitratlösung und stelle den Ansatz ohne ihn zu schütteln in einen dunklen Schrank (Silbersalze sind bekanntlich lichtempfindlich!). Betrachte das Reagenzglas am nächsten Tag und an weiteren Tagen. Die Lupe ist dabei hilfreich.
B) Versuch in der Petrischale
Löse in der Dichromatlösung Gelatine (w = 15 %). Dazu musst du etwas erwärmen. Fülle die Lösung in eine Petrischale, bis der Boden gerade bedeckt ist. Die Schichtdicke sollte maximal nur 1 mm betragen. Lasse die Mischung gut abkühlen. (Da das länger dauern kann, solltest du den Ansatz über Nacht stehen lassen.)
Gib in die Petrischale einen großen Tropfen Silbernitratlösung in die Mitte der Gelatineschicht. Stelle die Petrischale vorsichtig, ohne dass der Tropfen verlaufen kann, in einen Exsikkator, den du in einem dunklen Raum aufbewahren musst. Die Ringe bilden sich besonders gut aus, wenn du in Abständen von etwa einer Stunde nach Bedarf weitere Lösung zutropfst. Betrachte die Probe am nächsten Tag und an weiteren Tagen. Gib immer wieder Silbernitratlösung zu. Schaue die Schale auch von unten her an.

Ergebnis
Du erkennst im Reagenzglas Fällungsschichten; in der Petrischale bilden sich hübsche Fällungsringe aus (Bild 1).

Hinweis
Zu den Liesegangschen Ringen gibt es noch weitere Rezepte [1]. Diese funktionieren aber bei weitem nicht so gut wie das vorgestellte System.

Diese Versuche sind nicht nur eine hübsche Spielerei, sondern auch chemisch, biologisch und geologisch von hohem Interesse.
In der Chemie beobachtet man periodische Reaktionsräume bei den oszillierenden Reaktionen. Auch in der Biologie ist das Wachstum von Mikroorganismen oftmals mit Oszillationen und auch mit dem Liesegangschen Phänomen verknüpft. [3]
In der Geologie ist das Beispiel Kieselsäure besonders deutlich. So bilden sich daraus Feuersteinschichten in der Oberkreide nach ähnlichen Prinzipien (Bild 2) [2]. Ihre Genese entspricht am besten dem Versuchsteil A mit dem Reagenzglas.

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Bild 2: Schichten von Feuerstein in der Schreibkreide von Mön (Dänemark)
(Foto: Blume)

Aber auch die Feuersteine selbst können bereits bänderartig aufgebaut sein (Bild 3). So enthalten viele Feuersteinknollen ebenfalls diese Ringstrukturen (Bild 4).


Bild 3: Bänderfeuerstein

Bild 4: Feuerstein aus Italien mit Liesegang-Ringen

(Fotos: Blume)

Solche Bänderungen kennt man auch von den Halbedelsteinen Achat oder Onyx, Varianten des Chalcedons, einer feinkristallinen SiO2-Art (Bild 5).

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Bild 5: Chalcedon (Foto: Blume)

Auch die sog. Inkrustationen bei der Umwandlung von Calcit in Kieselmasse, die man zum Beispiel bei Fossilien der Schwäbischen Weißjura beobachten kann, beruhen wohl auf dem Liesegangschen Phänomen. (Siehe hierzu die Webseite Die Schälbarkeit des Feuersteins.) Diese beiden Fälle haben ihre Entsprechung in Versuchsteil B mit der Petrischale.

Inkrustationen gibt es aber auch von organischer Biomasse wie Holz oder Knochen. Über die periodisch verlaufende Verkieselung von Fossilien berichten wir hier.

Häufig findet man auch Konkretionen von Eisenerzen wie den Toneisenstein. Auch dieses Mineral, das eine Mischung von Tonmineralien, Eisenoxiden und Eisen/Calciumphosphat darstellt, ist offenbar durch periodische Ausfällung aus Sickerwasser entstanden.

Bild 6: Aufgeschlagene Geode aus Toneisenstein
(Foto: Blume)


Periodische Prozesse spielen auch in der Biologie eine Rolle, so z. B. beim Wachstum von Pilzen.

Bild 7: Periodisches Wachstum eines Pilzes auf dem Blatt einer Christrose
(Foto: Blume)


Zum Schluss noch eine Anmerkung zum Namen Liesegang: Liese ist ein bergmännischer Begriff; er steht für "eng, Enge, enge Kluft". Ein Liesegang ist also ein enger Gang im Bergwerk.

Raphael Eduard Liesegang hat übrigens ein interessantes, wechselvolles Leben hinter sich. Da ging nicht immer alles glatt - Trost für manche Studierende der Chemie, die ab und zu Probleme mit ihrem Studium haben... Das Leben von Liesegang zu erforschen ist recht schwierig, da er ziemlich zurückhaltend war. Um seine Biographie kümmert sich dankenswerterweise Klaus Beneke von der Universität Kiel.
Wussten Sie zum Beispiel, dass sich Liesegang ab 1889 auch um die Entwicklung des Fernsehens gekümmert hat? Er wurde 1891 mit seinem Buch (und später auch mit weiteren Werken zur Entwicklung des Fernsehens) bekannt:

R. E. Liesegang: Beiträge zum Problem des electrischen Fernsehens. (Probleme der Gegenwart, Band 1). Liesegang Verlag, Düsseldorf (1891), 130 Seiten.

Der Ausdruck "Elektrisches Fernsehen" stammt übrigens von ihm. Auch dazu kann auf der Homepage von Klaus Beneke Material abgefragt werden.


Rüdiger Blume


Weitere Tipps des Monats


Literatur:
[1] G. Langhammer: Versuche zur Physikalischen Chemie, Verlag Volk und Wissen, Berlin 1956.
[2] R. Blume: Zur Genese des Baltischen Feuersteins (Flint); in: W. Adrian (Hg.): Die Altsteinzeit in Ostwestfalen und Lippe; Böhlau-Verlag, Köln 1982, S. 25-34.
[3] H. Brandl, Oszillierende biologische und chemische Systeme, Praxis (Chemie) 30, 65-74 (1981).


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Letzte Überarbeitung: 22. Dezember 2014, Dagmar Wiechoczek