Prof. Blumes Tipp des Monats November 2005 (Tipp-Nr. 101)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Bild 1 (Fotos: Blume)


Carbamidperoxid - das feste H2O2

Weiße Zähne gehören heute zum gesunden Menschen wie die kalte Nase zum gesunden Hund. Früher reichte das mechanische Putzen. Dazu nahm man die gute, alte, wenn auch schlechtschmeckende und dazu schmirgelnd-kratzige Schlämmkreide. Die wurde aus mehr oder weniger fein gemahlener echter Kreide gemacht.

Heute sind allerlei Substanzen und Zusätze nötig, um unsere Zähne rundherum zu schützen und zu weißen. Man lese nur die Angaben zur Zusammensetzung von Zahnpflegemitteln, die auf den Verpackungen zu finden sind. Wenn man das alles schlucken würde! Trotzdem: Wir schlucken davon mehr als wir glauben.

Damit das Gebiss auch wirklich weiß wird, setzt man allerlei Bleichchemikalien ein, wie zum Beispiel Wasserstoffperoxid-Harnstoff (Harnstoffperoxid, Harnstoff-Peroxohydrat). Seine Formel ist

H2N-CO-NH2 · H2O2

Zur Erinnerung: Harnstoff ist das Diamid der Kohlensäure, daher die Bezeichnung Carbamid. Aus diesem Grunde ist eine andere Bezeichnung für Harnstoffperoxid Carbamidperoxid.

Es handelt sich weniger um eine echte chemische Verbindung als um ein Addukt. Das wird durch die folgende Strukturformel symbolisiert. Das Symbol "mix" steht für nicht genau definierbare Verhältnisse.

Seine Herstellung gelingt nur, weil Harnstoff unempfindlich gegen Oxidationsmittel wie Wasserstoffperoxid ist.


Wo bekommen wir Carbamidperoxid her?
Wir können zunächst versuchen, die Substanz selber zu synthetisieren. Das ist aber wenig erfreulich, wenn wir nur schulische Mittel zur Verfügung haben. Ihr könnt es ja mal versuchen. Hier ist die Vorschrift. Unser Ergebnis sah so aus:

Bild 2: Selbst hergestelltes Carbamidperoxid
(Foto: Daggi)


Glücklicherweise gibt es für Carbamidperoxid viele Einsatzmöglichkeiten - letztlich dort, wo man auch Wasserstoffperoxid nutzt: Zum Desodorieren, zur Desinfektion und zum Bleichen. Deshalb können wir die Substanz auch kaufen, zum Beispiel bei Merck. Man muss nur wissen, unter welchem Namen im Katalog zu suchen ist. Am besten ist es, wenn man im Register für die Summenformeln nachschaut. Dazu muss man die chemischen Symbole des Carbamidperoxids in alphabetischer Reihenfolge richtig anordnen:

CH6N2O3

So finden wir unser Carbamidperoxid im Katalog unter der Bezeichnung Perhydrit® in Tablettenform (Bestellnummer 107201; 100 g kosten etwa 24 €). Halb so teuer ist Wasserstoffperoxid-Harnstoff zur Synthese (Bestellnummer 818356; 100 g kosten etwa 12 €).

Sicherheitsbelehrung
Carbamidperoxid ist brandfördernd und ätzend. Seine Gefahrensymbole sind (O, C). Das Gefäß darf nicht erwärmt oder gar erhitzt werden und sollte im Kühlschrank aufbewahrt werden. Feuergefahr bei Berührung mit brennbaren Stoffen möglich.

 

Carbamidperoxid ist im sauren Milieu einigermaßen stabil. Deshalb wird es mit Spuren von Säure inaktiviert. Aus diesem Grunde reagieren seine Lösungen schwach sauer.


Vorm Experimentieren eine Vorbemerkung
Harnstoff und Carbamidperoxid kühlen sich beim Lösen stark ab. Das können wir in einem Vorversuch mit Harnstoff zeigen:

Versuch 1: Harnstoff hat eine große Lösungswärme
Wir geben 10 ml Wasser in ein Becherglas. Wir messen die Wassertemperatur. Dann geben wir 5 g Harnstoff hinein und verfolgen die Temperatur.
Ergebnis: Die Temperatur sinkt fast auf den Nullpunkt.

Harnstoff hat also eine große Lösungswärme. Deshalb müssen wir vor den Experimenten unbedingt dafür sorgen, dass die Lösungen auf Zimmertemperatur gebracht werden!


Zunächst untersuchen wir das gekaufte Carbamidperoxid
Wir gehen davon aus, dass sich beim Lösen Harnstoff und Wasserstoffperoxid voneinander lösen und einzeln nachweisbar sind. Wasserstoffperoxid weisen wir mit Titanylsulfat nach. Für den Harnstoff gibt es einen enzymatischen Test, die Urease-Reaktion. Glücklicherweise ist die unverwüstliche Urease auch in Gegenwart von Wasserstoffperoxid aktiv. Auch für Wasserstoffperoxid gibt es einen Enzymtest. Dazu verwenden wir die im Blut reichlich enthaltene Katalase oder gleich Citratblut.

Versuch 2: Analyse von Carbamidperoxid
Wir stellen eine verdünnte Lösung von Carbamidperoxid her und bringen sie auf Zimmertemperatur.

a) Nachweis von H2O2
Das machen wir mit Titanylsulfat-Reagenz. Davon tropfen wir etwas zur Testlösung. Wir führen auch eine Blindprobe mit einer Lösung von Wasserstoffperoxid durch.
Ergebnis: Die zuvor farblose Lösung färbt sich gelborange. Der Nachweis ist positiv. Alternativ können wir auch die Katalase oder Citratblut (-> Versuch) zum Nachweis verwenden. In diesem Fall schäumt das Blut heftig auf.

b) Nachweis von Harnstoff mit Urease
Zu einer neuen Probe der Testlösung geben wir einige Tropfen Phenolphthaleinlösung und eine Spatelspitze Urease. Auch hier machen wir eine Blindprobe, die außerdem zur Überprüfung der Aktivität der Urease zu empfehlen ist.
Ergebnis: Die zuvor farblose Lösung färbt sich rasch pinkrot. Der Nachweis ist positiv.

Bild 3: Ergebnisse von Versuch 1 (Foto: Daggi)
(Gläser 1 und 4 sind Blindproben)


Nun können wir auch die Zahnbleichmittel untersuchen.

Versuch 3: Untersuchung von Zahnpflegemitteln
Wir wiederholen den Versuch 2 mit einem Extrakt von bleichmittelhaltigen Zahnreinigungsmitteln.

Mittlerweile gibt es auch andere Bleichmittel. Gemeinsam ist allen jedoch der Gehalt an Peroxiden.


Peroxide bleichen Farbstoffe
Dazu müssen wir aber einiges beachten. Zum Bleichen ist neutrales bis alkalisches Milieu notwendig. Die Lösung von Carbamidperoxid ist schwach sauer; wir haben den pH-Wert 4,8 gemessen. Im Mund stellt sich der neutrale pH-Wert bald ein, da der Speichel gut puffert.

Versuch 4: Carbamidperoxid bleicht Farbstoffe
Wir stellen eine 10%ige Lösung von Carbamidperoxid her. Wir erwärmen sie im Wasserbad auf Zimmertemperatur. Dann stellen wir sie mit Soda neutral bis schwach alkalisch ein.
Mit dieser konzentrierten Lösung machen wir Bleichversuche. Wir nehmen dazu Baumwollstoffe oder Wolle.
Wir können aber auch bedrucktes ungeleimtes Papier nehmen (zum Beispiel die rauen Werbebeilagen von Zeitungen). Die Mischung muss erwärmt werden.
Ergebnis: Die meisten Farben werden zerstört. Erhalten bleibt Schwarz, denn es wird meistens aus stabilem Ruß hergestellt.

Das Bleichen geht viel besser als mit Wasserstoffperoxid (-> Versuch).


Auch der Friseur und die Friseurin nutzen Carbamidperoxid
Denn damit können sie die Haare ihrer Kunden bleichen.

Versuch 5: Haare bleichen mit Carbamidperoxid
Die abgeschnittene Locke eines Dunkelhaarigen wird mit Alkohol entfettet. Dann teilen wir das Haarbüschel und geben einen Teil zum Vergleich in ein Gläschen mit Wasser, das andere in eine konzentrierte Lösung von Carbamidperoxid. Die Lösung haben wir mit etwas Soda neutralisiert, außerdem achten wir darauf, dass die Lösung mindestens Zimmertemperatur hat.
Ergebnis: Es bilden sich um die Haare Gasbläschen. Nach 1-2 Stunden ist die Locke deutlich aufgehellt.

Bild 4: Haare bleichen mit Carbamidperoxid (Foto: Daggi)
Für die Haarspende Dank an Sergej!


Deshalb ist es auch in Haarbleichmitteln enthalten. Dies können wir mit Versuch 2 nachweisen.


Carbamidperoxid - das feste H2O2
Mit Carbamidperoxid lassen sich alle gängigen Versuche durchführen, die auch mit Wasserstoffperoxid machbar sind. Ersteres hat den Vorteil, dass es anders als die käuflichen Lösungen von Wasserstoffperoxid stabil ist. Hier sind zwei Beispiele:

Versuch 6: Katalytische Zersetzung durch Braunstein
Wir lösen etwas Carbamidperoxid in Wasser und bringen die Lösung auf Zimmertemperatur. Dann geben wir einen Spatel Braunstein hinein. Es entsteht ein Gas. Wir führen die Glimmspanprobe durch.
Ergebnis: Das Gas ist Sauerstoff.
Hintergrundwebseite zum Versuch


Versuch 7: Bildung von Chrom(V)-oxid
Wir lösen etwas Carbamidperoxid in Wasser und bringen die Lösung auf Zimmertemperatur. Dann säuern wir mit Schwefelsäure (c = 2 mol/l) (Xi) an. Anschließend geben wir einige Tropfen einer verdünnten Chromatlösung (Xn) zu.
Ergebnis: Die Lösung färbt sich intensiv blau.
Hintergrundwebseite zum Versuch

Bild 5: Einwirkung von Chromat auf Carbamidperoxid (Foto: Daggi)
(Links Chrom(V) und rechts Chrom(III))


Carbamidperoxid wirkt besser als Wasserstoffperoxid. Warum?
Wasserstoffperoxid wirkt gegenüber Reduktionsmitteln (wie Farbstoffen) als Oxidationsmittel.

H2O2 + 2 e- ———> 2 OH-

Deshalb bleicht es Farbstoffe.

Um zu verstehen, warum Carbamidperoxid besser wirkt, machen wir ein überraschendes Experiment.


Versuch 8: Glimmspanprobe mit Carbamidperoxid (Vorsicht! Schutzbrille!)
Wir geben einen Spatel voll Carbamidperoxid in ein Reagenzglas. Wir erhitzen es über der Flamme eines Bunsenbrenners.
Zunächst schmilzt die Substanz, zersetzt sich und entwickelt weißen Rauch. Dann stellen wir den Brenner weg und tauchen einen langen glimmenden Span in das Glas.
Ergebnis: Wir beobachten eine lange gelbe Stichflamme, die mit einem Zwischending zwischen Bäng! und Heulen, wie wir es von einer gelungenen Knallgasprobe her kennen, aus dem Glas schießt (-> Filmsequenz).


Bild 6 (Foto: Daggi)
Hierzu gibt es einen Film (382 KB)
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Bild 7: (Foto: Daggi)
Hierzu gibt es einen Film (143 KB)
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(Filme: Daggi)


Dieser Versuch macht eins deutlich: Das kann nicht nur Sauerstoff gewesen sein. Der würde den Glimmspan nur entzünden. Wir werden an das Experiment mit dem chemischen Flammenwerfer (-> Webseite) erinnert. Dort waren Radikale beteiligt. Tatsächlich bildet auch Carbamidperoxid beim Erhitzen gasförmige Hydroxylradikale OH·. Es treten sogar Hydroperoxoradikale HO2· auf.

H2O2 ———> HO· + ·OH

H2O2 ———> HO2· + ·H

Solche hochreaktiven Radikale bilden sich auch in wässriger Lösung. Gefördert wird die Bildung durch unpolare Umgebung und höhere Temperaturen. Aus diesem Grunde ist Carbamidperoxid ein effektiveres Bleichmittel als Wasserstoffperoxid. Vor allem aber muss das Milieu, in dem es wirkt, nicht so alkalisch eingestellt werden wie beim Wasserstoffperoxid.


Last but not least
Ist es gesund, seine Zähne damit zu bleichen? Zähne enthalten Risse und Löcher, durch die die Substanz in den Zahn eindringen kann. Ich würde das Zeugs nicht benutzen.


Zur Chemie mit Wasserstoffperoxid haben wir eine große Webseitengruppe.


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 01. Oktober 2008, Dagmar Wiechoczek