Kein Kristall ohne Fehl und Tadel: Fehlordnungen

Experimente:
Versuch: Züchten von Impfkristallen
Versuch: Züchten schöner Einzelkristalle nach der Eindunstungsmethode
Versuch: Züchten schöner Einzelkristalle nach der Unterkühlungsmethode
Versuch: Der besondere Einzelkristall: Chromalaun
Versuch: Kristalle reparieren sich selbst


Kristalle wachsen, indem sich Schicht auf Schicht legt. Kristallgitter sind aber selten perfekt, denn sie enthalten im Allgemeinen Gitterfehler. Unter Kristallbaufehlern versteht man alle Abweichungen vom idealen Gitter. Man spricht auch von Fehlordnungen. Diese Fehler sind beim Wachstum vorprogrammiert. Wenn mehr als hundert Schichten pro Sekunde aufeinander wachsen, kann es aufgrund des Getümmels der Bausteine im Wachstumsbereich leicht zu Baufehlern kommen. Diese werden dann beim weiteren Wachstum verdeckt oder es bilden sich an diesen Stellen querwachsende Kristalle aus, was auch zur Zwillingsbildung führen kann.

Auf atomarer Ebene unterscheidet man zwei Fehlordnungen, die nach ihren Entdeckern benannt werden:
Sind die Atome in ihrer Größe sehr stark verschieden, so können die kleinen Atome Zwischengitterplätze einnehmen (Fehlordnung nach Frenkel). Aber auch dies hängt nicht nur von der relativen Größe, sondern auch von dem Gittertyp ab.
Leerstellen entstehen, wenn ein Atomplatz unbesetzt bleibt (Fehlordnung nach Schottky). Sie können so groß werden, dass sie Lösemittel oder Luft einschließen; der Kristall erscheint trübe. Das ist besonders bei raschem Wachstum möglich (-> Versuch). Da kann eine neue Ebene aufgebaut worden sein, ehe die vorherige überhaupt fertig geworden ist.

Solche Fehler können einmal durch den Einbau von falschen, in Größe und Ladung nicht passenden Bausteinen oder Ionen verursacht werden (Substitutionsfehlstellen). Oder die Bausteine bilden jeweils für sich unterschiedliche, zueinander nicht passende Kristallgitter. Solche Verunreinigungen können vom Wirtskristall nur in kleinen Konzentrationen aufgenommen werden. Deshalb lassen sich nur selten Kristalle mit beliebiger Zusammensetzung herstellen. Ausnahme: Alaune oder verschiedene Metalllegierungen wie Messing. In den Alaunen lassen sich z. B. Aluminium-Ionen gegen die von Chrom austauschen (-> Versuch).
In der Elektronik sind gezielte Substitutions-Fehlordnungen Voraussetzung für die Funktion von Transistoren oder Gleichrichtern. Durch Einbau von dreiwertigen Atomen wie Gallium in Germanium- oder Silicium-Kristalle erhält man positive Überschussladungen oder p-Leiter, bei Einbau von Arsenatomen negative Überschussladungen oder n-Leiter.
Sie können aber auch durch Bestrahlung ausgelöst werden. Dies spielt z. B. beim fotografischen Prozess eine wichtige Rolle. Fehler sind Stellen höherer potentieller Energie. Deshalb kann an diesen Kristallen der chemische Prozess der Bildentwicklung einsetzen.

Zu den Fehlordnungen auf atomarer Ebene kommen noch die Versetzungen von ganzen Flächen oder Linien innerhalb des Gitters hinzu. Sie sind wichtig für das Wachstum von Kristallen, aber auch für Zwillingsbildungen und für die Ausbildung von Korngrenzen.
Bei der Stufenversetzung denkt man sich einen Schnitt ins Gitter und verschiebt den Gitterteil links und rechts des Schnitts um jeweils eine Gitterperiode.
Bei der Schraubenversetzung sind die Atome längs einer Linie kontinuierlich und mit geringen, aber zunehmenden Beträgen gegenüber dem Idealgitter verschoben. Das führt dazu, dass die Kristalle nicht aus aufeinander gestapelten Netzebenen aufgebaut werden, sondern aus einer einzigen Atomschicht, die sich in Form eines Schneckenhauses oder einer Wendetreppe durch das Gitter windet. Das führt im Extremfall dazu, dass Kristalle nicht als Prismen, sondern als feine Härchen wachsen.

Totale Fehlordnung im Kristall führt zur Bildung von Gläsern.

Zu Baufehlern zählen auch Verletzungen. Diese können jedoch wieder auswachsen (-> Versuch).

Im Allgemeinen sind fehlerhafte Kristalle für technische Zwecke nicht tauglich. Das betrifft z. B. Schwingquarze und Laserrubine.
Erinnert sei aber an die schon erwähnte positive Bedeutung der Fehlstellen für die Entwicklung beim fotographischen Prozess oder bei der Dotierung von Silicium oder Germanium für elektronische Zwecke.
Fehler sind auch unverzichtbare Echtheitskriterien für Edelsteine. So kann man künstliche Diamanten oder Rubine von den natürlich gewachsenen und deshalb wertvolleren Steinen nur anhand ihrer, wenn auch nur mikroskopischen Baufehler unterscheiden.
Überhaupt beruhen die Farben vieler Edelsteine auf Fehlstellen. Sind im Aluminiumoxid einige Al-Atome durch Chrom ersetzt, so erhalten wir statt des Korunds den geschätzten Rubin.


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Letzte Überarbeitung: 28. Februar 2012, Dagmar Wiechoczek