Neben dem Kurpark von Bad Urach findet man im Maisental einen Spielplatz. Auf dem steht ein bemerkenswertes Spielgerät. Bild 1: Klettergerüst auf einem Spielplatz in Bad Urach (Maisental)
Einem naturwissenschaftlich gebildeten Menschen fällt sogleich etwas Besonderes auf: Das muss die Darstellung eines kubischen Körpers sein! Um den Zugang zu dieser Idee zu erleichtern, sei darauf hingewiesen, dass die mittleren, waagerechten Querstangen im Spielgerät nur zur Stabilisierung dienen. Außerdem fehlen die vier Stangen am Boden. „Korrigiert“ sähe das Gerät etwa aus wie im rechten Bild gezeigt::
Bild 2: Klettergerüst auf einem Spielplatz in Bad Urach. Rechts die wissenschaftlich
veränderte Form des Spielgeräts
Dann erkennt ein umfassend naturwissenschaftlich Gebildeter (wie Dirk Eisner aus der Theoretischen Chemie an der Uni Bielefeld): Es handelt sich um ein Kuboktaeder (engl. cuboctahedron). Wie auch andere kubische Körper diente dieses Polyeder („Vielflächner“) schon immer zur geistigen Erbauung von Fürsten und ihrer Besucher. So findet man diese Figuren auch in vielen künstlerischen Darstellungen. So zum Beispiel im Schlosspark von Neuhaus bei Paderborn. Bild 3: Sonnenuhr im Schlosspark zu Neuhaus
Selbst in Brake, einem Renaissance-Schloss bei Lemgo, steht ein solches Teil im Renaissance-Museum. Es handelt sich um eine Sonnenuhr. Bild 4: Sonnenuhr im Schloss Brake
Das Schloss Brake ist wegen seiner Beiträge zur kubischen Wissenschaftskunst schon länger bekannt. So findet man vor dem Eingang eine anamorphotische Darstellung eines Pentagondodekaeders. Ein Kuboktaeder ist auch im linken unteren Bereich des bekannten Holzstichs von M. C. Escher „Sterne“ von 1948 dargestellt. Dieses Bild zeigt verschiedenste kubische Körper und deren Durchdringungen. Es gibt sogar eine Briefmarke, auf der solch ein Kuboktaeder abgebildet ist. Es handelt sich um eine Ausgabe von Sri Lanka (Ceylon), die anlässlich einer Folkloreveranstaltung erfolgte. Auf der Marke sind entsprechend geformte Laternen zu erkennen. Hier ist ein Modell aus Papier, das Dirk Eisner aus der Theoretischen Chemie der Universität Bielefeld für uns gebaut hat. Bild 5: Modell eines Kuboktaeders
- Sechs gleichgroße Quadrate erinnern an einen Würfel oder Kubus. - Aus acht gleichseitigen Dreiecken besteht ein Achtflächner oder Oktaeder. Zusammengenommen ergeben alle Flächen im wahrsten Sinne des Wortes ein Kub(us)-oktaeder. Man erhält ein Kuboktaeder folglich auf einfache Art und Weise, indem man sich einen Durchdringungskörper aus Würfel und Oktaeder vorstellt (siehe folgendes Bild), von dem man dann alle herausstehenden Ecken abschneidet. Bild 6: Modell eines Durchdringungskörpers aus Würfel (blau) und Oktaeder (gelb)
Man kann ein Kuboktaeder auch schlicht als abgestumpften Würfel auffassen. Übrigens gibt es auch andere Methoden, diesen Körper herzustellen. Nach dem Brockhaus-Lexikon ist das Kuboktaeder ein Polyeder, das man durch Verbinden der 12 Kantenmitten eines Würfels und anschließendem Abtrennen der Würfelecken entlang den Verbindungslinien erhält. Wer das versteht, kann es ja mal versuchen.
Die Schichtenfolge eines entsprechenden Kristallgitters sieht so aus: Bild 7: Kristallgitter mit kubisch dichtester Kugelpackung Die Elementarzelle haben wir markiert. Das folgende Bild zeigt die Zelle noch einmal – aber etwas anders gezeichnet. Nun ist das Kuboktaeder deutlich hervorgehoben. Die Ecken des Polyeders stellen die Kerne von 12 Atomen dar, die ein zentrales (hier nicht sichtbares) Atom umgeben. Man spricht von kubisch dichtester oder kubisch-flächenzentrierter Kugelpackung. Bild 8: Kuboktaeder im Kristallgitter mit kubisch dichtester Kugelpackung
Bild 9: Pyrit-Kuboktaeder (Größe 1 cm) (Dogger z / Ornatenton, Schwäbische Alb)
Warum solches Spielgerät so wichtig ist: Nur wer räumliches Vorstellungsvermögen entwickelt, kann auch naturwissenschaftlich denken. Dazu trägt solches Spielgerät schon in frühester Jugend „spielerisch“ bei.
Bild 10: Klettergerüst in Bielefeld
Wenn wir jedoch genauer hinsehen, erkennen wir, dass dies ein Modell der Erde sein muss. (Der Maßstab dieser Erdkugel ist etwa 1:107.) Dafür, dass es sich um das Modell der Erdkugel handeln muss, spricht einiges: Einmal ist die Kugelachse schiefgestellt. Außerdem erkennt man die beiden Polarkreise und den Äquator. Die meisten Eltern werden das alles für Stabilisatoren einer ansonsten schiefstehenden Kugel halten. Schade eigentlich…
Schade eigentlich. „Pisa“ lässt grüßen!
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