Ein Schüler bat mich, ihm bei der folgenden Hausaufgabe zu helfen:
Bei der Fragestellung ist Folgendes sicherlich nicht richtig: Es wird der Anschein vermittelt, dass sich zunächst Silberoxid bildet. Bei dem handelt es sich um einen schwarzbraunen Festkörper, den dabei wohl noch niemand gesehen hat... Führen wir doch einmal den Versuch selbst durch:
Das Silber ist die ganze Zeit über metall-farbig geblieben; einen dunklen Überzug haben wir nicht erkennen können. Vielmehr überführt die Salpetersäure als Oxidationsmittel Silbermetall nur in Silber-Ionen, in dem es dem Metall Elektronen entzieht. Dabei wird die Salpetersäure reduziert; als Reaktionsprodukt entsteht Stickstoffmonoxid NO. Genau genommen wurde der der Salpetersäure zugrunde liegende Stickstoff reduziert: Zum Aufstellen der Redoxgleichung trennt man zunächst Oxidation und Reduktion: Wenn man beim Experiment genau hinsieht, erkennt man, dass das Silberstück in der konzentrierten Salpetersäure mit einem farblosen Gas überzogen wird. Das ist das primäre Reaktionsprodukt Stickstoffmonoxid NO, das farblos ist. Wenn das Gas aus der Flüssigkeit austritt, wird es in einer Folgereaktion durch Luftsauerstoff zu braunem Stickstoffdioxid oxidiert: Dieses Experiment sollten wir nutzen, um etwas über die Säuren und deren Reaktionen nachzudenken. Dazu kann man sich eine Menge von interessanten Experimenten ausdenken, die z. B. in Gruppenarbeit mit unterschiedlichen Aufgaben durchgeführt werden sollten.
Salzsäure löst nur unedle Metalle wie Eisen oder Zink auf, nicht jedoch das Kupfer. Salpetersäure löst zwar Kupfer und Silber auf, aber nicht Gold. Diese Säure diente also zum Unterscheiden beider Metalle (Scheidewasser). „Scheidekunst“ ist auch heute noch im flämischen Sprachgebrauch das Wort für Chemie. Ein Gemisch aus 1 Volumenteil konzentrierter Salpetersäure mit 3 Teilen konzentrierter Salzsäure ist sogar so aggressiv, dass es auch das Königlichste der Metalle, das Gold, auflöst (Königswasser oder aqua regia, lat. regia, königlich). Man kann mit bestimmten Säuren auch Mischungen von Metallen, also Legierungen, mit Hilfe bestimmter Säuren trennen oder ihre
Bestandteile erkennen:
(Platin war früher weniger bekannt; wenn ja, erachtete man es als wertlos (daher der Name vom spanischen platina, Silberchen). Man fürchtete es sogar wegen der drohenden Fälschung von Silber und Gold durch Zusatz von Platinmetallen. Deshalb haben die Spanier beim Ausplündern der peruanischen Bodenschätze anfallendes Platin penibel abgetrennt, gesammelt und in Barrenform samt Schiffen vor Südamerika im Meer versenkt. Diese Wracks aufzuspüren gehört heute zu den schönsten Träumen der professionellen Schatzsucher…)
"Normale" Säuren wirken nur über ihre Protonen.
Sie zersetzen nur unedle Metalle. Oxidative Säuren wirken dagegen über ihre Anionen.
Die Reaktionsgleichung lautet: Es läuft ein Redoxprozess zwischen den Anionen als Oxidationsmittel und den Metallen als Reduktionsmittel ab. Die Nachweisreaktion von Schwefeldioxid mit Iod ist ebenfalls eine Redoxreaktion.
Bei der Reaktion zwischen normalen Säuren und unedlen Metallen um einen Redoxprozess, der nur die Protonen betrifft: Sie oxidieren das Metall, indem sie ihm Elektronen entziehen, wobei sie selbst zu Wasserstoff reduziert werden. Die Anionen normaler Säuren bleiben bei diesen Reaktionen unverändert. Aber auch bei den oxidativen Säuren spielen dissoziable Protonen eine gewichtige Rolle, allerdings ohne ihre Oxidationsstufe (+I) zu ändern. Sie wirken bei der Redoxreaktion der Anionen nur indirekt mit, indem sie den Sauerstoff ohne Änderung seiner Oxidationszahl (-II) aus entsprechenden Anionen unter Bildung von Wasser abfangen. Beispiele sind die schon besprochenen Reaktionen der Nitrate (Gl. 2c) sowie der Sulfate (Gl. 5).
Beispielsweise kann man Kupfer nicht in Salzsäure lösen. Wie kann man dann überhaupt Kupferchlorid herstellen? Man muss das Kupfer zuvor oxidieren - z. B. durch Erhitzen in Gegenwart von Sauerstoff. Das entstehende Kupfer(II)-oxid können normale Säuren leicht zersetzen. Das eben Gesagte darf aber nicht dazu verführen, dass man wie in der obigen Aufgabe sagt, dass oxidative Säuren edle Metalle wie das Silber erst in ihr Oxid und dann im Überschuss in ihre Salze verwandeln. Man muss betonen, dass die Anionen direkt an die Metalloberfläche andocken, dort die Elektronen abziehen und auf diese Weise dafür sorgen, dass die Metall-Ionen ohne Umweg über eine Oxidbildung direkt in Lösung gehen. Es sei fairerweise darauf hingewiesen, dass hierüber durchaus gestritten wird. Unterstützer der Theorie der primären Oxidbildung verweisen darauf, dass unedle Metalle wie Eisen oder Aluminium in konzentrierter Salpetersäure und in wasserfreier Schwefelsäure durchaus stabil sind. Das liegt an der Passivierung, also an der Bildung von fest haftenden oxidischen Überzügen. Gegen eine primäre Oxidbildung spricht zumindest bei edlen Metallen, dass sie als Redoxkatalysatoren wirken, die auch in anderen Fällen für den schnellen Übergang von Elektronen sorgen. Deshalb setzt man sie z. B. als Redox-Elektroden in der Elektrochemie ein. Hier würde die Bildung eines festen Oxidüberzugs Messungen stark stören. Vielleicht können energetische Überlegungen für Klarheit sorgen. Voraussetzung für eine Passivierung ist eine vergleichsweise hohe Bildungsenthalpie der Oxide, verbunden mit einer stofflich starken Fixierung auf der Metalloberfläche.
Ob und welche oxidative Säuren in der Lage sind, edlere Metalle wie Kupfer, Quecksilber, Silber, Gold oder Platin zu zersetzen, ist demnach eine Frage der Redoxpotentiale der Säuren bzw. ihrer Anionen einerseits und Metallen andererseits. Zur Zersetzung eines Metalls muss das oxidierende Anion ein positiveres Redoxpotential aufweisen als das Metall. Man kann das in einer Art Spannungsreihe zeigen: Die Werte der Redoxpotentiale können noch durch Variation der Reaktionsbedingungen wie Konzentrationen, pH-Werte und Temperatur beeinflusst werden.
Nach dem Mischen läuft in der Lösung folgende Reaktion ab: Neben Nitrosylchlorid NOCl entstehen zunächst Chloratome, also Radikale. Chloratome sind äußerst reaktiv; sie haben folglich ein besonders hohes Redoxpotential. Sie können deshalb auch Gold zersetzen, was durch die Bildung von Goldkomplexen (wie z. B. Tetrachloroaurat) noch gefördert wird. Analoges gilt für die Platinmetalle. Früher stellte man Königswasser her, indem man in konzentrierter Salpetersäure Salmiaksalz, also Ammoniumchlorid NH4Cl, löste. Aus letzterem bilden sich unter der Einwirkung von HNO3 oxidativ Nitrosylchlorid und Chlorradikale.
Im Chlorwasser findet sich eine Vielzahl von Verbindungen des Chlors, deren Redoxpotential sehr hoch ist. Hinzu kommt die Feisetzung von Chlorradikalen sowie von Sauerstoffatomen. Das alles ist Grund für die starke Reaktivität von Chlorwasser.
Rüdiger Blume
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