Warum wittern manche Fossilien so gut heraus?

Experimente:
Versuch: Untersuchung von Kalkstein


Es ist der Traum eines jeden Steinesammlers, in der Muschelkalkformation endlich einmal eine der für diese Formation berühmten Seelilien zu finden. Die weitaus allermeisten Leute finden nie eine einzige, manche finden davon in drei Tagen gleich an die Hundert. Grund: Seelilien lebten in Kolonien. Man muss einfach nur auf so ein Nest stoßen.

Nun kommt es noch darauf an, wie gut die Stücke erhalten sind. Denn versteinerte Seelilien sind äußerst empfindlich und splittern leicht, wenn man versucht, sie aus dem umgebenden Muschelkalk-Gestein herauszupräparieren. In Holzmaden bei Stuttgart liegen sie im relativ weichen, bitumenhaltigen Plattenkalk (so genannter Lias-Epsilon-Schiefer). Da kann sie ein geduldiger Präparator herausschaben - auch wenn das Jahre dauert. Im Fall der in Bild 1 gezeigten wunderbaren 100 m2 großen Seelilienplatte waren das 18 Jahre…

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Bild 1: Seelilienkolonie auf Treibholz, ausgestellt im Urweltmuseum Hauff (www.urweltmuseum.de) in Holzmaden
(Seirocrinus; Lias Epsilon; Länge der Platte 18 m)
(Foto: Blume; mit freundlicher Genehmigung durch R. Hauff)


Deshalb sind Seelilien am schönsten, wenn sie einen Sammler in herausgewitterter Form anlachen. Bild 2 zeigt zwei Bilderbuchstücke, die mein Sohn Alexander in einem Muschelkalksteinbruch gefunden hat.

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Bild 2: Seelilien (Encrinus liliiformis; Länge der Kelche 8 cm)
(Fotos: Blume)


Wie entsteht so ein Muschelkalk-Schätzchen?
Nach dem Absterben wurden die Seelilien durch feine Sedimente abgedeckt. Die versteinerte Seelilie befindet sich dann in einer Matrix von feinem Kalk, der mit allerlei Silicaten wie Tonmineralien angereichert ist. Diese Mischung nennt man Kalkmergel. Nach Jahrmillionen der Diagenese (Neuordnung der Mineralien) verfestigt sich der Kalkmergel zu hartem Gestein. Wird dazu noch durch Hebung aus dem Meeresboden Land, ja vielleicht sogar ein Gebirge, so treten diese Formationen zutage. Deren Verwitterung wollen wir betrachten.


Wie kommen Wasser oder Säuren zum eingebetteten Fossil?
Sedimente sind immer irgendwie geschichtet. Wenn sie sich bei der Gebirgsbildung auftürmen, gibt es Klüfte und Spalten. Hier dringt Wasser ein und beginnt über Tausende und Millionen von Jahren sein Lösungswerk (wie man auf der Schwäbischen Alb sehen kann). Das Wasser reichert sich dabei mit gelöstem Kalkstein, Hydrogencarbonat und Kohlensäure an. Letztere zersetzt den Kalkanteil des Kalkmergels.


Das funktioniert nur, weil Calciumhydrogencarbonat im Gegensatz zum Kalkstein sehr gut löslich ist.

Zurück bleibt ein schwerlöslicher Rest, der aus silicatischen Tonmineralien besteht (-> Versuch). Diese sind reich an Eisenmineralien und deshalb gelblich bis ocker gefärbt. Sie fühlen sich in feuchtem Zustand richtig schmierig an. Aber auch im trockenen Zustand sind sie so weich, dass sie sich mit einem Messer abschaben lassen. Deshalb kann man beim Freilegen der Seelilien noch ein bisschen nachhelfen - wie im Bild 2 zu sehen ist.

Auf diese Weise bilden sich abwechselnd Schichten von weichem Ton und hartem Gestein (Bild 3). Auf letzterem sitzen dann – wenn man Glück hat - die herausgewitterten Versteinerungen.

Bild 3: Der linke Stein aus Bild 2 von der Seite gesehen.
Man erkennt eine etwa 7 cm dicke, harte, graue Kalkstein-Schicht, die oben und unten von zwei weichen, abblätternden Tonschichten begrenzt wird.
In der oberen Tonschicht liegt die halb herausgewitterte Seelilie
(Fotos: Blume)


Warum verwittern ausgerechnet die Seelilien nicht?
Seelilien gehören zum Tierstamm der Stachelhäuter und sind verwandt mit Seesternen und Seeigeln. Ihre Kelche und Stängel bestehen wie die Hartteile der Seeigel oder der Seesterne aus vielen Einzelplatten, die relativ unabhängig voneinander sind. Diese bilden sich durch Biomineralisation, wobei bereits zu Lebzeiten äußerst feine Calcit-Einkristalle in die Proteinmatrix eingebaut werden. Die sind die Ursache für die guten mechanischen Eigenschaften der Hartteile der Stachelhäuter. Man denke nur an die äußerst stabilen Seeigelstacheln, mit denen sicherlich der Eine oder Andere schon schmerzhafte Erfahrungen gemacht hat. Der Plattenbau sind aber auch Grund dafür, dass die Tiere nach dem Tode rasch zerfallen – wenn sie nicht von Anfang an gut in Sedimente eingebettet werden.

Im Verlauf der Fossilisation und Diagenese wird anschließend jedes dieser Teile komplett in einen großen Calcit-Einkristall umgewandelt. Gesteuert wird das wohl durch die zu Lebzeiten gebildeten mikrofeinen Calcit-Einkristalle, die als Kristallisationskeime wirken. Das gilt auch für die fossilen Seeigelstacheln oder Stängelglieder der Seelilien: Jedes Teil ist letztlich ein (wenn auch merkwürdig geformter) Einkristall mit calcitischer, trigonaler Struktur. Wenn so ein Stück bricht, erkennt man die einheitlich glänzenden Bruchflächen von Calcit-Rhomboedern (Bild 4).

Bild 4: Gebrochenes Stück eines Seelilienstängels (Länge 5 cm)
(Foto: Blume)


Auch wenn sie wie im Falle der Seelilien leicht brechen: Einkristalle sind zumindest chemisch besonders stabil und werden durch moderate Umwelteinflüsse kaum angegriffen. Das umgebende Matrixgestein ist dagegen feinkristallin. Damit hat es aber auch eine viel größere Oberfläche. Die Folge ist, dass es wesentlich leichter durch Wasser gelöst oder durch Kohlensäure zersetzt wird als die großen Kristalle der Seelilie.

In der Physikalischen Chemie sagt man, dass das chemische Potential von kleinen Kristallen größer ist als das der großen. Deshalb wachsen zum Beispiel bei der Kristallzüchtung große Kristalle auf Kosten der kleinen. Anders gesagt: Die kleinen Kristalle lösen sich oder zersetzen sich eher als die großen. Dahinter steckt ein grundlegendes Prinzip der unbelebten Natur: Der stetige Abbau von Potentialen.

Natürlich tritt die Seelilie aber erst dann zutage, wenn die sie beherbergende Schicht durch den Abbau des Gesteins (z. B. im Steinbruch zur Schotter- oder Zementgewinnung) freigelegt wird. Wegen des weichen und im feuchten Zustand sogar schmierigen Tons lassen sich die verbleibenden harten Steinschichten ganz besonders leicht gegeneinander verschieben, vor allem, wenn sie schräg liegen. Dabei geben sie dann die zwischen ihnen liegenden Seelilien frei.

Dass die Stachelhäuter aus zahlreichen einzelkristallinen Platten zusammengesetzt werden, bringt für die Sammler aber auch einen Nachteil mit sich: Die Platten lösen sich leicht voneinander, wenn die Tiere gestorben und danach nicht komplett eingebettet worden sind. So sind die Stängelglieder der Seelilien regelrecht gesteinsbildend; man spricht von Trochitenkalk (griech. tróchos, Rad). Manche meinen, Trochiten hieße übersetzt: „Mühlsteine“, denn die Stängelglieder sähen wie Mühlsteine aus. Tatsächlich sind sie nach echten Mühlsteinen benannt, denn diese stellte man aus dem harten Trochitenkalk her. Man nennt die Seelilienstängelglieder auch Hexenpfennige.

Leider kann aber auch das vollständige Herauswittern eines zunächst vollständig erhaltenen Fossils zum Zerfall führen. Dann liegt die zerstückelte Seelilie im weichen Ton. Zusammenkleben nützt da wenig.


Andere Fossilien
Was hier für die Seelilien hergeleitet wurde, gilt natürlich auch für viele andere Tierarten - wie zum Beispiel für Muscheln, Austern oder Brachiopoden. Wie gut sie allerdings das Verwittern des umgebenden Gesteins überstehen, hängt unter anderem von ihren jeweiligen, arteigenen Mechanismen der Biomineralisation ab. Das betrifft die stoffliche Zusammensetzung der „Verbundstoffe“, die räumliche Anordnung der Mineralienkristalle und die Dicke der Tierschalen. Deshalb kann man für die Diagenese keine allgemein gültigen Regeln aufstellen.

Beispielsweise sind die Gehäuse der Ammoniten in Kalkmergel-Sedimenten wie Muschelkalk, Malm/Weißjura oder Schreibkreide nach dem Herauswittern wesentlich seltener in schaliger Erhaltung zu finden. Denn sie bestehen aus relativ weichem Aragonit, einer Kalkmodifikation, die beim Verwittern des fossilhaltigen Gesteins mit zerstört wird. Im Muschelkalk findet man deshalb neben den komplett erhaltenen Seelilien nur die schalenfreien Steinkerne der typischen Muschelkalkammoniten Ceratites. Diese sind – weil sie wie das umgebende Sediment aus Kalkmergel bestehen – meistens ebenfalls angewittert und deshalb nicht immer so schön anzusehen wie die daneben liegende Seelilie.

Es gibt aber auch Teile von Ammoniten, die in bestimmten Fällen der Verwitterung widerstehen. Es handelt sich um die Aptychen. Das sind Bestandteile der Fresswerkzeuge (Unterkiefern) dieser Tiere. Aufgrund ihrer hornig-kalkigen Zusammensetzung aus Chitin und Calciumcarbonat (Aragonit) überstanden sie anders als die Ammonitenschalen den Angriff der Kohlensäure. Eine Formation des unteren Weißjuras heißt deswegen sogar „Aptychenmergel“. In ihr findet man bemerkenswerterweise auch schöne Seeigel.


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Letzte Überarbeitung: 08. April 2010, Dagmar Wiechoczek