Alkohol und Nitroglycerin machen ein weites Herz

Gefürchtet ist die Angina pectoris, die so genannte Herzenge. Dabei fühlt der Brustkorb sich an, als sei er in einem Schraubstock gepresst, und es treten starke Schmerzen in der Herzgegend auf. Die Herzmuskeln und die Arterien verkrampfen sich, der Blutdruck steigt. Ursache sind oftmals durch Ablagerungen verengte Arterien ("Verkalkung"), wodurch die Blutversorgung des Herzmuskels gefährdet ist. Dagegen muss man mit gefäßerweiternden Mitteln angehen.

Wenn es nicht anders geht, bekämpft man derartige Angina pectoris-Anfälle zunächst mit Alkohol. In der Volksmedizin empfiehlt man Sekt, den man zuvor allerdings weitgehend vom CO2 befreien muss. Hier hat eine negative Wirkung des Alkohols, nämlich die Blutdrucksenkung, endlich mal eine positive Anwendung gefunden...

Weiterhin wird als Hilfsstoff gegen Herzbeklemmung Nitroglycerin empfohlen. Dieses verstärkt nochmals die blutdrucksenkende Wirkung des Alkohols. Viele alte Leute tragen das Medikament in der Tasche.

Heute ist es umgekehrt: Im Zentrum steht das Nitroglycerin, Hilfsstoff ist der Alkohol.


Nitroglycerin als Medikament - Sprengstoff im Blut?
Nitroglycerin ist in reiner Form ein sehr gefährlicher Sprengstoff. Er detoniert schon bei der geringsten Berührung. Vielleicht kennen Sie den Film "Lohn der Angst" (1953)... Mit Kieselgur als Stabilisator wird das Sprengöl in "harmloses" Dynamit umgewandelt.

Man kann es aber auch in der Apotheke als Medikament kaufen. Dort wird er zum Beispiel als Zerbeißkapsel oder Spray angeboten. Keine Angst: Zu einer unbeabsichtigten Explosion kann es hier allerdings nicht kommen. Denn zum einen liegt der Wirkstoff im Medikament in sehr verdünnter Konzentration vor. Beispielsweise enthält ein Sprühstoß eines Pumpsprays in etwa 0,4 mg Nitroglycerin. Zum anderen ist der fettlösliche Wirkstoff in fette Öle eingebunden, die den Wirkstoff stabilisieren. Somit sind keinerlei unerwünschte Reaktionen bei Stoß oder erhöhter Temperatur möglich.

Aufgrund seiner Struktur kann das Nitroglycerin (chemisch genauer: Glycerin-tri-nitrat) besonders schnell resorbiert werden. Es ist ein stark lipophiler Ester mit hoher Löslichkeit in den lipidhaltigen Biomembranen der Zellen. Als Spray oder Zerbeißkapsel im Mund wird er rasch über die Schleimhäute aufgenommen und geht sofort in die Blutbahn über.

Bald nach seiner Erfindung entpuppte sich Nitroglycerin als Wirkstoff zur Entspannung der Gefäßmuskulatur. Das merkten schon die Leute, die unter Alfred Nobel damit arbeiten mussten - bei denen waren entsprechende Kreislaufzusammenbrüche an der Tagesordnung.


Vom Sprengstoff zum Botenstoff
1977 fand man heraus, dass Nitroglycerin im Körper rasch durch Esterasen hydrolysiert wird. Dabei entstehen Nitrit-Ionen, die in schwach saurem Milieu Stickstoffmonoxid NO bilden. Diese Verbindung unterstützt die Dehnung der Blutgefäße. Damit erklärte sich endlich die Rolle von Nitroglycerin als Medikament, das schon vielen Menschen das Leben gerettet hat! 1992 wurde das Stickstoffmonoxid dann sogar von der Zeitschrift "Nature" zum "Molekül des Jahres" gekürt. Vor allem, als man entdeckte, dass diese gewebshormonartige Substanz auch ohne Nitroglycerin in unserem Körper gebildet wird (davon unten mehr).

Schließlich ist 1998 die Entdeckung der Wirkweise von Stickstoffmonoxid im Körper auch mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet worden.

Pikant ist, dass NO die Eigenschaften eines Radikals hat.

Moment mal: Radikale sind doch etwas Böses, was man bekämpfen muss - wenn man der Werbung glauben darf... Aber hier ist das anders.


Zur Wirkungsweise der nitroglycerinhaltigen Medikamente
Zur physiologischen Wirkung von Nitroglycerin und NO haben wir eine Folie.

Für die Entkrampfung des schmerzenden Herzmuskels und zur Senkung des Blutdrucks muss sich die glatte Muskulatur der Blutgefäße samt Herzmuskel entspannen. Die Botschaft hierzu übermittelt ein besonderes Boten-Molekül, das zyklische GMP (cGMP). Dieses wird durch ein besonderes Enzym, die Guanylat-Cyclase, bereitgestellt. Ein Typ dieses Enzyms wird durch NO aktiviert.

Trifft nun Stickstoffmonoxid auf die Wände der Arterien, bindet es an das Enzym. Die Bindungsstelle ist interessanterweise eine Hämgruppe. Das Enzym wiederum produziert daraufhin den für den Prozess zentralen sekundären Botenstoff cGMP, der nun dafür sorgt, dass sich der Muskel wieder entspannt.
Durch ein weiteres Enzym, einer cGMP-spezifischen Phosphodiesterase, wird das cGMP ständig abgebaut, so dass sich schließlich ein Gleichgewicht zwischen dem Auf- und Abbau von cGMP einstellt.

Zusätzlich werden auch die Blutgefäße der Venen erweitert, so dass das Blut langsamer und in geringerer Menge zum Herzen zurückfließt und es dadurch nochmals entlastet wird.

Auch NO ist äußerst kurzlebig. Es wird rasch zu Nitrit und Nitrat oxidiert.

Allerdings gibt es auch einige Nebenwirkungen. Die bedeutendsten sind wohl die starken Kopfschmerzen, die oft nach der Einnahme des Medikaments auftreten können. Diese werden durch die Erweiterung der Gehirngefäße verursacht.

Alfred Nobel, der als erster aus Nitroglycerin das Dynamit herstellte, weigerte sich, seine Fabrik zu betreten, weil er durch die dort auftretenden Dämpfe ständig mit Kopfschmerzen zu kämpfen hatte.

Körpereigene Quellen für Stickstoffmonoxid
Stickstoffmonoxid wird aber nicht nur durch nitroglycerinhaltige Medikamente freigesetzt. Eine natürliche Quelle gibt es auch im menschlichen Organismus. Hier wird es aus der Aminosäure L-Arginin abgespalten und wirkt in den Blutgefäßen, im Gehirn und im Magen-Darm-Trakt. Wird die natürliche Synthese unterbunden, tritt Bluthochdruck auf.


Mechanismus der NO-Synthese aus der Aminosäure Arginin

Was wird aus dem anderen Oxidationsprodukt des Arginins? Diese Verbindung ist das Citrullin, eine Aminosäure, die nicht in Proteinen zu finden ist. Sie ist aber Bestandteil des Harnstoffzyklus.


Stickstoffmonoxid ist eigentlich ein schädliches Gas
Es ist vorrangig als Umweltschadstoff aus den Abgasen von Verbrennungsprozessen bekannt. Die toxische Wirkung beruht u. a. auf der Verbindung des Moleküls mit Hämoglobin, dem sauerstofftransportierenden Blutfarbstoff. Dadurch ist es nicht mehr möglich, Sauerstoff zu binden, und es kann schließlich zum Tod durch Erstickung kommen. Auch hier gilt der Spruch des Paracelsus: Die Dosis macht das Gift!

Stickstoffmonoxid ist ein hochpotenter Atmosphärenschadstoff, der auch in Spuren wirkt. Vor allem ist NO als Katalysator an der Bildung von Photosmog sowie am Abbau von Ozon in der Stratosphäre beteiligt.


Ist das atmosphärische Schadgas NO für den Menschen kreislaufaktiv?
Das ist eigentlich zu erwarten! Eine nicht ganz unschlüssige Hypothese ist, dass Stickstoffmonoxid auch dafür verantwortlich sein könnte, dass einige Menschen sich an Tagen mit hoher Schadstoffkonzentration in der Atmosphäre besonders schlapp fühlen. Schließlich dient Stickstoffmonoxid als "Entspannungshormon" und verursacht einen niedrigen Blutdruck. Dieser führt oftmals zu wenig Konzentrationsfähigkeit und wenig Antrieb.


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Letzte Überarbeitung: 05. Februar 2014, Dagmar Wiechoczek