Prof. Blumes Tipp des Monats Februar 1999 (Tipp-Nr. 20)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Potentiometrische Säure/Base-Titrationen ohne pH-Meter

Es gibt viele Möglichkeiten für Säure/Base-Titrationen ohne pH-Meter. Bei jeder Methode kannst du eine Menge über Chemie lernen. Du benötigst nur irgendein Signal, das das Erreichen des Äquivalenzpunkts anzeigt. Das einfachste Beispiel ist die Titration mit Indikatoren. Weiter ist die thermometrische oder kalorische Titration zu nennen. Du kannst dich auch elektrochemischer Methoden bedienen. Bekannt ist dir sicherlich schon die Leitfähigkeitstitration. Es geht aber auch potentiometrisch.

Anstelle der unhandlichen Standard-Wasserstoffelektrode oder der für Schülerhände oftmals viel zu empfindlichen und zuvor zu eichenden Glaselektrode verwenden wir eine Metallelektrode. Mit der kannst du auch ohne teures pH-Meter typische Titrationskurven aufnehmen (-> Graphiken). Bei schwachen Säuren erhältst du sogar die Wendepunktskurven mit den "pK-Werten".

Grundlage des Verfahrens ist die Tatsache, dass die Lage der Redoxgleichgewichte einiger Metalle pH-abhängig ist. Ein Beispiel ist das Antimon. Es zeigt je nach pH-Bereich zwei Gleichgewichte, deren Potentiale sich stark unterscheiden. Grundsätzlich liegt wie bei jedem Metall, das in Wasser taucht, erst einmal folgendes Grundgleichgewicht vor:

Unterschiedlich sind je nach pH-Wert die Folgereaktionen. Im Sauren bilden sich Kationen, im Alkalischen Anionen. Du kennst dieses Verhalten sicherlich vom Aluminium. Das Stichwort heißt Ampholyt oder amphoterer Stoff.
Wir müssen die Redoxgleichgewichte folglich von vornherein anders formulieren:

Aus der Lage der Gleichgewichte bzw. aus den E0-Werten erkennen wir, dass das Metall im sauren Milieu edler ist als im alkalischen.
Die unterschiedliche Stabilität hat ihren Grund darin, dass sich unterhalb von pH 7 sehr viele Kationen bilden, die das Metall umhüllen und damit die Abgabe von weiteren Kationen erschweren. Das Redox-Gleichgewicht liegt eher auf der linken Seite, das Metall erscheint edel.
Anders oberhalb von pH 7: Hier wird der (sich zunächst bildende) Niederschlag von Antimonhydroxid Sb(OH)3 unter Komplexbildung aufgelöst. Es können somit leicht weitere Antimon-Ionen abgegeben werden. Das Redox-Gleichgewicht liegt auf der rechten Seite; das Metall erscheint unedler.

Das amphotere Verhalten des Antimons hat aber auch Auswirkungen auf seine elektrischen Eigenschaften. Unterhalb von pH 7 ist die Tendenz zur Elektronenabgabe gering. Damit wirkt Antimon gegenüber einer Wasserstoffelektrode positiv. Oberhalb von pH 7 ist die Abgabe von Elektronen erleichtert; die Elektrode wirkt stärker negativ. (Dies besagt auch der Vergleich der E0-Werte in der obigen Tabelle.) Es ist also zu erwarten, dass beim Wechsel vom sauren zum alkalischen Milieu ein erheblicher Potentialsprung ins Negative stattfindet.

Um genauer zu untersuchen, wie das Redoxpotential des Antimons vom Säure/Base-Milieu der Lösung abhängt, titrieren wir eine bekannte Säurelösung mit Natronlauge. Anstelle des pH-Wertes notieren wir für jede Zugabe von Natronlauge den Spannungswert, den wir zwischen einer Antimon-Elektrode und einer pH-unabhängigen Bezugselektrode messen. Als letztere nehmen wir eine der bekannten Elektroden II. Art auf der Basis von Kalomel, Silberchlorid oder Mercurisulfat.

Versuch: Aufnahme von Titrationskurven zur Ermittlung der pH-Abhängigkeit des Potentials von Antimon

1 Herstellung der Metall-Elektrode (Abzug!)
Schmelze in einem Glühröhrchen Antimon. Um eine ausreichend große Elektrode zu erhalten, musst du mehrmals Antimon-Pulver nachfüllen.
Nach Abkühlen zerschlägst du die Glasumhüllung (Vorsicht! Schutzbrille), oder du gießt die Schmelze auf den gekachelten Labortisch. Beim Hantieren mit der Elektrode musst du beachten, dass Antimon ausgesprochen spröde ist!
Mit einer großen Krokodilklemme oder einer Schlauchschelle befestigst du ein Elektrokabel mit passenden Buchsen für das Spannungsmessgerät, ein einfaches Multimeter. (Das Einschmelzen der Kupferdrähte bringt übrigens nichts, da sich brüchige Legierungen bilden und der Draht sich sofort ablöst.)

2 Herstellung einer Bezugselektrode
Falls du keine vorgefertigte Bezugselektrode hast, kannst du dir leicht eine machen. Dazu stellst du einfach einen Silberstab in eine gesättigte Lösung von Kalium- oder Natriumchlorid. Augenblicklich überzieht sich der Silberstab mit Silberchlorid - allerdings so fein, dass du es nicht sehen kannst.
Nun brauchst du noch eine Verbindung zum Titriergefäß, am besten eine
Salzbrücke: Löse unter Erwärmen und Rühren 1,5 g Agar-Agar in 100 ml Lösung von Kaliumnitrat (c = 4 mol/l). Fülle die warme Mischung in ein gebogenes Glasrohr und lasse die Masse erstarren. Während des Abkühlens müssen beide Enden in die Agar-Lösung tauchen. Damit verhinderst du die Bildung von Luftblasen in den Enden des Rohrs.

3 Aufnahme einer Titrationskurve
Lege in einem Becherglas (250 ml, breite Form) 50 ml Salzsäure (c = 1 mol/l) (Xi) vor und fülle eine Bürette mit Natronlauge (c = 1 mol/l) (Xi). Referenzelektrode ist Mercurisulfat (o. ä.). Verbinde die Bezugselektrode mit dem COM-Ausgang des Multimeters.
Gib in Schritten von 5 ml Natronlauge zu bis 100 ml Gesamtzugabe, um eine aussagekräftige Kurve zu erhalten. Rühre während der Messung gut um. Am besten benutzt du ein Magnetrührwerk.
Behalte die Metallelektrode im Auge. Die Krokodilklemme darf nicht in die Lösung tauchen! Das würde die Messung verfälschen!
Trage die Messwerte in das Diagramm Spannung/ml NaOH ein (-> Graphiken).

Prüfe auch andere Säuren (z. B. Schwefel-, Essig-, Zitronen- und Phosphorsäure). Dreibasige Säuren titrierst du in Zugabeschritten von 2,5 ml. Zur Herstellung der Säurelösungen siehe Tipp des Monats September 1998.

Hinweis: Falls du kein Messsignal erhältst: Prüfe die Bezugselektrode. Meistens fehlt im Innenraum der Elektrolyt (Kaliumchlorid- bzw. Kaliumsulfat-Lösung).

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Versuchsaufbau mit selbst gebauter Bezugselektrode

Betrachtest du die Titrationskurven, so erkennst du, dass die Redoxpotentiale tatsächlich eine starke Abhängigkeit vom pH-Wert zeigen. (Um die gemessenen Spannungswerte besser verstehen zu können, schaue dir die Webseite zur Potentialberechnung an.)
Du findest Wendepunkte, aus denen sich der Äquivalenzpunkt (hier bei 50 ml Zugabe an Natronlauge) ziemlich exakt ermitteln lässt. Mit Hilfe bekannter pH- und pK-Werte kannst du eine Kennlinie E = f(pH) für die Antimon-Elektrode erstellen. Beispiele sind der Neutralisationspunkt starker Säuren (pH 7) sowie pK-Werte der schwachen Säuren. Du kannst aber auch während einer Titration simultan Spannung und pH-Wert ermitteln, indem du einmal zusätzlich ein pH-Meter benutzt. Mit der Kennlinie kannst du dann unter Verwendung der Antimon-Elektrode sogar einzelne pH-Werte bestimmen.

Bleibt noch die Frage, ob du nicht auch eine Elektrode aus dem Aluminium verwenden könntest. Du wirst rasch feststellen, dass dieses Metall so amphoter ist, dass es sich in der Säure wie in der Lauge deutlich auflöst und damit für die Messung wertlos ist. Antimon ist wegen seines edleren Charakters für unsere Zwecke besser geeignet. Versuche es aber einmal mit Bismut. Bei letzterem überrascht der Erfolg, da dieses Metall kaum als amphoter gilt. Dennoch löst sich offenbar noch soviel Hydroxid in alkalischen Lösungen, dass der Potentialsprung bei pH 7 deutlich zu erkennen ist.


Rüdiger Blume


Weitere Tipps des Monats


Literatur zu den Oxiden bzw. Hydroxiden von Antimon und Bismut:
Holleman-Wiberg, Lehrbuch der Anorganischen Chemie, Walter de Gruyter, Berlin - New York 1995; 101. verbesserte und stark erweiterte Auflage.


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Letzte Überarbeitung: 12. August 2008, Dagmar Wiechoczek