(Foto: Daggi)
Im Urlaub gibt es immer Zitronenscheibchen (manchmal auch nur ein halbes) zu Fisch oder zu den anderen Meeresfrüchten (wie Langusten, Seegurken, Austern, leckeren Schnecken, Octopussis oder Seeigel). Und auch zum Reinigen der Finger nach dem Krabbenpulen reicht man dem Gast ein Schälchen mit Wasser - angereichert mit Zitronensaft. Jeder Angler weiß: Frisch gefangene Meeresfrüchte schmecken völlig neutral - manche sagen nussig. Das sollte eigentlich auch für Tiefkühlfisch gelten. Stimmt aber meistens nicht: Was man so aus der Tiefkühltruhe fischt, riecht schon beim Auftauen reichlich fischig. Das liegt an den langen Transportwegen. Wissen Sie, dass Neuseeland Fische nach Deutschland liefert? Wussten Sie, dass die in der Nordsee gefangenen Krabben zum weitaus größten Teil von fleißigen Frauen in Marokko gepult werden, bevor sie auf Ihren Tisch kommen, und dazu 8 Tage (wenn auch in Kühl-Lkw) durch Europa und Nordafrika gekarrt werden? Französischer Fisch zum Beispiel - serviert im Fisch-Restaurant am Fischerei-Hafen von Le Havre - hat dem Vernehmen nach beim Weg vom Schiff auf den Teller eine lange Reise hinter sich: Er wurde gefangen zum Beispiel im Atlantik vor Le Havre, dann zum landesweiten Zentralmarkt in Paris (Les Halles) gefahren, dort versteigert und (wenn er Glück hatte, ohne Zwischenhändler) nach Le Havre zurückgekarrt und dort serviert. Glauben Sie das nicht? Das ist der Hintergrund für die meisten saftigen Prügeleien der wackeren Freunde von Asterix. Dort ist der in der deutschen Übersetzung "Verleihnix" genannte Fischer Ordralfabétix tätig und wegen dieser zentralen Transporterei hilflos den Konflikten um frischen Fisch ausgesetzt, obwohl er direkt am Meer hockt und den Fisch selbst fängt... Vielleicht haben die einen oder anderen Les Halles im Original selbst gesehen. Wenn Sie nicht das Glück hatten, dieses Flair noch zu erleben, sollten Sie zumindest den Film "Das Mädchen Irma la Douce" von Billy Wilder aus dem Jahre 1963 ansehen. In diesem Film mit Shirley MacLaine und Jack Lemmon spielen viele Szenen in und um die Markthallen. Das Wundermittel: Zitronensaft macht fischigen Fisch zu frischem Fisch. Als Kenner meiner Webseitensammlung zum Tipp des Monats vermuten Sie richtig: Dahinter steckt eine Menge Chemie, Alltags-Chemie. Wie man übrigens Fisch zubereitet, besagt die vielen Hausfrauen und Hausmännern bekannte 3-S-Regel: Säubern, Säuern, Salzen. (Diese 3-S-Regel darf nicht mit der SSS-Regel der Organischen Chemie verwechselt werden!) Zuvor aber: Was heißt fischiger Geruch?
(Das geht auch - wenn auch etwas langsamer - in der Tiefkühltruhe recht gut. Schließlich sind es enzymatisch katalysierte Reaktionen mit bemerkenswert kleinem Q10-Wert; -> Webseite.) Aus der einfachsten Aminosäure Glycin wird so das einfachste organische Amin, Methylamin. Es ist nicht nur das einfachste, sondern auch das vom Geruch her penetranteste
Amin. Und da Glycin die häufigste Aminosäure ist, ist auch Methylamin das
häufigste Verwesungsamin - eben die zentrale Komponente von Fischgeruch. Es
ist leider auch typisch für schlecht gereinigte Männerklos.
So sollte sich fischiger Geruch auch in der Mikrowelle aufspüren lassen. Allerdings ist der Nachweis nicht besonders empfindlich. Aber man kann es ja mal versuchen.
Das pH-Papier sollte olivfarben bis grünlich werden. Auch wenn der Nachweis nicht so deutlich wie gewünscht ausfällt, weil der Fisch, den man gekauft hat, qualitativ erfreulich hochwertig ist: Man spürt deutlich den Fischgeruch. Und nun servieren wir die Scholle mit ausreichend Zitronensaft: Plötzlich ist der fischige Geruch wie weggezaubert. Dahinter steckt eine Brönstedsche Säure-Base-Reaktion
(Die meisten kennen das vom Ammoniak und Ammoniumchlorid.) Freie Amine riechen, aber nicht ihre Salze. Denn erstere sind bei Raumtemperatur
gasförmig oder zumindest leicht verdampfbar. So liegt der Siedepunkt von
Methylamin bei -6,5 °C.
Auch hier liegt ein Vergleich mit Ammoniak und dessen Salz Ammoniumchlorid nahe. Schnuppern Sie zur Erinnerung noch einmal an einer Ammoniakflasche (dabei unbedingt "chemisch" riechen, also sich etwas mit der Hand zufächern!) und an Ammoniumchlorid. Grund für die scheinbare Verdampfbarkeit von Ammoniumchlorid ist nicht Sublimation, sondern Dissoziation in Ammoniak und Chlorwasserstoff (-> Webseite). Entsprechendes gilt auch für Methylammonium-Salze. Man kann den Fischgeruch eigentlich mit jeder Säure neutralisieren
Und wenn ein Spaßvogel zum Fisch statt Zitronensaft eine mit Citronenöl
versetzte Sodalösung servieren würde?
Oft stellen meine Leser diese Frage: Falls der Fisch schon riecht, kann man ihn trotzdem essen, nachdem man Zitrone auf ihn getropft hat? Man kann den Fisch natürlich essen - wenn er nicht gar zu alt ist (so dass er zum Beispiel schon im Dunkeln leuchtet!). Letzteres ist kein Witz - auch wenn manche dies vermuten. Die Bakterien, die auf vergammelten Fisch leben und dann leuchten, gibt es wirklich. Es handelt sich meist um Vibrio fischeri, V. harveyi und Fotobacterium leiognathi. Sie bedienen sich dazu eines sehr energieaufwendigen enzymatischen Systems (Luciferin/Luciferase-System), das dem der Leuchtkäferchen ähnelt.
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