Halbacetalbildung - Furanose oder Pyranose?

Experimenteliste zu den Kohlenhydraten

Immer wenn man über Kohlenhydrate redet, denkt man an Ringstrukturen. Manche machen daran sogar eine Definition des Begriffs „Kohlenhydrate“ fest: Nur solche Polyhydroxyl-carbonyl-Verbindungen sollten Kohlenhydrate heißen, die auch stabile Ringe bilden können – also nur die Hexosen und die Pentosen.

Doch liegen Kohlenhydrate nicht zwangsläufig immer in der Ringform vor. Sie stehen vielmehr in einem stetigen Gleichgewicht mit ihrer offenkettigen Form. Darüber hinaus gibt es auch noch verschiedene Ringformen, je nach dem, ob fünf oder sechs Atome an der Bildung des Ringgerüsts beteiligt sind: Furanosen und Pyranosen. Die Begriffe stammen von cyclischen Ethern, die entsprechende Strukturen aufweisen.

 

Pyran und Furan


Bildung von intramolekularen Halbacetalen
Kohlenhydrate besitzen sowohl OH- als auch C=O-Gruppen. Eine typische Reaktion von Carbonylverbindungen und Alkoholen ist die Halbacetalbildung. Da beide funktionellen Gruppen in einem Molekül vorhanden sind, kann diese Reaktion auch intramolekular vonstatten gehen. So bildet sich ein Ring.

Bei der Reaktion zum cyclischen Halbacetal muss man sich zunächst in Erinnerung rufen, dass die einzelnen Glieder der offenkettigen Form drehbar sind. Das bedeutet, dass sich bei der Ringbildung zunächst die einzelnen Glieder um das C5-Atom so lange drehen, bis dessen Hydroxylgruppe in eine Position kommt, in der sie zu der endständigen Carbonylgruppe einen möglichst geringen Abstand besitzt. Beide reagieren nun in einer Additionsreaktion miteinander und es bildet sich ein sechsgliedriges Halbacetal (Pyranose). Einen Fünfring (Furanose) erhält man hingegen, wenn man nicht die an das C5-Atom, sondern die an das C4-Atom gebundene Hydroxylgruppe mit der Carbonylgruppe zur Reaktion bringt.


Welche Ringform wird bevorzugt?
Ob eine Furanose oder eine Pyranose gebildet wird, ist abhängig vom jeweiligen Kohlenhydrat. Bei der Glucose überwiegt der Anteil der Pyranoseform. Das gleiche gilt für die Fructose, wenn sie sich in Lösung oder im Kristall befindet. Denn ein Ring aus 6 Atomen garantiert mit seiner vom Cyclohexan her bekannten Sesselform die spannungsfreiste und damit energieärmste Form. Der Anteil der Furanoseform überwiegt aber bei der gebundenen Fructose – z. B. in der Saccharose.
Es kann demnach keine einfache Regel aufgestellt werden, ob die eine oder die andere Form grundsätzlich bevorzugt wird.


Anomerenbildung - Eine Folge des Ringschlusses und der Mutarotation
Beim Betrachten des Produkts, das durch den Ringschluss aus der linearen Carboxylverbindung entsteht, fällt auf, dass aufgrund der räumlichen Anordnung der neu gebildeten Hydroxylgruppe am C-Atom 1 zwei weitere Isomere möglich sind. Diese nennt man Anomere. Man bezeichnet sie mit den griechischen Buchstaben α und β: α-D-Glucose oder β-D-Glucose.

Bildung von Anomeren der D-Glucose

Die gesamte Reaktionsgruppe stellt ein chemisches Gleichgewichtssystem dar. Das hat zur Folge, dass sich auch zwischen den beiden anomeren Formen ein Gleichgewichtszustand einstellt.

Wenn man ein reines a- oder b-Anomeres in Lösung gibt, stellt sich das Gleichgewicht zwischen den Anomeren spontan, wenn auch ziemlich langsam ein. Die Reaktion kann man durch Zugabe einer schwachen Base wie Soda oder Ammoniak beschleunigen. Denn dadurch wird die Ringöffnung gefördert.

Man spricht hier von Mutarotation (lat. mutare, verändern). Die chemische Reaktion lässt sich mit Hilfe der Veränderung der optischen Aktivität einer Lösung verfolgen. Das a-Anomere hat eine spezifische Drehung [a]D = +112,2°, das b-Anomere dagegen nur +18,7°. Das sind auch die Anfangswerte der jeweiligen Lösungen. Nach Erreichen des Gleichgewichtszustands misst man +52,7°. Das ist übrigens auch der Drehwert, den man für eine Glucoselösung tabelliert findet.

Im Fall der Glucose wird die b-Form mit 64 % bevorzugt. Wovon es abhängt, welche Form sich in erster Linie bildet, erklären wir in einer anderen Webseite. Hierbei bringen wir auch die reaktionskinetischen Gleichgewichtsberechnungen. Dazu beschreiben wir noch, wie man die reinen Anomere herstellt.

Anomere sind übrigens Beispiele für den Spezialfall der Stereochemie, die Diastereomerie.

Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass es von den oben gezeigten anomeren Formen noch weitere Konfigurations-Isomere gibt. Die Sesselform des Rings kann nämlich umklappen. Im obigen Bild steht dann das C-Atom 1 nach oben, das C-Atom 4 nach unten. Das ist aber nur für das Verständnis einiger enzymatischer Reaktionen wirklich wichtig.


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Letzte Überarbeitung: 25. Februar 2009, Dagmar Wiechoczek