Der rote Wurzelstock der Blutwurz (Tormentil)

Eine eher unscheinbare, aber beim genauen Hinsehen recht hübsche Blume mit gefingerten Blättern ist die Blutwurz (oder auch Tormentil) mit dem wissenschaftlichen Namen Potentilla erecta, was aber keineswegs wohl auf gewisse medizinische Verwendungen schließen lässt: Die Potenz steht hier allgemein für „Heilkraft“ (lat. potens). Andere Namen sind P. silvestris oder P. tormentilla. (Tormina ist das lateinische Wort für Magen/Darmbeschwerden, „Leibschneiden“.)

Die Staude gilt als Anzeiger für „saure“ und sandige Böden; sie blüht ab Mai bis August. Sie ist völlig anspruchslos und deshalb auch ein hübscher „Hingucker“ für Steingärten.

Bild 1: Blutwurz
(Foto: Blume)


Interessant ist ihr Wurzelstock. Wenn man den vorsichtig ausgräbt und längs aufschneidet, sieht man, dass er im Innern pinkrot (also nicht blutrot!) gefärbt ist.

Bild 2: Längs durchschnittener Wurzelstock der Blutwurz
(Foto: Blume)


Deshalb könnte man annehmen, dass es sich beim Farbstoff um ein Anthocyan handelt. Um das zu überprüfen, sollte man mal das Verhalten des Farbstoffs gegenüber Säuren und Laugen untersuchen. Denn dann sollte es im Falle der Anthocyane die bekannten Farbreaktionen - Rot (sauer), Violett bis Blau (neutral) und Gelb (alkalisch) - geben.

Im Falle der Blutwurz passiert - nichts. Das einzige, was man beobachtet, ist, dass die Blutwurz nach einiger Zeit wie ein angeschnittener Apfel durch Sauerstoffzutritt bräunlich anläuft, was wohl durch die Lauge beschleunigt wird.

Bild 3: Blutwurzwurzel bei verschiedenen pH-Werten.
Links sauer und neutral, rechts alkalisch
(Foto: Blume)


Das spricht für das Vorliegen von leicht oxidierbaren Mehrfach-Phenolen und die Tätigkeit des Enzyms Phenoloxidase. Tatsächlich handelt es sich bei dem roten Farbstoff um ein Oxidations- bzw. Kondensationsprodukt von wasserlöslichen Gerbstoffen, genau genommen um das Glykosid eines pentacyclischen Triterpens, also eines C30-Körpers, der aus fünf Kohlenstoffringen besteht. Hier ist ein Beispiel für diese Substanzgruppe:

Bild 4: Beispiel für ein typisches pentacyclisches Triterpen


Die Kondensationsprodukte heißen Phlobaphene. Dahinter stecken letztlich die mit den Anthocyanen verwandten Catechine (C15-Verbindungen).

Bild 5: Beziehung zwischen dem Cyanidin (oben) und einem Catechin (unten)


Diese Catechine sind uns schon bei der Umfärbung von Laub im Herbst begegnet. Ihre Konzentration ist im Wurzelstock der Blutwurz sehr hoch.

Der Name des C30-Farbstoffs der Blutwurz ist Tormentol (Tormentill-Rot). Die Bezeichnung leitet sich von der Gattung der Tormentillgewächse her. Das ist der wissenschaftliche Name der Fingerkrautgewächse aus der Familie der Rosengewächse.

Die adstringierende Wirkung und den bitteren Geschmack der Gerbsäuren und der Catechine spürt man ganz besonders, wenn man vorsichtig etwas vom Wurzelsaft probiert. (Das sollte man aber nicht bei allen Pflanzen machen! Klicken Sie zum Beispiel hier.)

Man kann in der Apotheke sogar Zubereitungen der Blutwurz kaufen, die Tormentilla-Tinktur. Die nutzt man zur Spülung von Mund und Rachen. Es handelt sich also um einen echten „Rachenputzer“, was man auch zur Herstellung von gleichnamigen Kräuterschnäpsen nutzt.

Wegen der adstringierenden Wirkung kann man Blutwurzextrakte auch zum Stillen von Blutungen nehmen (so, wie man den adstringierenden Alaun als Rasierstein einsetzt) - daher kommt sicherlich der Name „Blutwurz“.

Gerbsäuren beeinflussen deshalb auch die Sekretion und Adsorptionstätigkeit der Darmschleimhaut. Die Pflanze hilft folglich gegen Durchfallkrankheiten wie die Ruhr - daher die Bezeichnung Ruhrkraut. Sie ist wohl aus diesem Grunde Bestandteil vieler Magenbitter-Zubereitungen.

Hinter all diesen Anwendungen steckt die Fähigkeit der Gerbsäuren, Eiweiße zu fällen. Das ist auch die Grundlage zur Verwendung der Wurzelextrakte zum Gerben von Leder - mit dem durchaus erwünschten Nebeneffekt, dass sich das Leder dabei gleichzeitig schön rot färbt. Aber auch Wolle lässt sich damit rot färben.

Das alles kann man experimentell selbst untersuchen - mit der Tormentilla-Tinktur. Achten Sie aber darauf, dass Sie in der Apotheke statt der Tormentilla-Tinktur nicht die rote, weil Fuchsin-haltige Castellanische Lösung abgefüllt bekommen!


Weitere Texte zu den Naturstoffen


Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie.
Letzte Überarbeitung: 08. Juni 2011, Dagmar Wiechoczek