Bild 1: Herbstlicher Ginkgo-Baum und Ginkgo-Blatt
Schon Goethe wusste, dass Ginkgo-Bäume zweigeschlechtlich („diözisch“) sind, dass es folglich Ginkgo-Männchen und Ginkgo-Weibchen gibt. Dazu schrieb er 1815 ein berühmtes Gedicht. Aber er wurde wohl nicht mehr alt genug, um zu erleben, worüber wir hier berichten. Hätten die modernen Städteplaner doch bloß im Biologieunterricht besser aufgepasst. Dann hätten sie auch von Folgendem gehört: Lange Zeit gleichen sich Ginkgo-Männlein und -Weiblein. (Kenner wissen zwar, dass das Männchen etwas kompakter und robuster aussieht im Gegensatz zum Weibchen, dessen Wuchs schlanker und zierlicher wirkt.) Beide bekommen im Frühjahr grüne Blätter, die aussehen wie eine Jungmädchenfrisur (daher die englische Bezeichnung Maidenhair tree), die im Herbst gelb werden und schließlich abfallen. Aber nach etwa zwanzig Jahren wird der geschlechtliche Unterschied deutlich: Wenn nämlich alle Bäume einer Ginkgo-Allee ihre Blätter abgeworfen haben, erkennt man, dass einige Bäume plötzlich gelbe, mirabellenartige, aber langstielige Früchte tragen. Ein 150 Jahre alter Ginkgo (wie z. B. in Potsdam) produziert locker mehrere 100 kg davon (siehe folgendes Bild). Bild 2: Ginkgo-Samen - dicht an dicht. Den Baum, der diesen Ast trägt, zeigen wir hier
Zum Begriff „Ginkgo-Früchte“ haben Biologen Einwände. Ich zitiere: „Da der Ginkgo ein Nacktsamer ist, sind die gelben, fruchtähnlichen Diasporen hier korrekterweise "Samen" und keine Früchte (ähnlich den Eibensamen mit dem roten Mäntelchen, das auch nicht zu einer Frucht gehört). Das fleischige Stinkende ist die "Sarkotesta", die "Kernschale" (in dem das essbare Innere liegt) ist die so genannte "Sklerotesta". Aber selbst einigen Biologen fällt es schwer, diese "Mirabellen" korrekt als Samen zu bezeichnen, weil sie ja so typisch fruchtig aussehen.“ *) Die Samen lässt der betreffende Baum über einen längeren Zeitraum hinweg zu Boden fallen. Nimmt man einen davon auf, merkt man sofort den Unterschied zur leckeren Mirabelle: Die Ginkgo-Samen stinken fürchterlich, der Duft hängt auch bei nur kurzer Berührung an den Fingern und in der Nase, also an allem, was mit den Samen in Berührung gekommen ist: An Schuhen, in Teppichen, auf Fußböden in Geschäften, an Autoreifen, ... Man muss nicht Chemiker sein, um die Ursache für den Geruch zu erkennen: Es handelt sich um Buttersäure. Den Geruch erhält man auch, wenn man zur Bereitung eines Käsefondues Emmenthaler Käse statt des in Rezepten empfohlenen Gruyère-Käses erhitzt... Zur Reinigung der kontaminierten Objekte hilft nur kräftiges Waschen mit deutlich alkalischen Seifen (Kern- oder Schmierseife) oder besser noch alkoholische Laugen. Die Lauge überführt die schwerlösliche und gut haftende Buttersäure in ihr lösliches Salz, das ausspülbar ist. Der Alkohol sorgt dafür, dass die Lauge ins betroffene Gewebe eindringt und unterstützt auch das Ausspülen des Buttersäure-Anions. Bild 3: Samen des Ginkgo-Baums
Interessanterweise gibt es aber auch wohlriechende Stoffe, welche Buttersäure (wenn auch in gebundener Form) enthalten: Da ist z. B. der Buttersäure-ethyl-ester, der nach Ananas duftet. Wenn man den Geruch der Ananas prüft, riecht man deutlich zusätzlich noch einen Hauch Buttersäure. Der bleibt auch, wenn man den Ester ausgehend vom Salz der Buttersäure synthetisiert. Weitere wohlriechende Ester sind der Buttersäure-methyl-ester („Apfeläther“) sowie der Buttersäure-pentyl-ester („Birnenaroma“). Es gibt außerdem physiologisch wichtige Buttersäurederivate, die wie die γ-Aminobuttersäure sogar als Neurotransmitter wirken. (Davon unten mehr.) Vom Organismus nicht fertig synthetisierte Buttersäure ist Grundlage zur Bildung der Ketonkörper. Das sind stoffliche Signale für die Zuckerkrankheit.
Da sind zum einen die Phenole. Die stinken zwar nicht, wirken aber als starke Kontaktallergene. Bei diesen Substanzen handelt es sich um langkettige Alkylphenole, die besonders im Fruchtfleisch vorkommen und dafür sorgen, dass der Saft ätzend wirkt. Hierzu gehört die Gruppe der Ginkgolsäuren, die auch Anacardsäuren genannt werden. Letzterer Name kommt daher, weil sie zuerst im Milchsaft des Sumachs (Essigbaum; Anacardiaceae) entdeckt wurden. Es handelt sich um ortho-Salicylsäure-Derivate.
Aber auch Biphenole wie die Urushiole findet man. Es handelt sich um Derivate des Brenzkatechins.
Der Samenkern des Ginkgo-Baums enthält neurotoxische Substanzen wie Ginkgotoxin, die vor allem als Antagonisten von Vitamin B6 (Pyridoxin) wirken. Letzteres wirkt in der Form von Pyridoxalphosphat als Cofaktor im Aminosäurestoffwechsel mit, so unter anderem bei Transaminierungsreaktionen und ist z. B. unerlässlich bei der Synthese von g-Amino-Buttersäure (GABA), einem wichtigen Neurotransmitter. Ursache ist die kompetitive Hemmung der Pyridoxin-abhängigen Enzyme, die folgerichtig durch Gabe von Vitamin B6 im Überschuss bekämpft werden kann. Das liegt an der sterischen Ähnlichkeit der beiden Substanzen.
Auch hier der Hinweis eines Biologen: Man geht davon aus, dass Aasfresser bzw. Raubtiere den Verwesungsgeruch (Buttersäure) attraktiv finden und die Samen so über die Darmpassage an anderen Orten ausbreiten. Es gibt Fotos von Kojoten (und anderen Aasfressern), die Ginkgo-Samen verputzen. Möglicherweise sind die ursprünglichen Verbreiter dieser Samen jedoch schon lange ausgestorben. Teilweise werden sogar Fleisch fressende („carnivore“) Dinosaurier als Verbreiter des Ginkgo-Samens vermutet. *)
*) Dank an Joachim Harwardt, Potsdam.
Diese Seite ist Teil eines großen Webseitenangebots mit weiteren Texten und Experimentiervorschriften auf Prof. Blumes Bildungsserver für Chemie. Letzte Überarbeitung: 24. Januar 2011, Dagmar Wiechoczek |