Prof. Blumes Tipp des Monats März 2006 (Tipp-Nr. 105)
Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis
unbedingt beachten.
Diabetes
Durchaus ein Thema für den Chemieunterricht
Immer mehr Schulkinder leiden unter erhöhtem Blutzucker und müssen kontrolliert
leben: Mal schnell einen Müsliriegel schlickern oder eine Stulle runterwürgen -
das ist vorbei. Manche müssen sogar während der Unterrichtszeit den
Blutzuckergehalt kontrollieren oder sich sogar eine Insulin-Spritze setzen. Und
wenn sie das vergessen, dann kann es ihnen ganz schlecht ergehen; sie können
sogar bewusstlos werden und auch sterben!
Alles zusammen viele gute Gründe, sich im Unterricht damit zu befassen.
Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Blutzuckersteigerungen
1 Gleich nach dem Essen steigt bei jedem Menschen der Blutzuckerspiegel an.
Das ist normal und keineswegs gefährlich. Wir nennen diese Steigerung "alimentär bedingt" (lat.
alimentum; Lebensmittel). Durch den erhöhten Blutzuckergehalt werden die Inselzellen der
Bauchspeicheldrüse angeregt, das Hormon Insulin
auszuschütten, das den Blutzuckerspiegel rasch senkt. Insulin ist ein Hormon, das für die
Aufnahme und Verstoffwechselung von Zucker in den Zellen notwendig ist.
2 Wenn jedoch der Blutzucker lange Zeit nach dem Essen immer noch hoch bleibt,
liegt eine Erkrankung vor. Der Verdacht auf Diabetes besteht bei einem Blutzuckergrenzwert von
>110 mg/dl nüchtern bzw. >180 mg/dl nach einer Mahlzeit. Die Erkrankung beruht auf der
verminderten Ausschüttung oder auf dem Fehlen von Insulin. Aufgrund der fehlenden Insulinwirkung
kommt es zu einer Hemmung der Aufnahme von Glucose in die Zellen. Man beobachtet deshalb den Anstieg
der Blutglucosekonzentration (Blutzuckerspiegel) und eine vermehrte Ausscheidung von Glucose im
Urin. Als Folge der fehlenden Glucoseverarbeitung in den Zellen kommt es zu weiteren Störungen
anderer elementarer Stoffwechselvorgänge wie zum Beispiel der Fettsäuresynthese. (Davon unten mehr.)
Jetzt verstehen wir auch die Symptome der Krankheit. Zunächst einmal beobachtet man bei den Kranken
eine deutliche Gewichtsabnahme - trotz ausreichender Nahrungsaufnahme. Man kann ohne Übertreibung
sagen: Zuckerkranke verhungern, obwohl sie genug essen.
Typisches Kennzeichen für Diabetes sind Durst oder häufiger Toilettenbesuch (lat. diabetes,
Harnruhr, Durchlauf). Woran liegt das?
Da der Blutzucker den osmotischen Druck des Blutes steigert, muss er ausgeschieden werden.
Aus diesem Grunde finden wir bei Zuckerkranken im Harn Glucose. Das ist auch der Grund dafür,
dass die Leute so viel trinken müssen und zugleich auch entsprechend häufig die Toilette aufsuchen.
Hier deutet sich schon an, warum vor allem weibliche und jugendliche Diabeteskranke zunächst als
bulimie-verdächtig gelten.
Diese Krankheit heißt Diabetes mellitus (lateinisch
"süßer Durchlauf"). Das ist keine einheitliche Erkrankung, sondern bezeichnet eine Gruppe von
verschiedensten Stoffwechselstörungen. Diese haben allesamt ihren Grund in der fehlenden Überführung
von Glucose aus dem Blut in die Zellen.
Es gibt noch einen anderen Diabetes, den Diabetes insipidus (lat. fade, geschmacklos).
Dieser beruht auf einer Störung des Stoffwechsels eines Hypophysen-Hormons, des Vasopressins (Adiuretin).
Hier werden Unmengen von Harn ausgeschieden, der jedoch nicht süß schmeckt.
Man unterscheidet zwei Formen des Diabetes mellitus
Beim Typ 1-Diabetes (juveniler, jugendlicher, insulinabhängiger Diabetes) bildet
die Bauchspeicheldrüse aufgrund verschiedener Ursachen kein Insulin. Die betroffenen Patienten sind
somit auf die medikamentöse Gabe von Insulin angewiesen. Diabetes vom Typ 1 beginnt meist im Kindesalter,
kann sich aber vereinzelt auch erst später ausprägen.
Der Typ 2-Diabetes (Altersdiabetes, nicht-insulinabhängiger Diabetes) tritt in der
Regel erst im Erwachsenenalter auf und ist unterschiedlich in Ausprägung und Behandlung. Die medikamentöse
Behandlung kann mit Insulin oder mit Medikamenten erfolgen, die die noch vorhandene Insulinproduktion steigern
oder ihre Wirksamkeit verbessern. Zahlenmäßig macht der Typ 2-Diabetes ca. 90 % aller Diabeteserkrankungen aus.
Zur Diagnose untersucht man Urin und Blut
Früher probierte der Arzt den Harn. Schmeckte der süß, so war der Verdacht auf Zuckerkrankheit gegeben.
(Dazu gibt es einen Mediziner-Schnack.) Da das Urinschlecken nicht so wirklich appetitlich
war, suchte man nach anderen Möglichkeiten. So stellte man den Harn ans offene Fenster. Wenn sich auffallend
viele Bienen oder Wespen am Harn labten, reichte das schon als Indiz für gut gezuckerten Harn aus. Leider
ein Nachweis, der nur im Sommer gelingt.
In der Folge entwickelte man zunehmend chemische Glucosenachweise.
Chemische Glucosenachweise
Diese sind in der Schulchemie sehr verbreitet. Wer weiß schon, dass diese Nachweise früher zur
Diabetes-Diagnose genutzt wurden?
Die einfachen Nachweisreaktionen beruhen allesamt auf der Reduktion von Schwermetall-Ionen durch Glucose
in alkalischem Milieu.
Es wird immer wieder gefragt, warum überhaupt alkalisches Milieu notwendig ist. Der Grund: Bei der Oxidation
der Glucose werden Protonen freigesetzt. Es stellt sich ein Redoxgleichgewicht ein.
Zum Vorantreiben der Oxidation durch die Schwermetall-Ionen müssen die Protonen durch Zugabe von Alkalien
abgefangen werden. Damit verschiebt sich das Gleichgewicht nach rechts.
Oxidation: R-CHO + 3 OH- > R-COO-
+ 2 H2O + 2 e-
Die Folge ist allerdings, dass sich im alkalischen Milieu mit den oxidierenden Metall-Ionen schwerlösliche
Hydroxide wie Cu(OH)2 oder AgOH bilden. Deshalb muss man Komplexbildner hinzugeben, um die Ionen
in Lösung zu halten.
Die im Folgenden beschriebene Probe nach Tollens ist in der Schule als Silberspiegelversuch
bekannt. Oxidationsmittel ist Silbernitrat. Komplexbildner ist das Ammoniak.
Versuch 1: Probe mit Tollens Reagenz
Wir geben zu 10 ml Silbernitratlösung (w = 5 %) (Xi) tropfenweise soviel konzentrierte Ammoniaklösung (C),
bis sich der anfänglich gebildete Niederschlag von Silberhydroxid wieder auflöst. Nun fügen wir 10 ml
Glucoselösung (w = 200 mg/100 ml Wasser) hinzu.
Ergebnis:
Es bildet sich graues bis schwarzes Silber. Wenn das Glas besonders gut gereinigt war, kann sich sogar ein
Silberspiegel bilden.
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Die folgenden drei Proben beruhen auf der Reduktion von alkalischen blauen Kupfer(II)-Salzlösungen. Das
Kupfer(II)-Ion wird durch Komplexbildner wie Glycerin, Anionen der Weinsäure oder der Citronensäure als
Chelat stabilisiert. In der Wärme bildet sich gelbes bis
rotes Kupfer(I)-hydroxid oder Kupfer(I)-oxid. Von dieser Nachweisreaktion gibt es einige Varianten, die
man aber im allgemein unter der Bezeichnung "Fehling-Proben" zusammenfasst, obwohl es einzelne Unterschiede
gibt. Egal: Vielen Nutzern scheint nicht klar zu sein, was dabei überhaupt abläuft (-> Webseite).
Folgender chemischer Vorgang ist allen Proben gemeinsam:
Oxidation: R-CHO + 3 OH- > R-COO-
+ 2 H2O + 2 e-
Reduktion: Cu2+ + OH- + e- >
CuOH / x 2
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R-CHO + 5 OH- + 2 Cu2+ > R-COO- + 2 H2O + 2 CuOH
(Auf die Einbeziehung des Komplexbildners in die Reaktionsgleichung haben wir verzichtet. Denn dieser spielt
beim Redoxprozess keine Rolle.)
Versuch 2: Der klassisch-chemische Glucosenachweis in Lösung
Bei den Nachweisreaktionen darf auf keinen Fall das Reagenzglas über der Brennerflamme
erhitzt werden! Gefahr des Siedeverzugs und des Herausspritzens der alkalischen Lösungen!
Wir stellen uns eine Glucoselösung (w = 200 mg/100 ml Wasser) her. Dann bauen wir ein Wasserbad auf, bestehend aus
Bunsenbrenner, Dreifuß, Keramikdrahtnetz und Becherglas (400 ml). Der Wasserstand im Becherglas sollte so hoch sein,
dass zur gleichmäßigen Erwärmung die Lösungen in den Reagenzgläsern völlig eintauchen. In das Wasser geben wir
Siedeperlen zur Vermeidung von Siedeverzügen. Das Wasser erhitzen wir auf etwa 60 °C.
Wir füllen 5 ml Glucoselösung in drei Reagenzgläser. Dazu geben wir jeweils die gleichen Mengen der folgenden
Reagenzlösungen und vermischen gut.
- Haines Reagenz
- Fehlingsche Lösung
- Benedict-Lösung
Ergebnisse:
In allen drei Fällen beobachten wir zunächst eine Umfärbung der Lösung nach Grün, dann das Auftreten eines gelben
bis roten Niederschlags.
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Bild 1: Fehling-Reaktion (Foto: Daggi)
Hierzu gibt es einen Film (1 MB)
Klicke hier |
Zum Film sei angemerkt: Wir haben ihn gestellt, indem wir statt einer Glucoselösung eine Ascorbinsäurelösung
(-> Webseite) verwendet haben. Außerdem haben wir die Lösungen zuvor auf etwa
80 °C erwärmt.
Es gibt noch die Trommersche Probe. Hierbei verzichtet man anders als bei der Versuchsgruppe
2 auf die Zugabe eines Komplexbildners. Zunächst gibt man eine zusatzfreie Lösung von Kupfer(II)-salz zu und
vermischt. Dann erst sorgt man für die Alkalinität der Mischung. Grund: Hierbei wirken die Zucker wegen ihrer
vielen OH-Gruppen als Komplexbildner.
Der enzymatische Glucosetest
Diese Reaktionen ließen sich nur schwer quantitativ auswerten. Heute gibt es nur noch enzymatische
Nachweise. Die beruhen auf zwei gekoppelten Reaktionen.
Versuch 3: Enzymatischer Glucosenachweis
Wir stellen eine Zuckerlösung (w = 1000 mg/100 ml Wasser) sowie eine Verdünnungsreihe her. Mit einem Stick
aus der Apotheke prüfen wir nach Vorschrift den Gehalt der Lösungen. Insbesondere prüfen wir, ob man damit tatsächlich
quantitative Aussagen treffen kann.
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Darauf beruhen auch die Sticks (engl. Stäbchen), die man in den Apotheken kaufen kann. Diese soll man in den
morgendlichen Urin tauchen. Besser jedoch ist es, etwa zwei Stunden nach einer guten Mahlzeit zu testen. Danach
sollte bei Gesunden die Blutzuckerkonzentration wieder auf den Normalwert von 110 mg/100 ml gesunken sein. Ihre
Farbänderungen erlauben allerdings nur begrenzt, Zucker-Konzentrationen genau zu bestimmen. Das folgende Bild
zeigt das Ergebnis eines solchen Tests.
Bild 2: Sticktest auf Glucose im Urin
(Foto: Blume)
Der linke Stick ist der Blindwert mit Glucoselösung. Der mittlere Stick zeigt die Reaktion mit der Urinprobe
eines Gesunden. Rechts ist ein unbenutzter Stick.
Der Farbstoff heißt übrigens Tetrametylbenzidin (abgekürzt TMB). Im Stick befindet sich als Chromogen dessen
Leukoform TMBH2. Zur Reaktion des Farbstoffsystems TMBH2/TMB klicke hier.
Genaue Tests werden mit Blutserum unter standardisierten Bedingungen im Labor vorgenommen. Auch das
erfolgt unter der Mitwirkung von Enzymen.
In vielen Süßmitteln ist Maltodextrin enthalten
Maltodextrin (auch Dextrose genannt) ist partiell abgebaute Stärke. Der Abbau erfolgt zum Beispiel durch
Säurekatalyse oder durch Enzyme. Maltodextrin ist also letztlich
Glucose. Die Folge des Genusses ist eine Blutzucker-Steigerung. Maltodextrin sollte deshalb von
Diabetes-Patienten nicht genommen werden. Andererseits wird durch eine geringe Aufnahmemenge ein
gleichbleibender Blutzuckerspiegel gewährleistet, der vor Unterzuckerung schützt. Das nutzt wie das
Stückchen Zucker, das Zuckerkranke immer bei sich tragen müssen. Denn genauso schlimm wie Überzuckerung
ist für das körperliche Wohlbefinden Unterzuckerung!
Warum riechen Menschen nach Aceton, wenn sie zuckerkrank
sind?
Wenn der Atem eines Menschen nach Aceton riecht, ist es höchste Zeit, ihn ins Krankenhaus zu schicken. Er
ist hochgradig vom Diabetes-Koma bedroht. Das kann nicht nur zur Bewusstlosigkeit, sondern auch zu bleibenden
Nervenschädigungen führen. Sogar Gehirnschäden sind nicht auszuschließen, denn Aceton ist als Lösemittel
nerventoxisch.
Zur Entstehung von Aceton: Die Zuckerkrankheit hat nicht nur etwas mit dem Stoffwechsel von Zucker
(genau: Glucose) zu tun, sondern unter anderem auch mit dem Fettstoffwechsel. Bei Insulinmangel bricht
die Fettsäuresynthese auf der Ebene der ß-Ketobuttersäure ab. Der Grund ist das zur Reduktion fehlende NADPH.
Letzteres stammt vor allem aus einem Seitenweg des Glucoseabbaus (Pentosephosphatzyklus). Denn wenn wegen
Insulinmangels keine Glucose in die Zellen gelangt, gibt es auch keinen Glucoseabbau! Und wie wir
sehen, auch keinen Fettaufbau. Hochgradig Zuckerkranke magern deshalb ab.
Die ß-Ketobuttersäure (auch Acetessigsäure genannt) kann im Körper noch decarboxyliert werden. Dabei
entsteht Aceton. Beide Stoffe fasst man unter dem Begriff "Ketonkörper" zusammen.
Reaktionsschema der Ketonkörper
Aceton tritt im Komafall sogar im Harn auf. Dazu gibt es einen klassischen Nachweis, der von dem Breslauer
Arzt E. Legal erfunden wurde.
Versuch 4: Die Legalsche Aceton-Probe
Eine frische Lösung von Nitroprussid-Natrium Na2[Fe(CN)5(NO+)]
(w = 1 %) (Xn) wird hergestellt.
5 ml Aceton werden mit einigen Tropfen Natronlauge (c = 2 mol/l) versetzt. Dann geben wir tropfenweise
die blaue Nitroprussid-Lösung hinzu und vermischen. Es entwickelt sich langsam eine Blaufärbung, die sich
durch Hinzutropfen von Eisessig (C) verstärkt.
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Der Versuch beruht auf einer Umkomplexierung mit Aceton als neuem Liganden. Es gibt diesen Nachweis auch
als Teststreifen zu kaufen.
Da (wie schon gesagt) zunehmend Kinder und somit auch Schüler vom Diabetes betroffen werden, sollten
vor allem die Lehrer und Mitschüler wissen, wie Aceton riecht. Viele kennen den Geruch nach Aceton gar nicht.
Der Hinweis "Aceton riecht wie Nagellackentferner" zieht nicht mehr, seitdem die meisten Nagellackentferner ohne
Acetonzusatz hergestellt werden. Deshalb müssen wir den Geruch im Unterricht vorstellen.
Versuch 5: Der Geruch nach Aceton
Wir geben eine Probe Aceton in ein verschließbares Gefäß und reichen es herum. Die Schüler öffnen das
Gefäß kurz und fächeln sich den Geruch zu.
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Auf keinen Fall darf dieser Geruch mit dem der "Fahne" eines Alkoholikers verwechselt werden!
Wovon der Blutzuckerwert noch abhängt
Einmalige Abweichungen vom normalen Blutzuckerwert sollten nicht zu allzu hoch bewertet werden. Hier ein
Beispiel: Ein Patient kam brav wie vorgeschrieben ohne Frühstück ("nüchtern") zum Routinetest. Die Analyse
ergab, dass sein Blutzuckerwert dennoch um 20 % zu hoch war. Die vom sorgenvollen Doktor zu Recht angesetzten
Wiederholungsmessungen waren jedoch ohne Auffälligkeiten.
Der Grund für die Blutzuckererhöhung war, dass der Patient vorher beim Einparken ein anderes Auto touchiert
hatte. Das hatte seinen Adrenalinspiegel steigen lassen. Man muss wissen, dass die Primärwirkung des Stresshormons
Adrenalin die Freisetzung von großen Mengen Glucose aus dem menschlichen Speicher-Polysaccharid Glykogen ist.
Deshalb steigt bei Stress-Situationen der Blutzuckerspiegel kräftig an.
Rüdiger Blume
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Letzte Überarbeitung: 20. Januar 2013, Dagmar Wiechoczek
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