1 Das Problem Der Merkspruch "Erst das Wasser, dann die Säure, sonst geschieht das Ungeheure" ist für viele von euch Schülern das einzige, was vom Chemieunterricht im Langzeitgedächtnis haften geblieben ist. Denn jeder sollte wissen, dass Schwefelsäure beim Verdünnen mit Wasser sehr heiß wird und dass ihr deshalb mit diesem Gemisch äußerst vorsichtig umgehen solltet. Im folgenden lernt ihr anhand eigener Versuche, was hinter dieser Gefahr steckt, die von einer der weltweit bedeutendsten Industriechemikalien ausgeht. So wurde bei einem Unfall in einer Chemiefirma durch Schwefelsäure ein Arbeiter verätzt. Der Mann wurde mit schwersten Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert. Zu dem Unfall kam es, als eine Leitung beim Abfüllen eines Tanks riss.
Der Grund hierfür ist, dass sie mit Wasser unter Wärmefreisetzung chemische Verbindungen eingeht. Anstelle von freien Oxonium-Ionen entstehen zunächst mit Wasser Schwefelsäureverbindungen ("Schwefelsäure-Hydrate") wie z. B.: H2SO4 + H2O > H2SO4 · H2O /exotherm (Lies: H2SO4 mit H2O.) Es bilden sich Hydrate mit bis zu 8 Wassermolekülen pro Molekül Schwefelsäure, also H2SO4 · 8 H2O. Diese Hydrate kann man sogar isolieren. Sie haben salzartige Strukturen wie z. B. [H3O+][HSO4-]. Ihre Bildungsreaktion ist stark exotherm. Die Energiemenge, die 1 Mol (entsprechend 98 g)
Schwefelsäure beim Verdünnen mit sehr viel Wasser freisetzt, beträgt 95,33 kJ (bei 20 ºC).
(Nun kann auch der Unterschied zwischen konzentrierter und verdünnter Schwefelsäure auf molekularer Ebene erklärt werden: In konzentrierter bis wenig verdünnter Schwefelsäure "kleben" die Ionen der Hydrate so stark zusammen, dass sie eine quasikristalline Einheit bilden. Beim weiteren Verdünnen schieben sich wie beim Lösen eines Natriumchlorid-Kristalls nach und nach so viele Wasserdipole dazwischen, dass die Hydrogenium-Ionen abgelöst werden und ihre "Säurewirkung" voll entfalten können. Deshalb leitet verdünnte Schwefelsäure (anders als die konzentrierte) den elektrischen Strom.)
Die Eigenschaft, Wasser an sich zu ziehen, nennt man Hygroskopie; der Stoff ist dann hygroskopisch (griech. hygrós feucht, skopéo schaue). Was das bedeutet, könnt ihr durch den Vergleich zweier Flüssigkeiten zeigen: Lasst ihr Wasser offen stehen, so verdunstet es, und das Gefäß wird leichter. Anders ist es bei der konzentrierten Schwefelsäure: Diese nimmt an Masse zu. Wie kommt das? Schwefelsäure zieht Wasser an und somit auch Wasserdampf aus der Luft. Deshalb findet sie auch als Trocknungsmittel z. B. im Exsikkator Verwendung. Es reicht aber nicht aus, die konzentrierte Schwefelsäure einfach an der Luft stehenzulassen, da in modernen Häusern aufgrund von Zentralheizungen und guter Lüftung die Luft zu trocken ist. Deshalb geht ihr am besten wie folgt vor:
Die Tendenz von Schwefelsäure, Wasser an sich zu reißen, geht so weit, dass sie sogar aus organischen Molekülen Wasser abspaltet. Das kann man bekanntlich besonders gut an den Kohlenhydraten zeigen, die dabei verkohlen. Formal gilt: C6H12O6 + 6 H2SO4 > 6 C + 6 H2SO4 · H2O /exotherm Einen besonders schönen Reaktionseffekt erzielst du mit Saccharose (Rüben- oder Rohrzucker).
Dass hierbei deutlich Schwefeldioxid zu riechen ist, zeigt, dass bei der Saccharosezersetzung auch komplizierte Redox-Vorgänge ablaufen. Lies dazu auch unsere Hintergrundinformationen.
Wegen dieser Fähigkeit, organisches Material zu zersetzen, ist die Schwefelsäure so aggressiv und gefährlich. Dafür gibt es sogar Beispiele aus der Geschichte.
Die große Affinität zu Wasser ist aber auch Grundlage einiger technischer Verfahren: Taucht man z. B. Papier, das aus Cellulose besteht, kurzfristig in die Säure, so verkohlt es nicht, sondern wird in Pergamentpapier umgewandelt.
Wir lernen daraus, dass Pergamentpapier aus teilweise zerstörter Cellulose besteht. Deshalb gehört es auch nicht ins Altpapier. Aber auch bei anderen chemischen Verfahren schätzt man die aggressive Hygroskopie der Schwefelsäure. Du kennst vielleicht die Veresterungsreaktionen, bei denen Schwefelsäure als Katalysator wirkt. Ein Beispiel: Genau genommen sind es ihre Protonen, die katalytisch wirken. Deshalb kann man hier auch jede beliebige Säure oder sogar saure Kationenaustauscher verwenden. Schwefelsäure absorbiert aber zugleich das Nebenprodukt Wasser und verschiebt damit das Gleichgewicht der Reaktion in Richtung auf Esterbildung.
Das hygroskopische Verhalten der Schwefelsäure hat für die Umwelt fatale Folgen: Bei vielen chemischen Verfahren wie beim Aufschluss von Calciumphosphat zur Düngemittelgewinnung oder von Titanerzen sowie in der organischen Chemie benötigt man konzentrierte Schwefelsäure, die dabei auf einen Gehalt von etwa 20-30 % verdünnt wird. Diese Abfall-Schwefelsäure zur Rückgewinnung zu entwässern, ist wegen der notwendigen Zerlegung der Schwefelsäure-Hydrate sehr energieaufwendig und teuer. Aus diesem Grunde schüttete man früher diese sogenannte Dünnsäure zu Tausenden von Tonnen einfach ins Meer ("Verklappen"). Die Folgen für die Umwelt waren teilweise verheerend. Die Säure wirkt zunächst ätzend auf die Meerestiere. Sie erwärmt das Meer an der Einleitungsstelle bis zum Kochen und versauert das Wasser. Hinzu kommt noch, dass die Dünnsäure große Mengen an giftigen Salzen und organischen Verbindungen enthält, die die Meeresorganismen vergiften. Seit einigen Jahren hat man in Deutschland vom Verklappen der Dünnsäure Abstand genommen und ist zum Recyceln von Schwefelsäure übergegangen. Zunächst kann man verdünnte Schwefelsäure destillieren. Deren Hydrate sind so stabil, dass sie bis 338 °C abdampfen. Zurück bleibt (allerdings je nach Herkunft mehr oder weniger stark verunreinigte) wasserhaltige Schwefelsäure mit einer Konzentration von 98,3 % (azeotropes Gemisch). Diese kann nicht mehr weiter durch Destillation angereichert werden. Bei höheren Temperaturen beginnt jedoch die Zersetzung der Schwefelsäure: H2SO4 > H2O + SO3 /endotherm Bei 450 °C ist die Zersetzung der Schwefelsäure vollständig. Aus dem
Schwefeltrioxid kann reine Schwefelsäure zurückgewonnen werden.
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