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Tipp des Monats Oktober 2020 (Tipp-Nr. 280)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Pech – der Kleber aus der Birkenrinde

Uwe Lüttgens
mit freundlicher Unterstützung von Dieter Todtenhaupt


In meinem Chemiestudium musste ich in den organischen Praktika zahlreiche Synthesen „kochen“. An manchen Tagen allerdings schien es wie verhext zu sein – nichts wollte gelingen: Erst verschüttete ich Chemikalien, dann gab es einen Siedeverzug im Reagenzglas, und zu allem Überfluss fiel mir dann noch der Erlenmeyerkolben oder auch der teure Liebigkühler hin, den ich aus eigener „Studentenkasse“ der Universität ersetzen musste. Und am Ende fiel die Ausbeute der Substanz, die ich eigentlich herstellen sollte, einfach nur jämmerlich aus. Wir alle kennen solche Tage, an denen uns rein gar nichts gelingen will. Dann fühlt man sich einfach nur als Pechvogel.

Ein Pechvogel sein - wo liegt eigentlich der Ursprung dieser Redewendung? Sie geht auf einen arglistigen Trick bei der mittelalterlichen Vogeljagd zurück: Die Äste von Bäumen wurden dick mit klebrigem Pech bestrichen. So dick, dass sich ein Vogel, einmal dort niedergelassen, nicht mehr aus eigener Kraft befreien konnte. Diese „Pechvogel“ saß in der Falle und mussten später nur noch von den grausamen Jägern eingesammelt werden.

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Bild 1: Die klebrige Schmiere auf der Fingerkuppe ist Birkenpech
(Foto: Lüttgens)

In diesem Tipp beschäftigen wir uns mit Pech, genauer mit Birkenpech, das bereits frühe Menschen und auch der Neandertaler in der Steinzeit aus der Rinde der Birke gewonnen haben und als einzig damals brauchbaren Klebstoff verwendeten, z. B. zur Verbindung von Stein- oder Metallwerkzeugen und -waffen mit Holzgriffen oder Schäften.


Die Birkenrinde
Ihr Stamm ist das Erkennungsmerkmal der Birke. Die Rinde ist weiß gefärbt mit dunklen, teilweise schwarzen Farbnuancen.

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Bild 2: Die Rinde muss man vom Birkenstamm lösen. Dreht man sie um, sind deutlich zwei Schichten zu erkennen – innen die eigentliche Rinde, außen das sogenannte Birkenkork mit seiner weißen Farbe.
(Fotos: Lüttgens)

Genauer betrachtet besteht die Rinde aus zwei einzelnen Schichten: Die äußere Schicht heißt Birkenkork, innen liegt die Rinde.


Lässt sich Birkenpech auf einfache Weise gewinnen? – ein erster Versuch


Versuch 1: Gewinnung von Birkenpech

Geräte und Chemikalien: Feuerschale (mit Loch im Boden), alte Blechdose mit Deckel, zweites kleineres Glasgefäß (z.B. Marmeladenglas o.ä.) zum Auffangen des Destillats, evtl. kleines Metallrohr, Lehm zur Ummantelung der Blechdose, evt. Schafwolle zur Stabilisierung der Lehmummantelung, Birkenrinde, Gartenschere, Holz zum Anfeuern

Bild 3: Skizze der einfachen Apparatur zur Gewinnung von Birkenpech
(Skizze: Lüttgens)

Durchführung: Die mit der Gartenschere in kleinere Stücke geschnittene Birkenrinde wird in eine Blechdose gefüllt, deren Boden mit einem oder mehreren Löchern perforiert wurde, und anschließend mit dem Deckel verschlossen. Die Dose wird mit einer Schicht Lehm, der mit Sand etwas abgemagert wurde, umhüllt. Evt. kann Wolle zur Verbesserung der Stabilität der Lehmummantelung eingearbeitet werden. Das Loch der Dose, das Loch in der Feuerschale und das Auffanggefäß werden justiert. Die Holzstücke werden um die Dose herum aufgeschichtet und entzündet.

Hinweis: Während des Versuchs kommt es zu starker Gasentwicklung, wenn die Temperatur im Schwelofen auf 500°C und mehr ansteigt. Daher sollte auf ausreichenden Abstand geachtet werden. Die heftige Pyrolysereaktion, die nach einiger Zeit einsetzt, führt dazu, dass die Ausbeute an kondensiertem Pech eher klein im Vergleich zur eingesetzten Masse an Birkenrinde ist.

Bild 4: Mein einfacher Schwelofen. In die Dose sollte zuvor ein kleines Loch gebohrt werden, durch welches das Pech in das Marmeladenglas tropfen kann.
(Fotos: Lüttgens)

Bild 5: Die Lehmummantelung der mit Birkenrinde gefüllten Blechdose wurde zusätzlich mit Wolle verstärkt.
(Foto: Lüttgens)

Bild 6: Das erste Pech läuft in das Marmeladenglas.
(Foto: Lüttgens)

Bild 7: Als Rückstand bleibt verkohlte Birkenrinde, die sich leicht entzünden lässt.
(Fotos: Lüttgens)

Im historischen Doppeltopfverfahren wird ein Keramikgefäß mit Lehm ummantelt, anschließend in einer kleinen Erdhöhle auf ein zweites, unten bereits eingegrabenes Gefäß gestellt und durch die in das Erdloch verfüllte Glut ein bis zwei Stunden lang erhitzt [1].


Pech oder Teer?
Unterscheidungsmerkmal zwischen Pech und Teer ist die Konsistenz und nicht die Zusammensetzung des Stoffgemischs: Nachdem das anfangs freigesetzte Schwelwasser entwichen ist, bildet sich bei der Pyrolyse neben den gasförmigen Reaktionsprodukten und der festen Holzkohle als Kondensat flüssiger Teer.

Bild 8: Schwelwasser und Teer: Beide deutlich unterscheidbare Fraktionen fließen während der Pyrolyse nacheinander in den unteren Topf.
(Fotos: Lüttgens)

Wird der Rohteer anschließend weiter eingekocht, entsteht eine eher zähe Masse, das eigentliche Pech.


Die Birkenrinde wird trocken destilliert
Bei der sogenannten trockenen Destillation werden die Holzstoffe, z. B. Lignin, bei Temperaturen oberhalb von ca. 180 - 200°C zersetzt. Man spricht von einer Pyrolyse, weil Sauerstoff als Reaktionspartner fehlt. So entsteht aus dem Holzstoff Lignin eine farblose oder gelbliche, ölige Flüssigkeit, das Guajacol.

Guajakol ist für eine Pflanze nicht lebensnotwendig. Der Stoff gehört deshalb zu den sogenannten sekundären Pflanzenstoffen. Die chemische Verbindung kann, je nach chemischem Blickwinkel, als ein ein methyliertes Phenol (2-Methoxyphenol) oder als Ether (Brenzkatechinmonomethylether) als verstanden werden. Interessant: Der Wortstamm Brenz- im Trivialnamen dieses Pyrolyseprodukts ist ein veralteter Begriff, der auf die Gewinnung durch eine trockene Destillation hinweist.

Übrigens: Das Schwelwasser wird auch als roher Holzessig bezeichnet. Es besteht z. B. aus Methanol und Aceton.

Im Schwelwasser sind kondensiertes Wasser, Methanol und Aceton enthalten.


Betulin
Für die weiße Farbe der Birkenrinde ist Betulin verantwortlich (lat. betula, Birke). Erwähnt wird der Stoff erstmals im Jahr 1788 in den Chemischen Annalen für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufakturen [2]. Dort beschreibt der Chemiker Johann Lowitz seine Beobachtungen beim Experimentieren mit den weißen Flocken, die er zuvor von einem erwärmten Stück Birkenrinde mühsam aufsammelt: „Die kleinen weißen Flocken, welche auf der weißen Rinde des Birkenholzes erscheinen, wenn es in einem bestimmten Abstand an offenes Feuer gebracht wird, und die von Zeit zu Zeit verfliegen, sind eine sehr artige, weiße zarte Vegetation, die ich erst durch Zufall bemerkte, und sie dann durch Uebung schön und häufig sammeln lernte.“

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Bild 9: Die kleinen, weißen Flöckchen erkennt man eher zufällig. Sie lösen sich ab und an von der Birkenrinde, wenn diese vorsichtig z. B. an einem Lagerfeuer erwärmt wird.
(Foto: Lüttgens)

Der Naturstoff, dessen Moleküle kompliziert aufgebaut sind, gehört zur Stoffklasse der Triterpene. Die Birkenrinde besteht zu 40% aus diesen Naturstoffen [3]. Mehr Informationen zu Terpenen finden sich hier.

Betulin sorgt in der Rinde dafür, dass Schädlinge abgewehrt werden können und der Baum vor zerstörerischer UV-Strahlung geschützt ist.

Bis zu einem Viertel der getrockneten Birkenrinde besteht aus dem pentacyclischen Triterpen Betulin. Gut zu erkennen sind vier Sechsringe und ein Fünfring. Neben mehreren Methylresten finden sich zwei Hydroxylgruppen am Ringsystem.

Das Triterpen Betulin hat eine pentacyclische Struktur. Das bedeutet, dass das Molekül aus fünf Kohlenstoff-Ringen aufgebaut ist (penta: fünf, cyclus: Ring). Und Triterpen bedeutet, dass der Naturstoff aus drei sogenannten Terpen-Einheiten besteht. Dies entspricht sechs sogenannten Isopreneinheiten - mit insgesamt 30 Kohlenstoffatomen. Zählen Sie nach! [4]


Weitere Inhaltsstoffe
Mehrere tausend weitere verschiedene Verbindungen finden sich im Holzteer. Die Zusammensetzung wird durch die Art des Baumes – eine Tanne oder Kiefer liefert einen anderen Chemikalienmix als eine Birke - und die Herstellungsmethode beeinflusst. Wichtige Faktoren sind die Temperatur und Geschwindigkeit, mit der die Pyrolyse durchgeführt wird.

Das Betulin habe ich ja bereits erwähnt. Im Gaschromatogramm lässt sich ein weiteres für Birkenrinde typisches pentacyclisches Triterpen nachweisen, das Lupeol.

Lupeol ist auch ein pentacyclisches Triterpen mit jedoch nur einer Hydroxylgruppe im Ringsystem.

Weitere Stoffe mit teils abenteuerlichen Namen lassen sich nachweisen, z. B. Lupadien, Lupenon und Allobetulen [1].


Betulin ist ein archäologischer Indikator
Wird das Triterpen Betulin in einer archäologischen Probe analytisch nachgewiesen – dazu setzt man Gaschromatographen ein -, weiß eine Forschungsgruppe eindeutig, dass es sich bei einem Fund um Birkenpech handeln muss und nicht um das klebrige Harz z. B. eines Nadelbaumes, aus dem sich auch Pech herstellen lässt. Interessant ist, dass Reste von Birkenpech nicht nur in afrikanischen Fundstätten entdeckt wurden, die vom Homo sapiens besiedelt wurden, sondern auch in deutlich älteren Grabungsstätten in Europa, die eindeutig dem Neandertaler zuzuordnen sind. Vielleicht beherrschte dieser Vormensch sogar das beschriebene Doppeltopfverfahren zur Gewinnung von Pech, um mit dem steinzeitlichen Kleber an seine hölzernen Werkzeuge und Jagdwaffen steinerne Klingen oder metallische Spitzen zu kleben. Dann wären seine technologischen Fähigkeiten deutlich höher einzuschätzen als bisher angenommen [5].


Literatur:
[1] Persönliche Mitteilung von Dieter Todtenhaupt (Museumsdorf Düppel) zum Teergrubenmeiler.
[2] Chemische Annalen für die Freunde der Naturlehre, Arzneygelahrtheit, Haushaltungskunst und Manufakturen, Lorenz Florenz Friedrich Crell [Hrsg.], Verlag Fleckeisen, Helmstädt und Leipzig 1788 (https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10072265_00322.html (zuletzt abgerufen am 13.7.2020)))
[3] Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Betulin (zuletzt abgerufen am 2.7.2020)
[4] https://www.pflanzenforschung.de/de/pflanzenwissen/journal/birken-wirken-forscher-untersuchen-die-heilende-wirkung-10197 (zuletzt abgerufen am 2.7.2020)
[5] Der Kunststoff der Neandertaler, Spektrum der Wissenschaft 7.20, S.78 ff


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Letzte Überarbeitung: 30. September 2020, Fritz Meiners