Prof. Blumes Tipp des Monats Januar 2004 (Tipp-Nr. 79)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Bild 1 (Foto: Daggi)


Alles um den Winterdienst

Im Winter streut man Salz, um Eis zum Schmelzen zu bringen. Das nennt man "Winterdienst". Viele Leute fragen sich, wie das mit dem Eis und Salz funktioniert. Und deshalb fragen sie auch immer wieder bei mir an.

Zunächst machen wir dazu ein Experiment.

Versuch: Eis und Salz
Wir benötigen einige Eisstücke aus dem Tiefkühlfach, einen Teller oder eine Schale, Kochsalz oder Streusalz.
Wichtig für den Versuch ist: Die Kühltruhe sollte nicht wesentlich unter minus 20 °C kalt sein!
Wir nehmen Eisstücke aus dem Tiefkühlfach, legen sie auf den Teller, streuen Salz darauf und stellen alles wieder zurück. Nach kurzer Zeit (20-30 min) fängt das Eis trotz der Kälte an zu schmelzen.

Bild 2 (Foto: Daggi)


Als Erklärung für die Kinder sollte Folgendes ausreichen: Wenn Salz und Eis zusammen kommen, will sich das Salz lösen. Dazu muss das Eis erst einmal schmelzen. Zum Schmelzen braucht es Wärme. Die wird aus der Umgebung genommen. Die kühlt deshalb ab. Und deshalb gibt es auch unter Null Grad Celsius noch flüssiges Wasser. (Wenn diese Erklärung aber auch noch zu schwer ist, sollte man es für die Kinder bei der Demonstration und Beschreibung des Phänomens belassen!)

Dagegen ist die wissenschaftliche Erklärung für Leute, die es genau wissen wollen, nicht ganz einfach.

Das Experiment hat etwas mit dem Verhalten des Wassers beim Gefrieren zu tun. Zur Erinnerung: Wenn Wasser abkühlt, verhält es sich merkwürdig. Es zeigt die bekannte Dichteanomalie: Zunächst nimmt (wie bei allen anderen Flüssigkeiten auch) sein Volumen ab. Bei 4 °C erleben wir eine Überraschung: Bei weiterem Abkühlen nimmt das Volumen wieder zu, die Dichte verringert sich also. Eis ist leichter als flüssiges Wasser. Der Grund ist, dass sich bei 4 °C die in der Flüssigkeit undiszipliniert herumwuselnden Wassermoleküle zu sperrigen Kristall-Strukturen zu ordnen beginnen. Die bewirken letztlich, dass die Struktur von Eis 1/9 mehr Volumen hat als flüssiges Wasser. (Deshalb platzen Flaschen beim Gefrieren (-> Versuch), und deshalb schwimmt Eis auf dem Wasser.
Drückt man nun umgekehrt auf das Eis, so schmilzt es (-> Versuch).

Letzteres bringt uns zurück zum Problem: Warum verflüssigt sich Eis, wenn man Salz darauf streut?
Eis steht nämlich immer unter Druck, und zwar unter dem Luftdruck! Der beträgt immerhin 1,013 bar. Das ist so, als wenn ein Gewicht mit etwa 1 kg Masse und einer Grundfläche von 1 cm2 darauf steht (-> Berechnung). Deshalb ist Eis von vornherein immer von einem feinen Wasserfilm überzogen. Eis und flüssiges Wasser stehen in einem Gleichgewicht.

Das darauf gestreute Salz will sich lösen und zieht dazu die feine Wasserschicht vom Eis ab. Die Wasserschicht erneuert sich immer wieder, weil die Luft ja weiterhin auf das Eis drückt. Deshalb löst sich noch mehr Salz, und so geht es weiter. Damit verschiebt sich das o. a. Gleichgewicht nach rechts. Bald ist der ganze Eisblock verflüssigt.

Eis (fest) + NaCl (fest) + Schmelzenergie + Lösungsenergie ———> NaCl-Lösung (flüssig)

Statt des festen Eises und Salzes haben wir jetzt flüssiges Salzwasser. Und das ist bis zu minus 21,6 °C kalt. Damit können wir zwei Fragen beantworten:


1 Warum erreichen wir überhaupt so tiefe Temperaturen?
Wasser kühlt schon beim Lösen von Salz etwas ab. Bei der Kältemischung und beim Salzstreuen kommt noch die Wärme zum Schmelzen des Eises hinzu. Die nimmt das Eis aus seiner Umgebung, die deshalb so kalt wird. Auf diese Weise stellt man ja Kältemischungen her!
Man erreicht aber maximal nur minus 21,6 °C. Bei tieferen Temperaturen ist die verfügbare Energie zu gering, als dass das o. a. Gleichgewicht verschoben werden könnte. Deshalb ist unter minus 21,6 °C auch das winterliche Salzstreuen wirkungslos. (Genau genommen nicht so ganz: Denn von da ab wirken die Salzkristalle wie Sandkörner auf dem Eis. Die bremsen ja auch ganz schön.)


2 Warum bleibt das Wasser bei diesen tiefen Temperaturen eigentlich flüssig?
Das flüssige Wasser ist ja jetzt eine hochkonzentrierte Salzlösung. Darin befinden sich die Ionen des Salzes. Jedes Ion ist von Wassermolekülen umgeben, und zwar erstaunlich geordnet. In der nächsten Nähe befinden sich um jedes Ion jeweils 6 Wasserdipole.

Bild 3: Wasserdipole umgeben in oktaedrischer Symmetrie die Ionen von NaCl.
(Die zwei außerhalb der Zeichenebene angeordneten Wasserdipole muss man sich dazu denken.)


Zur Salz- und Eiskristallbildung müssen die Ionen "gestrippt" werden, das heißt, ihre Wasserhülle muss abgestreift werden. Das geht nicht so ohne weiteres! Denn Wassermoleküle sind elektrische Dipole. Die Ion-Dipol-Wechselwirkungen sind erstaunlich stark. Um die Wassermoleküle von den Ionen zu trennen, wäre deshalb noch einmal sehr viel Energie aufzuwenden. Und das schafft das System nicht mehr. Dazu ist es schon zu kalt.

Zur Erinnerung: Diese Vorgänge kennen wir eigentlich schon, allerdings in anderer Ausführung! Bei der Herstellung der Kältemischung sind wir letztlich genauso vorgegangen. Dahinter steckt ja auch physikalisch-chemisch das Gleiche wie beim Winterdienst.

Übrigens ist Salzwasser gar nicht gut für die Umwelt. Auch Brücken zerbröseln, da die Moniereisen im Beton korrodieren. Deshalb verzichtet man auch zunehmend auf das Salzstreuen.


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 14. August 2008, Dagmar Wiechoczek