Prof. Blumes Tipp des Monats Juni 2008 (Tipp-Nr. 132)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Erstaunliches aus dem Schornsteinrohr

Wir haben eine neue Ölheizung. Es handelt sich um eine Energie sparende Niedertemperaturanlage. Da der in den Verbrennungsgasen enthaltene Wasserdampf wegen niedriger Abgastemperatur leicht kondensiert, haben wir - um den Schornstein zu schützen - ein Edelstahlrohr einziehen lassen. Zum Abfließen des möglicherweise entstehenden Kondenswassers gibt es am unteren Ende einen Auslauf. Da die Heizung am Anfang noch nicht richtig eingestellt war, gab es viel Kondenswasser. Das haben wir mit einem Eimer aufgefangen.

Eines Tages habe ich den Eimer mal wieder ausleeren wollen – und staunte nicht schlecht: Das Wasser war verdampft, und darin fand ich neben grünlich-grauem „Gruscht“ auch große dunkle Kristalle. Mein chemisches Interesse war erwacht.

   

Bilder 1 und 2: Rückstand aus dem Schornstein und die darin enthaltenen Kristalle
(Fotos: Blume)

Man erkennt unschwer, dass die Kristalle Oktaeder sind. Der größte der Kristalle war 4 cm lang. Sie sahen alle recht schmuddelig aus, deshalb wurden sie erst einmal mit (wenig!) Wasser geduscht und anschließend noch mit Ethanol abgespült. Dann zeigten sich violette „Edelsteine“.

Bild 3: Die „Schornsteinkristalle“, im Gegenlicht auf einem Spiegel fotografiert
(Foto: Blume)

So richtig sauber waren sie aber immer noch nicht – das zeigen die öligen Schleifspuren auf dem Spiegel in Bild 3.

Diese Kristalle kamen mir doch recht bekannt vor – richtig: Es muss sich um Chromalaun handeln. Reiner Chromalaun aus dem Labor hat die chemische Formel

KCr(SO4)2 • 12 H2O

Und nun erklärt sich auch der grau-grüne „Gruscht“ im Eimer. Das ist verwitterter Chromalaun. Dieser Alaun ist bekanntlich sehr empfindlich, wenn er im Trocknen steht. Dann gibt er sein Hydratwasser ab. Aus diesem Grund überziehen wir ihn beim Kristallzüchten mit einer dünnen Schicht von gegen Austrocknung gefeitem, farblosem Aluminiumalaun.

Wollen wir sehen, was wir anhand einer Analyse finden. Gleich vorneweg eine Einschränkung: Auf den Nachweis von Kalium verzichten wir. Stattdessen suchen wir das Ammonium, das, wenn es vorhanden ist, den Kaliumnachweis sowieso erheblich stört.

Wieso können Ammonium-Ionen ähnlich reagieren wie Kalium-Ionen? Das geht, weil beide Kationen sind und sie außerdem die gleichen Ionenradien haben. So können sie sich auch in den Kristallgittern gegenseitig ersetzen.


Jetzt ist wohl ein wichtiger Hinweis notwendig:
Ihr Einwand ist sicherlich: „Was nützt uns dieser Tipp, wenn wir solche Kristalle gar nicht haben?“
Greifen wir vor: Sie besorgen sich beim Installateur oder beim Küchenhersteller V2A- oder auch V4A-Stahl. Den zersetzen Sie mit heißer, halbkonzentrierter Schwefelsäure. Mit dieser (abgekühlten!) Lösung können Sie weiterarbeiten, als hätten Sie „Schornsteinkristalle“ gelöst.

Versuch 1: Analyse der Schornsteinkristalle

Versuch 1A: Bestimmung des pH-Werts
Wir lösen eine Probe von dem Schornsteingruscht in Wasser und messen den pH-Wert.
Ergebnis: Die Brühe erweist sich als kräftig sauer! Sie ist sogar so sauer, dass sie den V2A-Stahl unserer Spüle angegriffen hat.
Falls das auch Ihnen passieren sollte: Beseitigen Sie die Flecken möglichst rasch mit einem harten Schwamm und einem Poliermittel, z. B. Moc ®.

Versuch 1B: Nachweis von Chrom durch Oxidationsschmelze
Ein kleiner Kristall wird gut zerrieben und mit der dreifachen Menge einer Mischung von wasserfreiem Soda (Xi) und Kaliumnitrat (O) vermischt. Man gibt etwas davon auf eine Magnesiarinne und erhitzt vorsichtig in der oxidierenden Flamme, bis die Mischung zerflossen ist.
Ergebnis: Nach Abkühlen erkennt man eine gelbe Färbung von Chromat, die bei Zusatz von Schwefelsäure rot-orange wird (Bildung von Di- und weiteren Chromaten).

Versuch 1C: Nachweis von Chrom mit Wasserstoffperoxid
Ein Kristall wird abgespült und in wenig Wasser gelöst. Zur Lösung tropft man eine alkalische Wasserstoffperoxidlösung (w = 30 %) (C). Anschließend tropft man verdünnte Schwefelsäure (Xi) bis zur deutlich sauren Reaktion hinzu.
Ergebnis: Die Lösung wird zunächst gelb (Chromatbildung). Bei Zutropfen von Säure färbt sie sich dunkel, dann deutlich blau. (Schütteln, um Schaum zu erzeugen, dann sieht man die blaue Farbe besser!) Es kann dann eine Umfärbung nach Grün erfolgen.

Versuch 1D: Nachweis von Sulfat
Zur Lösung eines Kristalls gibt man etwas Salzsäure (C). Dann tropft man Bariumchloridlösung (Xn) zu. Den Ansatz stehen lassen.
Ergebnis: Es bildet sich langsam ein feinkristalliner, heller Niederschlag von Bariumsulfat.

Versuch 1E: Nachweis von Ammonium
Man gibt zu den festen Kristallen festes Kalium- oder Natriumhydroxid (C). Dann wird etwas Wasser darüber getropft. Vorsichtige Geruchsprobe (chemisch riechen!). Man kann das Gefäß auch abdecken (nicht fest verschließen, weil sich Druck aufbaut!). Dann befestigt man unter dem Deckel ein feuchtes Indikatorpapier.
Ergebnis: Man riecht Ammoniak in großen Mengen; das Indikatorpapier färbt sich blau. Außerdem wird die Lösung braun - das weist darauf hin, dass in den Kristallen auch reichlich Eisen(III) enthalten ist. Dafür spricht auch der nächste Versuch.

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Bild 4: Nachweis von Ammonium im „Schornsteinkristall“
(Foto: Blume)

Versuch 1F: Verdünnen der Lösungen
Man gibt ungefähr 5 ml Lösung in ein Becherglas (100 ml). Dann füllt man das Glas mit Wasser auf.
Ergebnis: Die Lösung ist zuvor grün. Während des Auffüllens wird die Lösung gelb bis braun. Ursache ist die Bildung von Eisen(III)-hydroxid, weil die Lösung durch die Verdünnung weniger sauer wird. Im hellen Licht (wie auch im folgenden Bild) erkennt man eine merkwürdige Trübung: Das ist der Tyndall-Effekt aufgrund der kolloidalen Eisenhydroxide.

Bilder 5a und 5b: Lösung von „Schornsteinkristallen“ vor und nach Verdünnen mit Wasser
(Fotos: Blume)


Schornsteinkristalle kann man züchten
Warum soll man den ganzen Gruscht (also nicht nur die Kristalle) aus dem Eimer nicht einfach auflösen und versuchen, reine Chromalaunkristalle mit den Methoden der Kristallzüchtung abzutrennen? Achtung: Die großen Kristalle bewahren wir auf – als Impfkristalle zum Züchten.

Versuch 2: Kristalle aus dem Schornsteinrückstand
Der Rückstand wird mit Ausnahme einiger großer Kristalle, die wir aufbewahren, in möglichst wenig Wasser gelöst.
Dann filtrieren wir den unlöslichen Rest ab. Die nunmehr schwarze Mischung behandeln wir mit einer großen Portion Aktivkohle. Nach gutem Verrühren und etwas Warten wird die Kohle abfiltriert. Wir wiederholen das drei Mal. Zurück bleibt immer noch eine dunkle Brühe, die jetzt allerdings in dünnen Schichten am Glasrand grünlichgelb erscheint.

Wir füllen diese Lösung in ein Becherglas und stellen es zur Kristallzüchtung in den Kühlschrank. Dazu muss das Glas offen sein. Wir warten einige Tage, bis sich ein kristalliner Bodensatz ausgebildet hat. Dann erst ist die Lösung gesättigt, und wir können endlich einen der großen „Schornsteinkristalle“ an einen dünnen Faden binden und in die Lösung hängen. Er wirkt als Impfkristall, der wachsen kann.

Zunächst bildete sich ein kristalliner Bodensatz.

Bild 6: Bodensatz bei der Kristallzüchtung
(Foto: Blume)

Nach einigen Tagen erhielten wir tatsächlich einen wunderschönen Kristall. Hier zeigen wir die Versuchsanordnung und das Ergebnis.

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Bild 7: Züchtung von Chromalaun aus der Lösung der Schornsteinkristalle
(Fotos: Blume)


Nachweis weiterer Elemente in den Schornsteinkristallen
Stähle enthalten selbstverständlich Eisen und auch Nickel. Wir können diese Elemente in der von den Kristallen abfiltrierten Lösung suchen.

Versuch 3: Nachweis von Eisen
Zu einer Probe des Filtrats geben wir einen Tropfen Wasserstoffperoxid. Dann tropfen wir die Lösung eines Thiocyanats (Rhodanid) zu.
Ergebnis: Die Lösung färbt sich tiefrot – Hinweis auf Eisen(III).

Man kann auch eine Lösung von gelbem Blutlaugensalz zutropfen und erhält dann eine intensiv blaue Farbe bzw. Niederschlag von Berliner Blau.


Versuch 4: Nachweis von Nickel
Zu einer Probe des Filtrats gibt man bis zur stark alkalischen Reaktion etwas konzentrierte Ammoniaklösung (C) (Schutzbrille!). Dann tropft man 1-2 ml einer gesättigten alkoholischen Lösung von Dimethylglyoxim (oder auch Diacetyldioxim genannt) (F) zu.
Ergebnis: Es bildet sich der für Nickel-Ionen typische pinkrote, seidige Niederschlag eines schwerlöslichen Komplexsalzes.


Nun bleibt noch die Frage, was das für ein Stahl war, den uns die Heizungsfirma in den Schornstein eingebaut hat
Deshalb kontaktieren wir den Hersteller der Rohre, um zu erfahren, woraus die gemacht sind. Er sagt uns, dass es sich um den Stahl „Eins-fünfundvierzig-einundsiebzig“ handele. Fragt man dann noch nach der chemischen Zusammensetzung, sagt er, dass er sich mit diesem chemischen Zeugs nicht auskenne. Aber da gäbe es ja noch den Kurznamen X6CrNiMoTi17-12-2. Was das bedeute, weiß er nicht. Das braucht er als Praktiker ja eigentlich auch gar nicht zu wissen.

Für uns sieht das alles nach einem Codesystem aus, das scheinbar alle, die sich mit Stahl befassen, kennen.

Die Recherche ergibt: Es ist ein Stahl mit der Werkstoffnummer 1.4571. Diese Codeziffern sagen dem Fachmann sofort, was für Eigenschaften diese Legierung hat und wofür man sie einsetzt. Man kann sagen: Die Werkstoffnummern sind quasi die ISBN des Stahls. Sie werden vom Stahlinstitut des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) vergeben.

Dazu gibt es noch den Kurznamen X6CrNiMoTi17-12-2. Dem kann der Kenner entnehmen, wie der Stahl zusammengesetzt ist.


Wie sind diese Codes zu knacken?
Hier sind die Regeln zum Aufstellen und Verstehen der Codes.

Der Code der Werkstoffnummer
Die Werkstoffnummer lautet im einfachsten Fall allgemein: A.BBCC. Dabei bedeuten die Buchstaben:
A: Hauptgruppe.
BB: Sortennummern. Diese dienen der Klassifizierung der Hauptgruppe.
CC: Zählnummern. Diese werden chronologisch vergeben.
Es können noch zwei weitere Nummern DD folgen, die dem Fachmann Spezielles zur Stahlsorte A.BBCC.DD sagen, z. B. zum Herstellungsverfahren.

Unser Beispiel: 1.4571. Die 1 steht für Stahl. Die 45 steht für einen nichtrostenden Edelstahl mit Sonderzusätzen. 71 ist die laufende Nummer der Vergabe der Werkstoffnummer durch den VDEh. Diese Stahlsorte kennen wir Normalbürger auch unter der Bezeichnung V4A-Stahl.


Der Code des Kurznamens
Der erste Buchstabe steht für eine Stahlsorte. Dann folgt der Kohlenstoffgehalt in Hundertstel Masseprozent, gefolgt von den chemischen Symbolen der metallischen Legierungselemente in der Reihenfolge sinkender Massenanteile. Es schließen dann Massenanteile der zuvor aufgeführten Legierungselemente in Massenprozent an. Der nicht genannte Rest ist Eisen.

Unser Beispiel: X6CrNiMoTi17-12-2. Das X kennzeichnet einen hochlegierten Edelstahl. Die 6 weist auf 0,06 % Kohlenstoff. Dann folgen die Angaben für 17 % Chrom, 12 % Nickel, 2 % Molybdän. Der mengenmäßig nicht benannte Titananteil beträgt das etwa 5-10fache des Kohlenstoffgehalts, hier um 0,5 %. Der Gehalt an Eisen berechnet sich zu 69 %.


Zur chemischen Zusammensetzung unserer Schornsteinröhren
Chrom, Eisen und Nickel haben wir nachgewiesen. Dass Stahl Kohlenstoff enthält, können wir mit einem weiteren, einfachen Versuch zeigen. Eigentlich müssten wir auch noch nach Molybdän und nach den Titan-Spuren suchen. Aber das ist für Schulen zu schwierig. Wenn man keine entsprechenden Apparate hat (wie zur Atomabsorption, Neutronenanregung oder Röntgenaktivierung), muss man nämlich einen richtigen nasschemischen Trennungsgang machen.

Eisen ist das Grundmetall für den Stahl. Der Kohlenstoff sorgt dafür, dass das eigentlich weiche Reineisen zu hartem Stahl wird. Nickel und Chrom sorgen für größere Festigkeit des Stahls und vor allem für die Korrosionsbeständigkeit. Letztere wird durch den Zusatz von Molybdän noch verstärkt, wodurch auch die Stabilität bei starker Temperaturerhöhung zunimmt. Titan ist ein so genannter Sonderzusatz; es wirkt als Stabilisator, da es mit Kohlenstoff Carbide bildet, die mit den für Stahl typischen Eisencarbiden günstig wechselwirken.


Jetzt bleibt noch die Frage, wie es zur Bildung von Chromalaun kam
Im Erdöl sind organische Schwefelverbindungen enthalten. Bei deren Verbrennung entsteht Schwefeldioxid, das katalytisch an den metallischen Oberflächen zu Schwefeltrioxid umgewandelt wird. Mit Wasserdampf bildet sich daraus Schwefelsäure. Deshalb war die Brühe so stark sauer! Damit haben wir auch die Frage geklärt, wo das Sulfat herkommt.

Diese Schwefelsäure ist sogar noch heiß. Sie hat die Stahlröhren angegriffen. Dadurch wurden Chrom, Eisen und Nickel freigesetzt. Der Alaun enthielt neben Chrom auch reichlich Eisen(III). Das ist durch Oxidation des primär gebildeten Eisen(II) entstanden.

Wo kommen die Alaune typischen einwertigen Kationen her? Das Vorliegen von Kalium-Ionen kann man ausschließen, denn es gibt in unserem „Reaktionssystem Heizungsanlage“ keine Quelle für Kalium. Es handelt sich vor allem um Ammonium-Ionen.

Die Verbrennungsprozesse verbrauchen übermäßig Sauerstoff. Hinzu kam, dass der Brenner noch nicht richtig eingestellt war; denn die Abgase enthielten zuviel CO und außerdem rußte der Brenner stark. Wenn Ruß entsteht, müssen auch H-Radikale anwesend sein. Die entstehen bei hitzebedingten Crack-Reaktionen und leiten immer die Verbrennungsreaktionen von längerkettigen Kohlenwasserstoffen ein. (Klicke hier.)

Das alles spricht für eher reduzierendes Medium. Die Ammonium-Ionen sind somit durch den nichtoxidativen Abbau stickstoffhaltiger Erdölbestandteile entstanden.

So ist davon auszugehen, dass unser pinkfarbener Alaun die folgende Formel hat:

NH4(Cr,Fe)(SO4)2 • 12 H2O


Fürwahr – alles eine echte lebensnahe Chemie im und ums Haus!


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 08. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek