Prof. Blumes Tipp des Monats Oktober 2010 (Tipp-Nr. 160)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Die Blau-Gold-Reaktion

Viele kennen die Reaktion mit dem Farbwechsel zwischen Himmelblau und Orangegelb.

 
Bild 1: Blau-Gold-Reaktion (Fotos: Daggi)
Hierzu gibt es einen Film (21,7 MB)
Klicke hier


Obwohl über die Abläufe bei der Reaktion viel spekuliert wird, bleibt doch manche Frage offen:

Ich konnte keinen Beitrag in Ihrem Server zur Blau-Gold Reaktion finden. Hier würden mich die genauen Abläufe interessieren (wieso wird Cu2O erst bei Wärme gefällt? Wieso färbt sich nach Zugabe des Peroxids alles wieder blau und kurze Zeit danach wieder gold-orange?)

Ich hoffe Sie können mir weiterhelfen.

Das Ganze erinnert bei oberflächlicher Betrachtung doch stark an die Fehling-Probe auf reduzierende Zucker oder auf Ascorbinsäure. Der letztere Nachweis ist eine besonders rasch ablaufende Reaktion.

Was aber ist das Reduktionsmittel bei der Blau-Gold-Reaktion?


Hier bringen wir zunächst einmal das Rezept und die Reaktionsanleitung
Bei der Formulierung folgen wir H. W. Roesky *).

Versuch 1: Blau-Gold-Reaktion
Lösungen
A 28,2 g Seignettesalz (Kaliumnatriumtartrat-Tetrahydrat C4H4O6KNa · 4 H2O) in 100 ml Wasser lösen
B Wasserstoffperoxid-Lösung (w = 3 %) (Xi)
C 2,5 g Kupfer(II)-sulfat-Pentahydrat (Xn) in 10 ml Wasser lösen

Durchführung I
In ein Becherglas (250 ml, hohe Form) füllen wir 60 ml Lösung A und 40 ml Lösung B. Diese Mischung erhitzen wir auf ca. 60 °C (am besten mit einem heizbaren Magnetrührwerk; Thermometer verwenden!) und geben unter starkem Umrühren 1 ml der Kupfer(II)-sulfat-Lösung zu. Während der Reaktion rühren wir weiter.

Wir machen die Glimmspanprobe.

Ergebnis I
Nach der Zugabe der Kupfer(II)-sulfat-Lösung färbt sich die Reaktionsmischung zuerst blau, und es setzt eine starke Gasentwicklung ein. Die Lösung erwärmt sich unter Verstärkung der Gasbildung rasch auf ca. 80 °C und wird plötzlich undurchsichtig gelborange. Die Gasentwicklung stoppt und die Temperatur sinkt wieder ab.

Die Glimmspanprobe ist positiv.

Durchführung II
Wenn die Temperatur auf etwa 60 °C abgesunken ist, geben wir erneut Wasserstoffperoxid-Lösung zu. Der orangefarbene Niederschlag löst sich auf und es entsteht wieder eine blaue Reaktionsmischung, die danach erneut nach Gelborange umschlägt.

Ergebnis II
Die Reaktion kann durch erneute Zugabe von 40 ml 3%iger Wasserstoffperoxid-Lösung mehrmals wiederholt werden.


Wie sind die Farbänderungen zu erklären?
Es handelt sich um zwei Reaktionssysteme, die nebeneinander ablaufen:

Zum einen erfolgt die durch Kupfer-Ionen katalysierte Oxidation von Weinsäure/Tartrat durch Wasserstoffperoxid.
Zum anderen geht es um das Redox-System zwischen Wasserstoffperoxid und Kupfer-Ionen.
Die Steuerung des gesamten Reaktionsablaufs erfolgt durch die Temperatur der Reaktionsmischung.


Die Oxidation des Tartrats
Zum Mechanismus der ersten Reaktion gibt es verschiedene Überlegungen. Einmal heißt es, dass Cu(II) in der schwach alkalischen Lösung (pH-Wert 7,7) das Tartrat oxidiert und dabei selbst zu Cu(I) reduziert wird. Das widerspricht aber den Erfahrungen bei der Fehling-Probe.
Das so gebildete Cu(I) soll durch Wasserstoffperoxid wieder zu Cu(II) oxidiert werden, wodurch die Tartrat-Oxidation weiterläuft.
Man meint auch, dass Tartrat simultan durch Wasserstoffperoxid und durch Cu(II) oxidiert wird. Das würde die Bildung von Cu(I) erklären. Aber Cu(II) oxidiert nicht Tartrat - sonst würde die Fehling-Reaktion nicht funktionieren.
Beide Male fehlt übrigens die Erklärung für den sich in großen Mengen bildenden Sauerstoff.


Das Ganze ist wohl komplizierter,…
… weil nicht Kohlendioxid, sondern Sauerstoff das hauptsächlich gebildete Gas ist. Hinzu kommt ein auffallend großer Verbrauch an Wasserstoffperoxid. Das spricht dafür, dass mindestens zwei verschiedene Reaktionen ablaufen, die sich nicht durch einfache Katalysezyklen vernetzen lassen.

Zunächst bilden Cu2+-Ionen mit zwei Tartrat-Ionen den bekannten tiefblauen tartrato-Komplex [Cu(tartrat)2(H2O)2]2-. Zur Struktur des Komplexes klicke hier.

Nach Zugabe von Wasserstoffperoxid gibt es einen Ligandenwechsel:

Im H2O2-Komplex läuft die Oxidation von Tartrat unter Bildung von CO2 und Hydroxid-Ionen ab. Offenbar fördern die sterischen Verhältnisse die Reaktion, so dass man sagen kann, dass die Reaktion durch das Cu2+-Ion katalysiert wird. Vergleichen Sie den Reaktionsverlauf auch mit dem analogen Versuch, bei dem statt einer Kupfer- eine Cobalt-Katalyse abläuft.

Formal gilt:

Diese Reaktion muss aktiviert werden. Deshalb ist die Starttemperatur von ca. 50 °C notwendig. Andererseits ist die Reaktion (2) exotherm und heizt die Reaktionslösung auf.


Nun kommt das Redox-Reaktionssystem H2O2 /Kupfer ins Spiel
Zu allererst müssen wir wissen, dass je nach Umgebung, pH-Wert, Temperatur und Konzentration Wasserstoffperoxid sowohl als Oxidationsmittel als auch als Reduktionsmittel wirken kann. (Klicke hier.)

Zurück zur Blau-Gold-Reaktion: Ab etwa 75 °C beginnt die Reduktion von Cu(II) zu Cu(I). Reduktionsmittel ist nicht (wie oft vermutet) das Tartrat-Ion, sondern Wasserstoffperoxid. Bei der Reduktion entstehen Sauerstoff und Protonen:

Bemerkenswert ist, dass das entstehende Cu(I) die H2O2-Zersetzung katalysiert. Dieses ist ein Beispiel für eine Autokatalyse. Daher kommt die zunehmend große Menge an Sauerstoff im gebildeten Gas.

Kupfer(I)-hydroxid CuOH ist schwerlöslich und fällt als hellgelber Niederschlag aus.

Eine möglicherweise etwas rötliche Färbung des Niederschlags rührt daher, dass sich daneben durch hitzebedingte Wasserabspaltung auch Kupfer(I)-oxid Cu2O bildet.

Man könnte nun mit dem Löslichkeitsprodukt argumentieren.

Dazu müsste man jedoch den pH-Wert der Lösung kennen. Wegen der sich ändernden Temperatur ist die Verfolgung der Entwicklung des pH-Werts kaum möglich. Man kann aber Folgendes festhalten: Obwohl die zu Beginn in der Kälte schwach alkalische Reaktionslösung (gemessener pH-Wert 7,7 bei 25 °C) nach der Reaktion wegen der gebildeten Protonen neutral ist (gemessener pH-Wert 6,3 bei 75 °C; das ist der Neutralpunkt bei dieser Temperatur), wird das plötzliche Ausfallen des Niederschlags dadurch gefördert, dass das Wasser-Dissoziationssystem bei hohen Temperaturen mehr Hydroxid-Ionen enthält als bei niedrigen Temperaturen. (Zur Temperaturabhängigkeit des Ionenprodukts des Wassers klicke hier.)

Beim erneuten Zugeben von kalter Wasserstoffperoxid-Lösung zur sich sowieso schon abkühlenden Reaktions-Lösung wird die Lösung rasch wieder blau. Offensichtlich oxidiert Wasserstoffperoxid bei niedrigeren Temperaturen die Cu(I)-Ionen wieder zu Cu(II). Bei der Reaktion entstehen Hydroxid-Ionen, die das System wieder schwach alkalisch einstellen.

Das anfangs angesprochene Redox-Reaktionssystem zwischen Wasserstoffperoxid und Kupfer-Ionen können wir so zusammenfassen:


Bleibt die Frage,…
… ob Wasserstoffperoxid Kupfer(II) überhaupt zu reduzieren vermag. Das überprüfen wir mit dem folgenden Versuch.

Versuch 2: Fehlingprobe mit Wasserstoffperoxid
Zur Herstellung der Fehling-Lösungen klicke hier.

Wir mischen 5 ml Fehling I und 5 ml Fehling II in einem möglichst großen Reagenzglas (oder Erlenmeyerkolben; 25 ml) und stellen die tiefblaue Lösung zum Erhitzen in ein kochendes Wasserbad. Nach einigen Minuten geben wir nach und nach tropfenweise so lange Wasserstoffperoxid-Lösung (w = 30 %) (C) hinein, bis die Reaktionsmischung anfängt, sich deutlich umzufärben. Vorsicht! Die Mischung schäumt.

Wir machen die Glimmspanprobe.

Ergebnis: In der Lösung bildet sich unter starker Gasentwicklung beim Eintropfen gelbbraunes Kupfer(I)-hydroxid, das sich allerdings wieder auflöst. Erst nach mehrmaligem Zugeben von H2O2-Lösung erhalten wir bleibendes, tiefrotes Kupfer(I)-oxid.
Das Gas identifizieren wir als Sauerstoff.

Bild 2: Fehlingprobe mit Wasserstoffperoxid.
Links vor, rechts nach der Reaktion
(Foto: Blume)

Die Blau-Gold-Reaktion ist also letztlich nichts anderes als ein spezieller Fehling-Nachweis mit Wasserstoffperoxid als Reduktionsmittel.


Noch ein Hinweis
Zur Chemie des Wasserstoffperoxids haben wir eine große Webseitengruppe.


Rüdiger Blume


Weitere Tipps des Monats


Literatur:
H. W. Roesky und K. Möckel: Chemische Kabinettstücke, VCH, Weinheim, New York; 1994.


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Letzte Überarbeitung: 28. September 2010, Dagmar Wiechoczek