Prof. Blumes Tipp des Monats Januar 2010 (Tipp-Nr. 151)


Beim Experimentieren den Allgemeinen Warnhinweis unbedingt beachten.


Von Bleistiften und Radiergummis

Alle Weihnachtskarten und Briefe mit Glückwünschen zum Neuen Jahr sind geschrieben. Vor allem Kinder haben für Oma und Opa viel Schönes gemalt, an sie auch geschrieben und dabei vor allem auch viel radiert...

Das Radieren ist eine alltägliche Tätigkeit. Warum sollten wir uns nicht einmal mit seinen chemischen und physikalischen Hintergründen beschäftigen? Wir lernen dabei, dass man anhand des Radierens eine Menge an Naturwissenschaft lernen oder Gelerntes vertiefen kann.

Vor dem Radieren steht aber das Zeichnen oder das Schreiben.


Zunächst zur Bezeichnung „Bleistift“
Das Wort irritiert. Aber früher schrieb man tatsächlich mit einem Bleistab. Das kann man mit einem Stück Blei selbst ausprobieren.

Versuch 1: Schreiben mit Blei
Handschuhe! Wir ziehen mit einem Stück Blei auf nicht zu glattem Papier einen Strich. Dazu ziehen wir auch einen Strich mit einem normalen Bleistift.

Bild 1: Schreiben mit Bleistück und Bleistift
(Foto: Blume)


Metallisches Blei ist nämlich so weich, dass man damit auf Papier schreiben kann. Diese Schrift kann man allerdings nicht so leicht wegradieren wie den, den man mit einem „richtigen“, also modernen Bleistift gezogen hat.

Versuch 2: Radieren
Wir versuchen, die beiden Striche mit einem Radiergummi zu entfernen.

Bild 2: Radieren von Blei und Bleistift
(Foto: Blume)


Andererseits kann man es ja mal mit einem Stück Graphit versuchen, also mit der bekannten weichen, blättrigen Kohlenstoffmodifikation.

Versuch 3: Schreiben mit Graphit und Bleistift
Wir ziehen mit einem Stück Graphit auf nicht zu glattem Papier einen Strich. Dazu ziehen wir auch einen Strich mit einem normalen Bleistift. Wir versuchen außerdem, die Striche wegzuradieren.

Bild 3: Schreiben mit Graphitkristallen
(Foto: Blume)


Wir sehen: Mit Graphit lässt sich ebenfalls schreiben, und die Schrift lässt sich auch hervorragend wegradieren - besser fast als bei einem Bleistift. Allerdings sind die Graphitkristalle zu weich und zerbröseln beim Gebrauch. Deshalb muss man den Graphit härten. Das Verfahren dazu, das man auch heute noch nutzt, soll man angeblich schon im späten Mittelalter entwickelt haben.

Heute also besteht die Mine eines „Bleistifts“ - auch wenn der Name immer noch etwas anderes vermittelt - aus einer Mischung von Graphit und Ton, die nach Formung erhitzt worden ist. Je mehr Ton sie enthält, desto härter ist der Bleistift. Der Tongehalt liegt zwischen 15 und 60 %. Wegen des Kohlenstoffs ist die Mine unter bestimmten Bedingungen sogar brennbar. Klicke hier.

Mit einer Bleistiftmine kann man nicht nur schreiben. Lehrer und Bastler wissen: Auch als Elektrodenmaterial ist sie anstelle von teuren Graphitelektroden für Versuche zur Elektrochemie (wie zum Beispiel bei der Messung der elektrischen Leitfähigkeit von Lösungen oder Salzschmelzen sowie bei Elektrolyseversuchen) hervorragend geeignet, da sie wie reiner Graphit den elektrischen Strom leitet.


Zum chemischen Aufbau der Radiergummis
Woher kommt überhaupt die Bezeichnung „Radieren“? Dahinter steckt das lateinische radere (rasum); schaben, kratzen. (Auch das Rasieren ist daraus abgeleitet.)

Früher radierte man mit frischem Brot. Auf diese Weise haben wir als Kinder noch Flecken von den Tapeten entfernt.

Beschriebenes Papier oder Pergament konnte man auch mit kleinen Messerchen sauber schaben. Das war zu meiner Schulzeit unser „Tintenkiller“. (Mit dem Messerchen, das man auch zum Herstellen von Linolschnitten gebrauchte, konnten wir außerdem Herzchen und anderes in die öden Schulbänke schnitzen...)

Dann endlich kamen die Radiergummis. Die waren am Anfang alles andere als angenehm. Ich erinnere mich noch daran, dass manche meiner Zeichnungen durch das Radieren unangenehm verschmierten.

Das Prinzip des Radiergummis, wie wir es heute kennen, wurde nicht (wie es immer gesagt wird) vom englischen Chemiker J. Priestley (1733-1804) entdeckt, sondern 1770 von seinem Landsmann E. Nairne (1726-1806). Allerdings waren diese Gummis noch ziemlich schmierig. Das änderte sich erst 1839, als C. Goodyear (1800-1860) die Vulkanisation entdeckte, wodurch der Kautschuk etwas weniger klebrig wurde.

Klassische Radiergummis bestanden früher tatsächlich aus vulkanisiertem Kautschuk, waren also echte Gummis. Mit diesen Weichgummiradierern kann man nur mit Bleistift Geschriebenes entfernen.

Heute verwendet man statt des Weichgummis andere Polymere wie Kunstkautschuk (z. B. Polybutadien) oder auch Weich-PVC, die die gleiche adsorptive Wirkung wie Kautschukprodukte haben. Sie sind vor allem stabiler - zum Beispiel gegenüber Umwelteinflüssen wie Ozon oder Lösemitteldämpfen - und auf diese Weise länger haltbar. Sie neigen deshalb (anders als die Radiergummis früher) nicht so stark zum Schmieren. Solche Kunststoffradierer enthalten allerdings eine beträchtliche Menge an Stabilisatoren und vor allem an umstrittenen Weichmachern, da beispielsweise reines PVC hart und spröde ist.

In Veröffentlichungen zur Zusammensetzung der Radiergummimasse stößt man übrigens auch auf die Bezeichnung Faktis (Plural Faktisse). Mit diesem Kunstwort bezeichnet man kautschuk- bzw. gummiähnliche Polymere, die durch Behandlung von ungesättigten pflanzlichen oder tierischen Ölen mit Schwefel oder Schwefelverbindungen gewonnen werden. Sie spielen in erster Linie als Ersatzstoffe zur Herstellung von Gummiplatten bei der Offset-Druckerei eine Rolle.


Was beim Schreiben mit einem Bleistift und beim Radieren passiert
Die flächigen Kristalle des Graphits werden von der Cellulose, aus der Papier hergestellt wird, über schwache van der Waals-Kräfte gebunden. Van der Waals-Bindungskräfte entstehen, wenn eigentlich unpolare Moleküle durch zufällige Bevorzugung ihrer Elektronenanordnung kurzfristig zu Dipolen verzerrt werden.

Auch Cellulose enthält durchaus unpolare Bereiche, z. B. den Innenbereich der Ringstrukturen. Die meisten polaren Hydroxylgruppen sind bei der Wechselwirkung von Cellulosemolekülen sowieso schon in Wasserstoffbrücken gebunden.

Bild 4: Cellulose (Ausschnitt). Wechselwirkung von zwei Cellulosemolekülen
(Quelle: Cornelsen)


Auch wenn es immer gesagt wird: Radieren ist mehr als „mechanische Arbeit“: Graphit wird nämlich nicht nur von der Cellulose, sondern besonders stark auch vom Gummi adsorbiert. Die van der Waals-Bindungskräfte zwischen Graphit und Gummi sind aufgrund der chemischen Ähnlichkeit beider Substanzen wesentlich stärker als die zwischen Graphit und Cellulose. Beim Radieren kommt es zu einem engen Kontakt zwischen Graphit und Gummi. Dabei wechselt das Graphit in die Gummiphase über, wodurch die bekannten kleinen schwarzen Radierwürstchen entstehen (Bild 2).

Auch die abgeriebene Tonmasse wird dabei sehr stark an Gummi adsorbiert. Zwischen Tonen und Gummi bilden sich übrigens ebenfalls van der Waals-Kräfte aus. Klicke hier und lies die Schlussanmerkung.


Weitere Schreibmittel und deren Beseitigung
Andere Farbstoffe wie Tinte sind polar; sie werden deshalb stark von der Cellulose adsorbiert. Solche Farbstoffe konnte man langezeit nur mechanisch entfernen, zum Beispiel durch Abschaben der gefärbten Papierschicht.

Heute gibt man als Schabehilfe neben Bimssteinpulver auch feinen Glasstaub zur Gummimischung. Wenn man den meist blau gefärbten, etwas rauen Teil eines doppelten Radiergummis (Bild 2) im hellen Licht betrachtet, erkennt man, wie der Glasstaub funkelt.

Beim Schaben wird allerdings das Papier beschädigt. Aber auch hier gibt es chemische Abhilfe: Jeder kennt die Tintenkiller. Darüber berichten wir im Tipp des Monats Nr. 75. Tintenkiller nannte man früher auch Radierflüssigkeit. Das war aber meistens nur eine alkalische Chlorbrühe.


Rüdiger Blume


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Letzte Überarbeitung: 08. Januar 2012, Dagmar Wiechoczek